Zu den „zwei oder drei Dingen, die (man von ihm) weiß“, gehört, dass Wynton Marsalis so ziemlich als einziger weiß, wo der Jazz beginnt und wo er aufhört (ca 1970). Und, dass er „irgendwas mit Klassik“ zu tun hat.
Zu letzterem zählt, dass Marsalis parallel zu seiner Jazzkarriere, und zwar von Beginn an, eine ganze Reihe von Trompetenkonzerten veröffentlicht hat, von Haydn, L. Mozart, Hummel, Händel, Purcell etc.
Seine Eigenschöpfungen auf diesem Sektor sind drei Sinfonien, ein Violinkonzert und etliches mehr.
Wer nun die Ankündigung des WDR Sinfonieorchesters über ein neues Auftragswerk von His Wyntoness nur oberflächlich las, in der Annahme, es handele sich wohl um ein Trompetenkonzert, lag falsch.
Ein neues von ihm war erst neulich, im April 2024, in der Philharmonie Köln zu hören, aufgeführt von der britischen Trompeterin Alison Balsom mit dem London Symphony Orchestra.
Aus diesem Anlass ist auch die Verehrung der Interpretin für den Komponisten überliefert, die, wie uns Londoner Freunde zuflüstern, recht repräsentativ für die genre-übergreifende Verehrung stehen soll:
„Ich glaube wirklich, dass sein neues Werk das wichtigste und effektvollste Stück für Trompete seit rund 200 Jahren ist, seit Johann Nepomuk Hummels Trompetenkonzert". (Balsom im KStA 20.04.24)
Nachdem der Flügel in der Philharmonie Köln nach Rachmaninow beiseite geräumt war, durfte man den eigentlichen Auftraggeber unverstellt bei der Arbeit sehen: Christian Macelaru, den scheidenden Chefdirigenten des WDR Sinfonieorchesters, „dem Komponisten musikalisch wie freundschaftlich seit langem verbunden“.
Die Geste, mit der Macelaru während der Ovationen die Partitur ins Licht hält, vor Jahren hätte die Jazzpolizei sie für einen Ausweis eben dieser Freundschaft gehalten: schaut´s nur, liebe Leut´, mit welch´ tollem Hecht ich befreundet bin.
Im Zeitalter von KI und nach diesen knapp 40 Minuten hat diese Les- und Hörart vieles von ihrer Arglosigkeit verloren. Im Hinterkopf nistet früh ein Verdacht, dem man in seiner Absurdität gar nicht nachgehen möchte, der sich aber hartnäckig hält - weil die sechs Sätze nun mal so klingen als ob…
Dabei hat hier doch nur jemand sein großes Handwerk ausgestellt. Ein Können, das der Chefdirigent auf dem Papier auf seinem Pult so vorfindet:
„Die Sprache, die er in all seinen Kompositionen verwendet, ist das Idiom des Jazz, doch die Art und Weise, wie er diese Struktur aufbaut, hat klassische Ursprünge. Formen, die auf die Fuge oder Passacaglia zurückgehen, sind in all seinen Kompositionen präsent. Aber er erfindet sie neu, damit sie seiner eigenen musikalischen Sprache entsprechen“.
Das ist formal so was von korrekt, und man wird in der gesamten Historie der abendländischen Musik keine identischen Strukturen finden.
Aber das, worauf die formalen Prinzipien abzielen, nämlich Themen & Strukturen, auf Abläufe, die nachvollziehbar sind, die gar in Erinnerung bleiben, die man unvermeidbar mit „Concerto for Orchestra“ von Wynton Marsalis verbände - Fehlanzeige.
Ein Eindruck, der sich im ersten Satz „♩ = 116 Who struck John?“ einschleicht und der schließlich bei „VI. ♩ = 116 Say What?“ kumuliert: ein musikalisches Disneyland.
Ein Eklektizismus der schönen Stellen & Einfälle, die, immer tonal, nicht zu einer schlüssigen Erzählung finden.
erstellt: 01.02.25
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