Hermeto Pascoal, 1936-2025

Hermeto Pascoal by Gert ChesiEs muss vor 2005 gewesen sein, vor dem Umzug in die Hansastraße, noch im alten Domicil Dortmund in der Leopoldstraße, in der Kelleretage unter einer Kindertagesstätte.
Steffen Schorn steht an der Theke. Der zweite set läuft bereits, gleich wird er „auf die Bühne“, unter die Musiker gerufen werden. Ein deutscher unter brasilianischen. Sein Name ertönt, er kippt einen Korn in sich ´rein, schnappt sein Baritonsaxophon und pflügt sich durch nach vorne.
So einer muss keine Auftrittsangst bekämpfen, er tankt, um rasch auf die Flughöhe zu gelangen, die ihm vorgegeben ist.
Schorn hat Jahre vorher schon mit Hermeto Pascoal gespielt, in Rio, 2018 wird er es wieder tun, in Oslo. Da inszeniert er mit dem ältesten Ensemble Norwegens, dem Norwegian Wind Ensemble, „Hermeto´s Universe“.
Der Titel ist korrekt gewählt. Pascoal war ein Universalist, sein musikalisches Feld ein eigenes, kleines Universum.
Die Parole, er sei „Brasiliens Antwort auf Sun Ra“, greift viel zu kurz.
Jazz-Ohren kam er 1970 unter, zeitgleich bei Duke Pearson, Donald Byrd und insbesondere Miles Davis. Unter den Studio-Tracks von „Live Evil“ waren allein drei - einanander sehr verwandte - Stücke von ihm.
Miles nannte ihn „einen der wichtigsten Musiker auf dem Planeten“.
Airto hatte ihn in die USA mitgenommen, in Rio war er seit 1964 Mitglied von dessen Quarteto Novo.

Pascoal war Multiinstrumentalist. Neben seinen Hauptinstrumenten Piano und Flöte bediente er eine Vielzahl von Gegenständen, galten sie nun offiziell als Instrument oder nicht. „Wo immer ich bin, gibt es ein Instrument. Ein Stuhl ist ein Instrument. Ein Tisch ist ein Instrument. Es gibt so viele Instrumente.“
Das konnten auch quiekende Schweine sein, wie auf seinem Album „Slaves Mass“ (Missa Dos Escravos, 1976).
Oder ein Glas Wasser, in das er auf seinem letzten Album hineinsingt: „Pra Você, Ilza“, ein akustisches Denkmal für seine erste Frau Ilza da Silva, mit der er 40 Jahre lang verheiratet war.
Er kam aus einer Bauernfamilie im Nordosten Brasiliens; er war, wen wundert´s, Autodidakt.
Albino zu sein, begünstigte sein zielloses Lernen von Instrumenten: er musste wegen der für ihn gefährlichen tropischen Sonne nicht auf dem Feld arbeiten.
Mehr als 2.000 Stücke soll er geschrieben haben, „der Hexenmeister, der Zauberer“, wie man ihn in Brasilien nennt. Die Melodik, mit ihren schnellen, verwegenen lines vielleicht ein wenig mit Zappa vergleichbar. Die Stilistik, ein Mix aus viel Landeseigenem, Foro, Bossa Nova, Jazz, manchmal in durchaus zickigem swing - ein Unikat.
Hermeto Pascoal, geboren am 22. Juni 1936 in Lagoa da Canoa, verstarb am 13. September 2025 in Rio de Janeiro, „an multiplem Organversagen“, wie es heißt. Er wurde 89 Jahre alt.

Foto: Gert Chesi
erstellt: 15.09.25

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