Mika Kaurismäki
Every Note you play
82 min
ZDF/arte. Deutschland, 2025
Kinostart 26.06.25


Diese Doku über die Monheim Triennale II The Prequel 2024 beginnt mit einer Inszenierung.
Die Monheim Triennale, das ist (abgesehen vom Jahrgang 2023) das Festival auf der MS Rheinfantasie. Alle Besucher kennen das Schiff seit Jahren am Anleger von Rhein-km 714, für ein paar Tage.
(Das Festival startet erneut am 02.07.; ob es, wie vor Jahren geplant, 2026 in der Kulturraffinerie ein paar Meter weiter einziehen wird, hängt nicht nur vom Fortgang der Bauarbeiten ab, sondern auch von der kommenden Kommunalwahl).
Wohl niemanden dürfte bislang interessiert haben: von wo kommt das Schiff eigentlich dorthin? Kommt es von strom-aufwärts oder -abwärts?
Es kommt aus Köln, es kommt von strom-aufwärts. Zwischen Hohenzollernbrücke und Zoobrücke, auf dem Oberdeck der MS Rheinfantasie, startet die Doku von Mika Kaurismäki.
Kaurismaki   Shahzad   Schiff   1Die Fahrt ab Rhein-km 689 konzentriert sich auf zwei Personen an Bord, zwei aus den 16 signiture artists des Festivals: seit Monaten wissen sie, dass sie in Monheim spielen und wen sie dort treffen werden.
Gleichwohl fragt die eine, Ganavya Doraiswamy (geboren in Indien, Wohnsitz London), den anderen ganz unschuldig „wo bringst du mich hin?“. Woraufhin dieser, Shazad Ismaily aus New York, seinen amerikanischen Akzent eindrucksvoll herunterdimmt zu einem breiten „Monheim! Monheim am Rhein!“
Das macht er so gut, dass er auf ihre Bitte hin den Flussnamen wiederholt. „Am Rhein!“
Und sie gibt sich völlig überrascht, dass das Schiff, auf dem sie nun doch schon eine Zeitlang sich befinden, eine Bühne sein wird, „unsere Bühne“.
Die Szene hat etwas Heiteres, Friedvolles. Er spielt Gitarre, sie singt. Sie tändeln, sie flirten.
Es ist der inszenierte Einstieg in eine Doku, vermutlich auch angelegt im Blick auf eine ihrer Distributionsformen, nämlich die Ausstrahlung auf arte, wo man - da es keine Programmansage gibt - die Zuschauer bekanntlich gerne dort „abholt, wo sie sind“.
In der Szene auf dem Oberdeck steckt der Kern von Kaurismäkis Herangehensweise an ein Projekt, von dem er vorher nichts wusste und bei Festivalschluß lediglich „eine vage“ Idee hatte, wie - hier passt das Wort - die überbordende Fülle des Materials von zwei Kamerateams zu ordnen sei (unter uns: an die 100 Stunden audio-visuelle Datenfiles).
Er nutzt Shahzad als Inkarnation eines roten Fadens, gleichsam als anchorman für diesen Film. Der hält die Teile zusammen.
Man sieht den Mann in mehreren Rollen, und nicht nur als Multiinstrumentalist. Wenn er über sich selbst sagt, „ich gebe in gewisser Weise den Ton an“, spricht daraus keinerlei Hybris. Shahzad ist ein Sympath.
Der Regisseur musste Shahzads Rolle gar nicht erfinden, er hat sie lediglich ein wenig herausgestellt. Der hatte sie von Anfang an, als eine Art Tausendsassa mehrer Festivals. Oder subtiler formuliert: Shahzad Ismaily ist der artistic spirit der Monheim Triennale (nicht unbedingt ihr exponiertester signiture artist), ein ungemein kontaktfreudiger Künstler für viele Gelegenheiten.

Kaurismaki PlakatDas Festival dauerte drei Tage, fünf Tage hat Kaurismäki vor Ort gedreht.
Es hat sich ausgezahlt, den Arbeitstitel „Three days in Monheim“ aufzugeben zugunsten des viel allgemeineren „Every note you play“.
Die 82 Minuten aus dem finalen Schnitt dokumentieren auf spezifische Weise nämlich nicht nur den Ablauf einer Veranstaltung sowie die Motive und Ambitionen ihrer Akteure. Sie schließen auch die Festivalbesucher mit ein (ohne dass sie zu Wort kämen), ebenso die Stadt, die bis dahin ein solches Kulturgewicht sich erlauben konnte.
Vertreten durch einen Bürgermeister, Daniel Zimmermann, der in vorzüglichem Englisch darlegt, dass die Stadt zu jedem Bereich der kulturellen Bildung lokal „ein Pendant in der internationalen Kunstwelt“ suchte - und in der Monheim Triennale fand.
Zimmermanns Auftrag, ein Jazzfestival in der Stadt, stieß bei Reiner Michalke auf Ablehnung:
„Jazz ist Musik des 20. Jahrhunderts, was schön ist, aber es gibt genug Festivals, die das machen, und da braucht man nicht noch ein Festival“.
Dem durch das Moers Festival sowie Jahrzehnte im Kölner Stadtgarten gestählten Programmmacher gefiel nach langen Gesprächen das vom Bürgermeister modulierte Motto „Documenta der aktuellen Musik“.
Es liegt weit außerhalb des Radius einer solchen Doku, der semantischen Aura dieses Begriffes nachzugehen (zumal das Festival jüngst ein Foto veröffentlicht, das u.a. Renate Baum von der Gerhart und Renate Baum Stiftung 2021 an Bord des Schiffes in Monheim zeigt.) Die Witwe des FDP-„Urgesteins“ fördert in Köln namens der Stiftung ebenfalls „aktuelle Musik“, meint damit aber etwas ganz Anderes, nämlich verschriftlichte Neue Musik.
In Monheim aber, das macht schon der Vorspann klar, treffen sich KünstlerInnen zu „einem musikalischen Abenteuer mit offenem Ausgang“. Auf gut Deutsch: zu einem Fest der Improvisierten Musik. Ganz überwiegend handeln davon die Bilder und die Worte dazu.
Es geht los mit „Round Robin“: zwei Teinehmer auf der Bühne, fliegender Wechsel, nach 2-3 Minuten tritt einer ab, eine nächste nimmt den Platz ein - und dreht die Richtung der Musik.
Hier entfaltet Mika Kaurismäki sein enormes Handwerk, gewonnen aus der Beschäftigung mit ganz anderer Musik, mit Rockmusik, viel mit brasilianischer Musik. Aus etlichen Kameraperspektiven, sehr klug geschnitten, vermittelt er einen repräsentativen Eindruck von Klangästhetik und Abläufen in dieser Musik.
Vor allem beeindruckt seine dichte, niemals hektische Folge von Schnitt & Gegenschnitt. Frühzeitig, schon mit den ersten, sehr geräusch-gesättigten Tönen des Trompeters Peter Evans, bringt er im Zwischenschnitt wieder den Narrator des Filmes ins Bild, Shahzad Ismaily. Zuhörend.
Monheim 2024 yuniya    1Kaurismäkis Bildsprache kennt nicht das Herumzoomen konventioneller TV-Aufzeichnungen, sie verschränkt Performance & Rezeption, KünsterInnen und Publikum; am dichtesten in der Marienkapelle, einem weiteren Spielort des Festivals, in meditativer Anteilnahme.
Zwei Solo-Performances dort gewährt er mit je fünf Minuten die größten Musikanteile des Filmes, nämlich der koreanisch-amerikanischen Violinistin/Sängerin yuniya edi kwon und des afro-amerikanischen Altsaxophonisten Darius Jones. Zwei auch aus Kritikerperspektive Höhepunkte des gesamten Festials.
„Every Note you play“ ist durchsetzt von Interview-Statements der Beteiligten. Die meisten handeln von ihren individuellen Intentionen, vom Lob der Spontaneität. Im Falle von yuniya edi kwon glückt dem Regisseur, ihre Intention durch die Bilder ihrer Performance belegen zu können. Die Violinistin sagt im Film:
„Man hat die Verantwortung, das Publikum von Anfang bis Ende zu führen zu begleiten. Man trägt sie, man lässt sie nicht in der Mitte fallen. Man kann nicht einfach kurz unterbrechen und dann weitermachen. Vom ersten Moment bis ganz zum Schluß hält man sie fest.“
Im diametralen Gegensatz dazu die australische, in Köln lebende Posaunistin Shanon Barnett:
„Ich versuche immer, so ehrlich wie möglich zu sein. Für mich bedeutet das, sich keine Sorgen darüber zu machen, was auf der Bühne passiert, sich keine Gedanken über das Publikum zu machen und nicht an Erwartungen zu denken.“

Ob solche Versprachlichungen die unterschiedlichen Personalstile erklären? Ob sie überhaupt etwas erklären? (Die beiden Künstlerinnen konnten musikalisch in Monheim bestens kommunizieren.)
Kaurismäki lässt diese Konfessionen unkommentiert, auch offenkundig sachfremde Aussagen (Ludwig Wandinger: „manchmal entscheiden die Ohren sogar schneller als das Gehirn“).
Eine Doku wie „Every Note you play“ ist keine Rezension, kein Film-Essay; sie ist auch keine Reportage, als solche wäre sie zu einer repräsentativen Abbildung verpflichtet.
Monheim TangSo fehlt im Film z.B. ein signature artist, der/die sich dem Geist der Kooperation konsequent verweigerte (und die Festivalleitung im letzten Jahr beschimpfte): Terre Thaemlitz. Auf dem Filmposter ist sein Name mit dem von Achim Tang getauscht. Das ist keiner der signature artists, aber als artist in residence der Triennale übers ganze Jahr in Monheim präsent. Er hält Kontakt zu Vereinen und Schulen. Er ist im Vorfeld tätig.
Auch das ist ein Spezifikum dieses Festivals, die Verknüpfung von Stadt und Event. Und es zählt zu den eindrücklichen Szenen des Filmes, wenn die 12jährige Lisa in der Musikschule den Einsatz gibt für ein bunt-gemischtes Ensemble aus Anfängern (Tang hinten am Kontrabaß) und ein Kinderchor mit leuchtenden Wangen auf der Hauptbühne im Schiff singt, mittendrin Darius Jones, Achim Tang. Und natürlich Shazad Ismaily.
In der Hauptsache schafft „Every Note you play“ ein Abbild Improvisierter Musik zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort mit einem bestimmten Personal. Es ist ein Bild aus der Perspektive von Mika Kaurismäki, ein eindrucksvoll verdichtetes, ein idealisiertes Bild, eine Hommage, deren Höhepunkte nicht immer mit der Wahrnehmung des Rezensenten im Konzert kongruent sind.
Der hört und liest die Einlassung von Heiner Goebbels nun mit einem ganz anderen Verständnis: „Wenn das Publikum bereit ist, Höhen und Tiefen zu akzeptieren, dann ist es ein echter, wunderbarer Teil davon.“
So ließ die erste Begegnung des Pianisten mit der schottischen bagpipe-Spielerin Brighde Chaimbeul (im Gegensätz zu späteren) nicht unverzüglich auf den oberen Teil der Wertungsskala blicken - im Film hingegen grundieren dieselben Töne & Bilder den schwebenden, wehmütigen Abschied von der MS Rheinfantasie, zusätzlich überschrieben mit einem Panorama aus einem der zahlreichen Kamera-Drohnenflüge über den Rhein-km 714. Hinreissend.

PS: Der Schachzug von Festival-Intendant Reiner Michalke, die Dokumentation der Monheim Triennale durch einen renommierten Vertreter einer populäreren Kunstgattung seinerseits zu einem Kunstwerk zu machen, ist voll aufgegangen, auch im Hinblick auf die werbliche Wirkung.
Denn wenn das Großfeuilleton schon nicht zur Triennale selbst anreist, so besucht es doch die Film-Previews, auch wenn „Every Note you play“ dabei mehr den Anlaß eines neuerlichen Mika Kaurismäki-Porträts liefert (FAS, 21.06.25).
Sogar ein Mainsteam-Medium, die „Kulturzeit“ auf 3SAT, schließt sich an, wo doch zuletzt von der Mutter ZDF der freundlich-strenge Christian Sievers vor Ort war, um den Bürgermeister zu der neuerlichen Verschuldung der Stadt einzuvernehmen.

erstellt: 19.06.25
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