Anfangs nannten wir sie „Yoruba-Prinzessin“; sie war jung, hübsch und wurde auf Covers auch so inszeniert. Für uns sah sie aus wie eine Angehörige vom Stamm der Yoruba in Nigeria, jedenfalls wie wir sie auf den Straßen von Lagos Mitte der 80er meinten identifiziert zu haben.
Sie bedurfte dieses Bonus´ gar nicht. Ihr Klavierspiel war von Anfang an so hypnotisch, dass wir sie genausogut princess of vamps hätten taufen können.
Ähnlich klingt es in der Beschreibung von ex-Mahavishnu-Bassist Ralphe Armstrong: „Sie war der weibliche Herbie Hancock des Pianos“ - ein Satz, den man, gut gewürzt mit einer Prise Sexismus-Verdacht, mit Leichtigkeit missverstehen kann.
Aber Armstrong weiß, was er sagt. Er kannte Geri Allen seit dem 14. Lebensjahr, aus der Cass Technical High School in Detroit. Seinen Satz versteht er als Vorhalt zu dem Hinweis, sie habe „dieselbe Rhythmusgruppe wie Miles Davis“ eingesetzt (Ron Carter, Tony Williams, „Twenty One“, 1994).
„Um mit einer solchen Rhythmusgruppe arbeiten zu können“, nun der volle Armstrong, „muss man zur Elite gehören“.
Und Geri Antoinette Allen, geboren am 12. Juni 1957 in Pontiac/Mich., aufgewachsen in Detroit, die Mutter Regierungsangestellte, der Vater Schuldirektor, gehörte zu Eliten.
Von der Ausbildung her: Jazz-Bachelor an der Howard University in Washington D.C., ein Master in Musikethnologie an der University of Pittsburgh. Die letzten vier Jahre ihres Lebens hat sie dort verbracht, als Professorin dieser Universität und Leiterin des Jazz Studies Programme.
Ihre Wiederkehr 1982 nach New York City (wo sie zuvor von Kenny Barron unterrichtet worden war) führte sie gleich wieder in eine Elite: mit der Rhythmusgruppe Anthony Cox, b, und Andrew Cyrille, dr, entstand 1983 ihr Debütalbum „The Printmakers“.
Schon dort und gleich im Anschluss in der M-Base Community fällt sie auf mit ihren „craggy rhythms“, den „zerklüfteten“ Rhythmen, wie sie ein Detroiter Klassik-Kritiker nicht ganz unzutreffend beschrieben hat:
riffs, vamps, häufig ungerade, häufig afrikanisch inspiriert.
„Die Musik in den meisten afrikanischen Gesellschaften integriert alle Künste, insbesondere Tanz“, hier spricht 2012 die ausgebildete Musikethnologin. Und sie spricht implizit auch über die eigene Praxis (zu der später auch ein tap dancer gehört).
Der Jazzteil ihres artist statement klingt 1996 so: „Mein Interesse heute besteht in dem Versuch, sehr sorgfältig und informiert Herbie Hancock, McCoy Tyner und Cecil Taylor zur Kenntnis zu nehmen; die haben das Piano bis an den Rand gebracht. Meine Herausforderung sehe ich darin, inmitten dieser drei Stimmen meine eigene zu finden.“
Dieses ambitionierte Vorhaben, gar nicht so fern von Ralphe Armstrong, und vielleicht ergänzt um die vierte Stimme „Monk“, ist ihr über weite Teile der 80er und 90er Jahre geglückt; eine Avantgardistin, die tanzt, eine große Stilistin.
Auf mehr als einem Dutzend eigenen Alben und noch mal so vielen Gastauftritten bei anderen kann man das staunend verfolgen, von Betty Carter über Ornette Coleman bis Charlie Haden und Wallace Roney, ihrem Ehemann; mit dem sie drei Kinder hat, inzwischen geschieden.
Spät erst, 2006 und 2011, absolviert sie eine Aufgabe, der man sich als MusikerIN offenbar nur schwer entziehen kann: ein Tribut an eine große VorgängerIN, in diesem Falle an Mary Lou Williams.
Hier sollen nicht Ursache und Wirkung beschrieben werden…aber dies fällt in eine Zeit, wo ihre Entourage nicht mehr durchgängig aus Eliten besteht und der große Ruhm zunehmend historisch aufgeladen erscheint.
Am 27. Juni 2017 ist Geri Allen in Philadelphia einer Krebserkrankung erlegen, kurz nach ihrem 60. Geburtstag.
erstellt: 28.06.17
©Michael Rüsenberg, 2017. Alle Rechte vorbehalten