Tony Coe, 1934-2023

Was für ein Zufall. Vor ein paar Tagen (Ort & Zeit verschwimmen in der Erinnerung, hätten wir doch besser aufgepasst, im ÖPNV war es vermutlich nicht…) wurden wir Zeuge einer Unterhaltung über… Tony Coe.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis die beiden Stimmen die Titelmelodie zum Film „The Pink Panther“ von Henry Mancini erwähnen würden - und da fiel das erwartete Stichwort dann auch.
Der Mann hat im Laufe von sieben Jahrzehnten an einer kaum überschaubaren Anzahl von Produktionen mitgewirkt, darunter gut dreißig unter eigenem Namen bzw. in Co-Leadership, im kollektiven Gedächtnis aber liegen ganz oben auf die Schritte des von ihm bedienten Tenorsaxophons im Thema von „The Pink Panther“, 1963.
Tony CoeEr kommt aus Canterbury, er hat - wie Mitglieder von Soft Machine - die Simon Langton Grammar School for Boys besucht, eines seiner Alben heißt „Canterbury Song“ (1989).
Mit Richard Sinclair (Caravan, Hatfield & The North) hat er mehrmals gespielt, 1973 auf eine Caravan-Album gastiert („For Girls Who Grow Plump in the Night)" - zur Canterbury Scene gehörte er stilistisch definitiv nicht.
Er war - in dieser Hinsicht nicht unähnlich seinem deutschen Kollegen Gerd Dudek, hoch adaptionsfähig und stellenweise gleichzeitig in der Avantgarde als auch im Mainsteam zu Hause.
Man hörte ihn im Verein mit Derek Bailey, aber auch jahrelang mit Hymphrey Littleton, mit Peter Brötzmann ebenso wie mit Paul McCartney, bei den Hollies ebenso wie bei Dizzy Gillespie.
Er gehörte zur berühmten Sax Section der Clarke/Boland Big Band, auf 17 CDs ist sein Wirken mit dem Wiener Klangästheten Franz Koglmann dokumentiert. Bei den Melody Four konnte man lachen, er hatte auch sonst Humor: ein Engagement bei Count Basie lehnte er ab, das hätte „nicht länger als 14 Tage gedauert“.
Beim Verzehr von Eiern aber verstand er keinen Spaß.
Die Klarinette erlernte er in Privatunterricht, das Tenorsaxophon autodidaktisch; beide Instrumente (wie auch Baßklarinette) spielte er durchgängig.
Er hat auch, wie nicht nur der Rough Guide Jazz mitteilt, Komposition studiert, u.a. bei Richard Rodney Bennett und dabei eine Vorliebe für Alban Berg entwickelt. Bennett wird über Coe´s Thirdstream-Opus „Zeitgeist“ (1976) zustimmend mit den Worten zitiert: „Die Beschäftigung mit Alban Bergs Werk scheint sich niedergeschlagen zu haben“.
Er war schließlich der erste Nicht-Amerikaner, der mit dem dänischen Jazzpar-Preis ausgezeichnet wurde (1995).
Anthony George Coe, genannt Tony, geboren am 29. November 1934 in Canterbury/Kent, „died peacefully at hospital“ (Kent online) dortselbst am 16. März 2023. Er wurde 88 Jahre alt.
PS: Das britische Jazz Journal re-publiziert eine Art blindfold test anlässlich des Todes von Tony Coe. Darin äußert er sehr dezidierte Ansichten über Eric Dolphy, Jan Garbarek, die Jazz-Avantgarde, Soft Machine ("Ich will nicht prahlen, aber ich habe sie gewissermaßen ins Leben gerufen") und sein Mitwirken bei "Lady Madonna" - das er nicht wiedererkennt!
erstellt: 20.03.23

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Wayne Shorter, 1933 - 2023

Wayne Shorter ist verstorben.
Die Jazzpolizei empfiehlt nicht eine, sondern acht Schweigeminuten.
Sie sind hörend zu verbringen.
Zum Beispiel mit dem Auftritt des Wayne Shorter Quintetts 1996 beim Montreux Festival, in der uptempo funk Version von „Over Shadow Hill Way“.
Man könnte anschließend das Album „High Life“ (1995) auflegen, zum Beispiel „On the Milky Way Express“ und „Midnight in Carlotta´s Hair“, um Kraft & Anmut ähnlich „Over Shadow Hill Way“ zu erfahren - die Vorder- und Rückseiten in den Werken eines großen Jazzkomponisten.
Und damit hätten wir noch gar nicht die ganz große Retrospektive begonnen, wären noch gar nicht bei „Footprints“, „Nefertiti“, „Infant Eyes“, „Paraphernalia“ und vielen anderen gelandet. Und die avancierten Kader bei "Live at The Plugged Nickel" (1965).
Es würden, mit anderen Worten, Schweigestunden, ja Schweigetage.
 Das Werk ist immens, es gehört zu den fruchtbarsten der Jazzgeschichte.
Der Pianist und Essayist Ben Sidran wählte einst dieses Bild: wenn Miles Davis einen Cheeseburger bestellt, dann verwandele sich dieser in einen Jazzburger: „This Man defines“.
Nicht weil er fünf Jahre bei Miles verbracht hat (1964-69), so wie vorher fünf Jahre bei Art Blakey (1959-64), träfe eine modulierte Metapher auf ihn zu.
Sondern weil Wayne Shorter über sechs Jahrzehnte geradezu idealtypisch zentrale Werte dieser Gattung verkörpert hat: finding one´s own voice, als Saxophonist, als Bandleader/Co-Bandleader (Weather Report), noch mehr als Komponist, last not least: mit einer ungeheueren Anschlußfähigkeit.
Dazu gehört, very last not least, ein modellhaftes Spätwerk: wie kaum ein anderer hat er seine Kompositionen, in Begleitung von Vertretern der nachfolgenden Generation (vulgo: John Patitucci, Danilo Perez, Brian Blade) einer fruchtbaren Revision unterzogen. 
Tonnen von YouTube-Videos (z.B. 2014 beim Jazzfest Bonn) zeugen von Entzücken & Überraschung eines älteren Herrn im Garten seiner eigenen Saaten.
Wie "ein Mönch kommender Heiterkeiten" sitzt er da und ergötzt sich gar nicht so klammheimlich daran, wie die jüngeren Kerle seine Pflanzen umtopfen (man möchte sich hier mit fiebriger Erregung die schöne Metapher borgen von Rainald Goetz (die ihm jüngst mit Blick auf ein Foto des jungen Hans Magnus Enzensberger zugeflogen ist.)
Wayne Shorter, geboren am 25. August 1933 in Newark/NJ, ist am 2. März 2023 in Los Angeles gestorben; wie aus Familienkreisen zu erfahren ist, eine „Erlösung“ für den Schwerkranken. Er wurde 89 Jahre alt.

erstellt: 02.03.23
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So geht es Keith Jarrett

Ganz ehrlich, würde der Interviewer nicht umfänglich das Gespräch vorbereiten, indem er Fotos zeigt und Video-Auschnitte, schließlich neben ihm sitzt und ihn mit seinem Namen anspricht - man hätte Keith Jarrett nicht wiedererkannt.
Da ist schon physiognomisch nichts mehr von der dominanten Person, die über Jahrzehnte Konzertsäle wortwörtlich beherrschte. Auch der stimmliche Ausdruck ist deutlich beeinträchtigt.
Was er noch vermag, nach zwei Schlaganfällen 2018, das konnte man im August 2022 bei NPR erfahren (nur noch rudimentär mit der rechten Hand spielen).
Aber nachlesen und jetzt auch optisch erfahren, wie die linke Spielhand schlaff in einer Schlaufe hängt und die rechte erkennbar doch noch einiges weiß (zum Beispiel das Thema von „Desafinado“), das ist eine ganz andere Erfahrung. 
Man wird Zeuge von Restbeständen einer einst als genial gefeierten, individuellen Sensomotorik.
Und doch, Ethan Iverson, Pianist und neuer Volkspädagoge des Jazz, erkennt Mängel darin auch in Hochzeiten.
Er verlinkt zwar zum neuen Video von Rick Beato, aber zum Stichwort von Jarrett, er habe statt Quarten a la McCoy Tyner lieber „Bach-ian“, also kontrapunktisch im europäischen Sinne gespielt, kramt Iverson auf seinem Blog Transitional Technology seine alte Abrechnung wieder heraus, wonach Jarrett in puncto Bebop seine Hausaufgaben nicht gemacht habe (im Gegensatz zu Chick Corea):

„What ever it is, Bach doesn’t help. (Bud Powell would help.)“
Das klingt beckmesserisch, ist aber nicht so gemeint. Daraus kann man lernen.
Und er schließt mit einer tiefen Verbeugung: im Hinblick auf die „esoterische ´atonale und doch pulsierende´ Ästhetik - wie das erste Stück des Bordeaux-Albums - erweist sich Keith vielleicht als der Größte aller Zeiten.“

erstellt: 27.02.23
©Michael Rüsenberg, 2023. Alle Rechte vorbehalten

Jazz Grammys 2023

32. Best Improvised Jazz Solo
Rounds (Live)

Ambrose Akinmusire, soloist
Keep Holding On
Gerald Albright, soloist
Falling

Melissa Aldana, soloist
Call Of The Drum

Marcus Baylor, soloist
Cherokee/Koko
John Beasley, soloist
* Endangered Species

Wayne Shorter & Leo Genovese
, soloist

33. Best Jazz Vocal Album
The Evening : Live At APPARATUS

The Baylor Project
* Linger Awhile
Samara Joy

Fade To Black

Carmen Lundy
Fifty

The Manhattan Transfer With The WDR Funkhausorchester
Ghost Song

Cécile McLorin Salvant


34. Best Jazz Instrumental Album
* New Standards Vol. 1
Terri Lyne Carrington, Kris Davis, Linda May Han Oh, Nicholas Payton & Matthew 
 Stevens
Live In Italy

Peter Erskine Trio
LongGone

Joshua Redman, Brad Mehldau, Christian McBride, And Brian Blade

Live At The Detroit Jazz Festival

Wayne Shorter, Terri Lyne Carrington, Leo Genovese & Esperanza Spalding

Parallel Motion

Yellowjackets


35. Best Large Jazz Ensemble Album
Bird Lives

John Beasley, Magnus Lindgren & SWR Big Band
Remembering Bob Freedman

Ron Carter & The Jazzaar Festival Big Band Directed By Christian Jacob
* Generation Gap Jazz Orchestra

Steven Feifke, Bijon Watson, Generation Gap Jazz Orchestra
Center Stage
Steve Gadd, Eddie Gomez, Ronnie Cuber & WDR Big Band Conducted By Michael Abene
Architecture Of Storms
Remy Le Boeuf's Assembly Of Shadows


36. Best Latin Jazz Album
* Fandango At The Wall In New York
Arturo O'Farrill & The Afro Latin Jazz Orchestra Featuring The Congra Patria Son 
 Jarocho Collective

Crisálida

Danilo Pérez Featuring The Global Messengers
If You Will

Flora Purim
Rhythm & Soul

Arturo Sandoval
Música De Las Américas

Miguel Zenón


Applaus in NRW

Das Füllhörnchen des Bundes - der Applaus-Preis - hat seit 2009 einen regionalen Vorläufer in NRW: die Spielstättenprogrammprämie.
Damit zeichnet das Ministerium für Kultur und Wissenschaft gemeinsam mit dem Landesmusikrat NRW „kleine und mittlere Foren für Jazz und Popmusik aus, die in Form ihrer Live-Programme Musikerinnen und Musikern regelmäßige Auftrittsmöglichkeiten bieten.“
Lokal gesehen geht der Löwenanteil für die Spielzeit 2022/23 ins Tal: an das Loch (15.000 €), die Bandfabrik - Kultur am Rande e.V. (10.000 €) sowie erneut der ort - Peter Kowald-Gesellschaft e.V. (5.000 €), alle Wuppertal.
In der obersten Kategorie (15.000 €) werden desweiteren ausgezeichnet: Klangbrücke (Aachen) sowie Loft 2ndFloor (Köln);
hier Samuel Gapp (l) und Felix Hauptmann (r) am 13.01.23
Samuel Gapp Felix Hauptmann 1

Je 10.000 € erhalten ZAKK (Düsseldorf), Black Box im Cuba (Münster), Bunker Ulmenwall (Bielefeld), Goldkante (Bochum) und das Domicil (Dortmund).
5.000 € gehen jeweils an In Situ Arts Society (Bonn), Jazz Initiative Dinslaken, Jazzkeller Krefeld, Jazzschmiede Düsseldorf und King Georg (Köln).

erstellt: 19.01.23
©Michael Rüsenberg, 2023. Alle Rechte vorbehalten

Gerd Dudek, 1938-2022

Im Sommer sah ich ihn noch am Decksteiner Weiher; ein älterer Herr unbestimmten Alters, trotz der Hitze schwarz gekleidet, mit Jacket.
Im Vorbeijoggen erkannte ich ihn, warf grüßend die recht Hand in die Höh´. Als ich ihn beim nächsten Mal schon von weitem auf einer Bank sah, startete ich das „Hallo“ frühzeitig mit beiden Händen.
Zwischen 1974-80 wohnten wir Haus an Haus in Sülz; einmal sah ich ihn beim Verlassen des Hauses, einen Saxophonton habe ich von dort nie vernommen (warum auch sollte er in einer Mietwohnung üben?)
csm dudek gerd dez 21 live 3a8cc08b2cEr war der große Schweiger der Kölner Szene. Das berühmte Diktum, der Musiker XYZ drücke sich durch sein Horn aus, traf auf ihn in besonderem Maße zu.
Und es waren nicht nur in Köln etliche, die genau das hören wollten.
Er kam dorthin aus Siegen. Mit 14, 15 spielte er Altsaxophon in einer lokalen Big Band, irgendwann tourt eine professionelle Big Band durch die Stadt, er schließt sich an, zusammen mit seinem Bruder Ossi. Den Job als Bauzeichner hängt er an den Nagel und tingelt die zweite Hälfte der 50er durch die Lande.
Wohin und wann genau, ist schwer zu rekonstruieren; aber dem talentierten Nachwuchsmusiker (so jedenfalls geht es aus einem Gespräch mit Karsten Mützelfeldt hervor) präsentiert sich die junge Bundesrepublik keineswegs düster & muffig, wie immer die Rede davon ist.
Frankfurt, Hanau, Bad Kitzingen, Stuttgart, Jazzclubs der US-Soldaten, große Hotels, nicht nur Jazz, sondern viel, viel Tanzmusik, "die großen Hotels, die waren eigentlich fantastisch für damalige Zeiten, drei Monate in Garmisch im Sommer, das war wie der beste Urlaub".
Hamburg nicht zu vergessen; "ich habe noch Bilder (lacht) mit Oscar Pettiford, ich als 18-, 19-jähriger", im November 1958 sein erster NDR Jazzworkshop mit Pettiford, Kenny Clarke, Hans Koller, Attila Zoller.
Im Februar 1960 holt ihn Kurt Edelhagen in sein Orchester. 1964, die UDSSR-Tournee macht er noch mit; Leningrad zum Beispiel, Frühstück im großen Hotel, "am Nebentisch sitzt Marlene Dietrich!"
Obwohl der Saxophonsatz von Edelhagen "für mich eine unglaubliche Schule war", steigt er im selben Jahr aus; zu viele TV-Shows, zuviel Warterei.
Stilistisch (wenn wir in dieser Hinsicht dem damaligen Eindruck von Manfred Schoof folgen) gleicht er nicht nur Stan Getz, "man konnte keinen Unterschied feststellen, auch mit der gleichen Technik" (in Kisiedu, "European Echos: Jazz Experimentalism in Germany, 1950-1975", Diss, 2014).
Mitte des Jahrzehnts verlagert sich Dudeks stilistischer Schwerpunkt auf das Avantgarde-Dreieck Köln>Wuppertal>Frankfurt.
Als Startpunkt in der Domstadt schält sich der „Kintopp Saloon“ heraus, der Legende nach ein Gewusel aus Edelhagen-Musikern und Amateuren auf 42qm.
Schlippenbach, Liebezeit, Niebergall, Dudek, die späteren Mitglieder des Manfred Schoof Quintetts, aber auch des Globe Unity Orchestra, sie entledigen sich der Bestandteile der Jazztradition dort erfolgreicher als des verrotteten Kintopp-Klaviers - es soll auf Entsorgungsfahrt mit einem anderen Wagen zusammengestoßen sein.
1971 ist Dudek erneut in Frankfurt/Main, nun als Mitglied des Albert Mangelsdorff Quintetts. Es war eine Rückkehr, schon Ende der 50er hatte er beim damals noch nicht "amtierenden Posaunenweltmeister" dessen Saxophonisten Heinz Sauer gelegentlich vertreten.
Dort, so hebt ein Autor hervor, wirkt er am 24. März 1968 tatsächlich mit „bei der Erstaufführung von Peter Brötzmanns ´Machine Gun´“  - beim Deutschen Jazzfestival, vier Tage vor der Aufzeichnung des später legendären Albums in Bremen (dann ohne ihn).
Demselben Autor (Wolfram Knauer) verdanken wir den Hinweis auf das Namensspielerische Stück „Do dat Dudek“, das auf dem Joachim Kühn-Album „This Way out“ (1973) so abgeht, wie der Titel lautmalerisch verspricht: Ornette Coleman-artiges Thema, ein Coltrane´nesk flüssiges Tenor, ein motivischer Improvisator.
Das war sein Markenzeichen, ein technisch brillantes, glänzend angepasstes Tenor, das er - auch auf dem Sopran - beibehielt bei seiner langen, seltenen Doppelgleisigkeit: in der Avantgarde und  im Modernen Mainstream, in dem man ihn in den letzten Jahren überwiegend antreffen konnte.
Gerd Dudek Kreuz 1Kein Zufall, dass sein Tod von einem in Köln maßgeblichen Musiker auf diesem Sektor verkündet wurde,
vom Pianisten Martin Sasse.
Gerhard Rochus „Gerd“ Dudek
, geboren am 28. September 1938 in Groß Döbbern bei Breslau, verstarb am 3. November 2022 in Köln, er wurde 84 Jahre alt.

Über sechs Jahrzehnte war er der Kölner Lyrikerin Ingeborg Drews (1938-2019) verbunden, zuletzt noch am 29. Juli 2022 spielte er anlässlich einer Lesung ihrer Gedichte, u.a. deren Lieblings-Song "Nature Boy" (ab 1:29:50).
Die Beerdigung fand am 23. November 2022 auf dem Hermelsbacher Friedhof in Siegen statt, gefolgt von einem Farewell Concert am 24. Januar 2023 im Stadtgarten Köln.
Am 11. Februar 2023 ein ausführlicher Nachruf in SWR 2.
Manuskript

Foto: Gerhard Richter (Gerd Dudek)
erstellt: 05.11.22 (ergänzt am 08.11.22 und 23.11.22)
©Michael Rüsenberg, 2022. Alle Rechte vorbehalten

 

 

 

Jeff Beck, 1944-2023

Jeff BeckVielleicht gibt sich demnächst eine/r der elektrischen Kunst auf sechs Saiten Kundige/r die Mühe, ähnlich wie Ethan Iverson, aus subjektiver Perspektive, aber penibel, den Größten zu selektieren.
Iverson hat aus den Big Four des Jazzpianos seinen Favoriten destilliert.
Warum nicht aus Jazzperspektive nun mal den größten Rockgitarristen wählen?
Eric Clapton käme sicher nicht in die engere Wahl, vermutlich blieben nur Jimi Hendrix und Jeff Beck übrig.
Aber, wäre das nicht spannend genug?
Sicher, im Falle Hendrix, fielen die persönlichen Beziehungen prominenter aus; immerhin hat er mehrfach Miles getroffen.
Beck aber hat mit John McLaughlin gespielt, mit Stanley Clarke, mit Jan Hammer, Eddie Harris, nicht zu vergessen Will Lee, auf „Oh!“ (in puncto Grooves ein Hammer-Album!), wo Beck in Hendrix´ „Driftin“ davonschwebt, als sei das Stück immer seines gewesen.
Beck hat Jazzmusiker interpretiert: John Lewis, Charles Mingus, Billy Cobham, John McLaughlin.
In der Hauptsache aber: was für ein timing, das Blues-Feeling, die Blues-Triller, die vamps, die „Stottermelodik“, die extremen bendings, die schweren Shuffle-Grooves, die abrupten Klangfarben-Wechsel, das kontrollierte Feedback!
(Für Jazz-Ohren) das alles in höchster Konzentration auf „Performing this Week“, dem Live-Mitschnitt aus einer Woche im Ronnie Scott´s Club zu London, 2007.
Gerade seiner Andersartigkeit wegen verehren ihn Jazzmusiker. Oder, wie einer von ihnen, Mark Wingfield, in London Jazz News schreibt:
"Mit ein oder zwei Noten auf der Gitarre viel zu sagen, erfordert einen ganz anderen Bereich von Handwerk und Hingabe. In diesem Bereich war Jeff ein Meister. Man hörte ihn zwar nicht 16tel-Noten-BeBop oder Tonleiterläufe spielen, aber was er mit einer Handvoll Noten oder sogar nur einer einzelnen Note anstellen konnte, konnte einen um den Verstand bringen".
(hier ringt der professionelle Beobachter Rick Beato um Worte, um seine Begeisterung auszudrücken.)
Geoffrey „Jeff“ Arnold Beck, geboren am 24. Juni 1944 in Wallington/Surrey, verstarb am 10. Januar 2023 in Wadhurst/East Sussex an bakterieller Mengenitis.
Er wurde 78 Jahre alt.

Foto: Mandy Hall (CC BY 2.0)
erstellt: 12.01.23
©Michael Rüsenberg, 2023. Alle Rechte vorbehalten

Der Herr der Fusionen

kevin fellezs columbia

 

 

 

 

 

 




Kevin Fellezs
ist der neue Direktor des Center for Jazz Studies an der Columbia University in New York City, er folgt in dieser Funktion u.a. George Lewis. Der Institution ist er seit 2012 als Assistenzprofessor verbunden.
Fellezs - Vater aus Hawaii Mutter aus Japan - stammt aus einem schwarzen Arbeiterviertel in San Francisco, „heute sehr gentrifiziert“.
In Angela Davis hatte er eine frühe Mentorin an der University of California in Santa Cruz.
Am 14. Oktober veranstaltet Fellezs in NYC einen Kongreß „Fusion: Remixing Jazz, Rethinking Genre in the 21st Century“.
„In diesem Zusammenhang werde ich die Gemeinschaften jenseits des rassischen Binarismus von Schwarz und Weiß beleuchten, in den ein Großteil des amerikanischen Jazzdiskurses immer noch verstrickt ist, um über die Beteiligung von Asiaten und Lateinamerikanern an dieser Musik nachzudenken“.
Angesichts zunehmender Tendenzen, Jazz als afro-amerikanisches Phänomen zu reklamieren, kann man Fellezs´ Perspektive, zumal an der Spitze einer solchen Institution, nur begrüßen.
Er hat sie, eine Fusions-Perspektive, auch in seinen Publikationen dargelegt, zuletzt in einem Band über die Traditionen der Hawaii-Gitarre, über Heavy Metal oder über Jazzrock („Birds of Fire. Jazz, Rock, Funk, and the Creation of Fusion“, 2011).
Von seiner Webseite lassen sich mehrere seiner Essays kostenlos herunterladen, darunter jüngst eine Arbeit über Steely Dan oder auch über Tony Williams Lifetime (2010)

erstellt: 12.10.22
©Michael Rüsenberg, 2022. Alle Rechte vorbehalten


helping Victor Lewis

Victor Lewis 9814Als die Nachricht kam, haben wir gleich noch einmal „Eeeyyess!“ aufgelegt, nach Legionen von Aufnahmen als sideman sein eigenes Album von 1996.
Und gleich danach „Post-Motown Bop“, das Album in Co-Leadership mit Bobby Watson & Horizon von 1990, Neo Hardbop in Vollendung, in dem er brennt wie sonstwas.
Neo Hardbop mit einem Schuß Latin; sein sich überstürzender über uptempo swing „Bah-Da-Da-Da-Dah-Dah“ oder sein auftrumpfendes „7th Avenue“ (im 7/4-Takt).
Dann, zur Abkühlung, der stolzierende Slow-Funk „Healing Power“ von Carla Bley („Sextet“, 1986), wo Hiram Bullock (1955-2008) einen nochmal bluesigeren Mike Stern gibt.
Oder, noch mal seine irrwitzige Anekdote über Pat Metheny in seinem jazzcity-Fragebogen von 2001.
Die Nachricht: Victor Lewis, 72, der rundum geschätzte Schlagzeuger, leidet an einer Nervenerkrankung, die ihn nicht mehr seine Beine bedienen lässt.
Ethan Iverson wümscht in seinem Blog Transitional Technology in einem ausführliches Schnellportrait:
„The whole jazz community loves Victor Lewis and prays for a speedy recovery“.
Und man kann dazu beitragen. Der Club Smalls in New York City hat einen Fundraiser eingerichtet.

Foto: Rainer Ortag
erstellt: 11.01.23

©Michael Rüsenberg, 2023. Alle Rechte vorbehalten

Pharoah Sanders, 1940 - 2022

Pharoah and the Underground Pharoah Sanders 01Obwohl er noch „in hohem Alter“ regelmäßig aufgetreten sein soll, bleibt dies zumindest diskografisch eine Leerstelle, jedenfalls im Hinblick auf Aufnahmen in eigener Regie.
2021 meldete er sich, nach 20 Jahren Pause, diesbezüglich zurück, mit einer Produktion, in der der britische Elektroniker Floating Points vor dem großen Vorhang des London Symphony Orchestra ihn allerdings wie einen Gast ausstellt, „Promises“.
Ein Album, so darf man freundlich sagen, das „kontrovers“ diskutiert wurde, von einer Mehrheit enthusiastisch begrüßt, von einer Minderheit, zu der wir uns zählen, kritisch beurteilt.
Nun wird es fleißig aufgerufen, aber als „Vermächtnis“ zählt dann doch eher sein Album „Karma“ (1969), darauf der „wahrscheinlich einzige Megahit des Avantgarde Jazz“ (SZ), nämlich „The Creator has a Masterplan“, gesungen und stellenweise gejodelt von dem beeindruckenden Leon Thomas (1937-1999).
Ob dies ein „Megahit“ oder überhaupt ein Hit war, sei dahingestellt.
Nicht ganz falsch aber ist das Gemeinte, die New York Times nennt es „einen Gipfel des hingebungsvollen Free Jazz“ und zielt damit auf das Einfache im Komplizierten:
ein schlichtes Kernmotiv, verwandt dem von John Coltrane in „A Love Supreme“ (1964) und andererseits sich überbietende Expression, bis zur Auflösung von Tonalität und Metrum.
Es war Coltrane, an dessen Seite er ab 1965 zu der Größe wuchs, die ihn befähigte, nach dessen Tod (1967), zunächst auch mit der Witwe Alice, das Erbe fortzuführen - ohne vom Ton her dessen clone zu sein.
Coltrane hatte ihn in seinem eigenen Quintett entdeckt, dessen Plattendebüt vom September 1964 („Pharaoh Sanders Quintet“) mit einem Vokalverdreher falsch betitelt ist.
Den Namen „Pharoah“ nahm er auf Anraten von Sun Ra an; eine seiner ersten Stationen in New York City, wo er 1962 noch unter seinem Geburtsnamen Ferell Sanders eingetroffen war.
Das, was sich mit spirituellen Titeln („Black Unity“, „Elevation“, „Journey to the One“), erweitert auch um afrikanische und indische Einflüsse ausdehnte, bis hin zu einem Ausflug in den Schmusejazz („Love will find a way“, 1978), gab schon damals und erst recht heute wieder Anlaß zu kosmischen Deutungen seiner Musik, die nicht selten eben auch komisch sind.
Er war ein herausragender Tenorsaxophonist, gelegentlich auch Sopransaxophonist und Flötist, eine jazz-historische Gestalt.
Ob auch ein „Visionär“, wie oft herausgestellt, wäre eine eingehende Untersuchung wert - die sich nicht von Titeln verführen lässt.
Pharoah Sanders, geboren als Ferell Sanders am 13. Oktober 1940 in Little Rock/AR, gestorben am 24. September 2022 in Los Angeles, kurz vor seinem 82. Geburtstag.

Foto: Oliver Abels/Wikipedia
erstellt: 26.09.22
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Applaus "Applaus 2022"!

Klaus und Rita Applaus 1Man möchte dieser Tage wirklich nicht mit Claudia Roth tauschen.
Probleme an Stadtschloß und Humboldtforum, die FAZ quittiert ihr Wirken als Kulturstaatsministerin mit  „Das verlorene Jahr der Kulturpolitik“.
Schön, dass sie dem Berliner Treibhaus für einen Abend entkommen und in Erfurt wortwörtlich Applaus spenden konnte, indem sie 2,45 Mio Euro an Bedürftige verteilt, die nun wirlich keine größeren Summen gewohnt sind.
So partizipiert die Peter Kowald Gesellschaft/ort e.V. Wuppertal zum zweiten Mal in Folge und zum fünften Male insgesamt an der Spielstättenförderung des Bundes.
Dies zwar nur in der untersten Kategorie „beste kleine Spielstätten und Konzertreihen“, wo 10.000 Euro eine Menge Geld sind.
Zufällig befanden sich unsere "ort"-Freunde Rita (Küster) und Klaus (Bocken) gleich neben dem Fotografen (Michael Reichel), und so begann Claudia Roth das erste von rund 100 Gratulationsfotos mit ihnen.
Wir gratulieren herzlich.

erstellt: 17.11.22
©Michael Rüsenberg, 2022. Alle Rechte vorbehalten

Herbie, Chick, Keith oder doch…McCoy?

Ethan Iverson unternimmt auf twitter, woran sich sonst ohne Gesichtsverlust wohl keiner wagen würde:
er stellt ein ranking auf unter den seines Erachtens (und viele werden ihm da folgen) vier besten Jazzpianisten:
„I grew up with the big four: McCoy Tyner, Herbie Hancock, Keith Jarrett, and Chick Corea. There are many other pianists who are just as great but somehow those were the four, at least for my generation“.
Er wägt, differenziert, relativiert - und kommt dann doch zu einem Schluss, nämlich…ach lesen Sie selbst!

erstellt: 21.09.22
©Michael Rüsenberg, 2022. Alle Rechte vorbehalten