Eight Days a week - die Cologne Jazzweek 2024 ist vorüber. Der Geschäftführer, der Posaunist Janning Trumann, spricht von einem Rekord: ca 9.000 Konzertbesuche, sprich 4.500 verkaufte Tickets.
Demnach beschränkten die meisten ihren Besuch auf ein oder zwei Konzerte an der location, für die sie ein Ticket erworben haben. Tagestickets liefen nicht so gut. Das Herumreisen (oder sollten wir besser von location hopping sprechen?) zwischen 55 Konzerten (davon 20 kostenfrei) auf 16 Bühnen im gesamten Kölner Stadtgebiet war praktisch undurchführbar.
Selbst Trumann, der ubiquitäre, hat vermutlich nicht alle 50 erlebt.
Wer auch immer sie durchführt, eine Bilanz der Cologne Jazzweek 2024 fällt eben nicht nur subjektiv, sondern auch selektiv aus - ein jeder wird eine andere vorlegen. Ihr gemeinsamer Nenner dürfte positiv sein, ja bis hin zu einer, auch bei strenger Wertung, bis zu einer Innovation.
Der Parcours der Jazzpolizei, wie gesagt, führte durch die acht Festivaltage hauptsächlich an hand von Stationen mit Schlagzeugern, darunter Christian Lillinger allein mit vier Konzerten, sein Partner Elias Stemeseder sogar mit sechs; beide „featured artists“ des Festivals (wie Peter Evans), beide zusammen an drei Abenden.
Der Auftakt als elektro-akustisches Duo im Filmhaus (s.o.) - im Programmheft, man glaubt es kaum, als „Barock des Post-Genres“ angekündigt - mit viel alter, analoger Technik, inklusive Steckverbindungen. Das erfordert viel Handarbeit und mag, teilweise, das doch recht enge Klangspektrum erklären, wie beim Moers Festival aber auch ihren „…umbra“-Alben.
Viele Klangklischees sind darunter (Filter-sweeps, rhythmisches Flackern), bei einem Klangkunstfestival wie „Sonic Acts“ in Amsterdam würden sie damit kaum reüssieren.
Man würde fragen, warum Klangschichtungen fehlen, essentials der Elektro-Akustischen Musik, drones beispielsweise, die einen Boden legten und ein wenig Ruhe brächten in das hektische Addieren von break beats aller Arten.
Was, so ertappt man sich mitunter, geschähe, wenn man den beiden den Stecker zöge? Fielen sie dann zurück auf ihr je eigenes überragendes Talent?
Am sechsten Festivaltag geschah genau das: Stemeseder & Lillinger, rein „akustisch“ mit Peter Evans, tp, und Joe Sanders, b.
Dem Vernehmen nach ein herausragendes Konzert (die Jazzpolizei musste den gesamten Tag leider auslassen, weil mit einer eigenen Veranstaltung beschäftigt).
Zum Festivalabschluss im WDR-Funkhaus Stemeseder & Lillinger erneut in einem elektro-akustischen Quartett - mit ähnlicher Problemlage, aber auch Problemlösung. Drei Musiker auf der Bühne mit Elektro-Beistelltischen:
Elias Stemeseder, keyb, Christian Lillinger, dr, sowie Tim Lefebvre, bg.
Eine Dreiviertel Stunde lang flackert es in gewohnter Manier, von drei Musikern an Potis & Pads sind zwei zuviel. Einer hält sich raus und ist mit repetitiven patterns und Einwürfen doch stets präsent, und das ist der großartige Craig Taborn am Flügel.
Stemeseder gesellt sich an einem weiteren Flügel hinzu, die beiden verstehen sich prächtig, sie führen endlich aus dem Dunstkreis des ewig Semi-Technoiden heraus. Und über den Umweg eines 2-Takte-riffs, das Lefebvre pumpt, fließt das Ganze schließlich in eine Art nocturne.
Das hätte der Schluß sein können. Christian Lillinger hat noch nicht genug; er fummelt an seinem pad an ein paar Krisselsounds, der Rest dreht mit ihm eine Ehrenrunde, die er am drumset beschließt.
78 Minuten Spielzeit, das ist für die Cologne Jazzweek deutlich über´n Durst.
Tags zuvor, im selben Saal, kam der Jazzbegriff unter Stress wie bei keinem weiteren Doppelkonzert des Festivals.
George Lewis´ Gegensatzpaar afrologisch/eurologisch (1996) mochte einem zur Kennzeichnung der erheblichen ästhetischen Differenz einfallen; aber zum einem hat der es selbst 2004 als „unter-theoretisiert“ eingeschränkt und Alan Stanbridge ihm vollends den Garaus gemacht.
Andererseits, dermaßen unterschiedliche Konzepte schreien geradezu nach Typisierung: hier eine weitgehend komponierte Improvisierte Musik, der durch Partituren eingehegter Post FreeJazz von In Cahoots, der - man spinnt die deutsche Übersetzung gerne fort - „unter einer Decke steckt“ mit der Neuen Musik.
Dort der NeoBop von Immanuel Wilkins, formal anspruchslos, nach dem ewigen US-Bandleader-Modell. Der Chef soliert so lange, wie er will, tritt dann in den Hintergrund, und die sidemen übernehmen - aber nicht mal halb so lang.
Alle, aber auch wirklich alle Formen sind bekannt: midtempo und fast swing, Ballade, rubato-Übergang, modale Strecken, Gospel-Momente.
Andererseits, Immanuel Wilkins, erst 27, gibt nun wirklich nicht den Chef. Er hat die wohl aufregendste neue Stimme derzeit auf dem Altsaxophon, insofern träfe auf ihn bestens das Diktum von Bill Evans, wonach es mehr auf das „Wie“ als auf das „Was“ ankomme.
In Wilkins Quartett sitzt ein noch scheuerer Musiker an Piano und Orgel, Micah Thomas, der an diesem Abend nicht gar so viel von seiner Exzellenz zeigt als vor wenigen Monaten gleichfalls in Köln, im „King Georg“. Möglicherweise potenziert also doch die räumliche Enge eines Clubs die Expression der Musiker mehr als die weitläufige Bühne, der Abstand zum Auditorium im Klaus-von-Bismark-Saal.
Gleichwohl, man kann gar nicht anders, als sich von dem meisterhaften „Wie“, also der Interpretation, einfangen zu lassen.
Wobei denn doch die Blues-Ferne für den Afro-Amerikaner Wilkins erstaunlich ist; seine Themen, oft lediglich aus fünf, sechs Tönen, wurzeln wenig in der Bop-Tradition.
Das Quartett von Frank Gratkowski, as, cl, bcl, kbcl, jetzt erweitert um Ingrid Laubrock, ts, zu In Cahoots, siedelt am anderen Ende der Fahnenstange. Auf der mit etwas Fantasie noch der Schriftzug „Jazz“ zu erkennen ist, beruhend auf gemeinsamen Restbeständen in Tongebung & Phrasierung. Aber das Verhältnis Improvisation/Komposition verhält sich umgekehrt proportional.
Wie bei Neondilemma drei Tage zuvor, mit demselben Bassisten (Robert Landfermann), werden die komplizierten Spielzüge von Notenpapier oder, wie beim Bandleader, von einem iPad vorgegeben. Es ginge gar nicht anders. Die verwinkelten Motive, Einschübe, Kontrapunkte greifen weit in die Neue Musik (Gratkowski schreibt in Frankfurt auch für ein Kammerensemble, Laubrock in New York).
Nach 40 Minuten sehen die Vorgaben eine kollektive Explosion in FreeJazz-Manier vor. Die Hörner werden nach oben gereckt, es sieht nicht nur wie eine Befreiung aus, es klingt auch so.
Fotos: Gerhard Richter (Duo), Niclas Weber (Quartet, Wilkins)
erstellt: 08.09.24
©Michael Rüsenberg, 2024. Alle Rechte vorbehalten
PS: Die Moralisierung der deutschen Jazzwelt gewinnt Land, auch die Cologne Jazzweek verfügt nun über einen Code Of Conduct (nicht im Programmheft, wohl aber auf der Webseite).
Der Code bedient sich schamvoll des Englischen, weil das deutsche Pendant „Verhaltenskodex“ in der Überschrift schon vorab das Peinliche, ja das Spießige der Ratschläge ausposaunte. Wer die 50er und 60er Jahre live erlebt hat (jawoll, jetzt alle im Chor „die graue Adenauer-Zeit!“), den erinnern die hier vom Inflationsverb „unterstützen“ aufgebrezelten Binsen an die ungeschriebenen Regeln in der Tanzschule und an die geschriebenen in den katholischen Tugendfibeln jener Jahre.
Dass derlei heute an jazzlocations adressiert wird, mithin an seit Menschengedenken „liberale“ Orte, vom Club über die Philharmonie bis zur Kulturkirche, ist ein Treppenwitz der Jazzgeschichte, eine Tautologie, ein weißer Schimmel.
Ein Luke Mockridge steht dort nicht zu erwarten; schlimmstenfalls der graumelierte, ältere Herr, der nach dem Abschlußkonzert vor der Bühne des WDR-Funkhauses (wie auf Bestellung) irgendwas grölte - und sich rasch trollte, als niemand von ihm Notiz nahm.
Herrje, was haben jene lautstarken Berliner verbrochen, die in den 70er Jahren Herbie Hancock bei den Jazztagen ausbuhten. Carla Bley hat ihnen später ein Stück gewidmet, „Boo to you too“.
Alles, was in dem heutigen Kodex formuliert oder auch nur gedacht wird, ist seit 1949 bestens im Grundgesetz aufgehoben. Selbst der Hinweis „Bei der Cologne Jazzweek gilt das Grundgesetz“ wäre juristisch schon eine Lachnummer gewesen.
Der COC aber - die Jazzpolizei stand noch mit einem/r Vertreter/Vertreterin der Kölner Kulturpolitik beisammen - ist irjenswie einfach da:
... „man macht es heute so“.