What you have missed: Daniel García Diego springt ein

Standards, so die allgemeine Lehre, seien die lingua franca des Jazz.
Wo auch immer Jazzmusiker aufeinander träfen, die zuvor keinerlei Kontakt hatten, sie könnten sich mit Hilfe von Standards, beispielsweise aus dem Great American Songbook, auf eine Performance einigen.
Und die Chance, dass sie dabei den Boden unter den Füßen verlören, sei gering, weil ihnen - siehe oben - die Grundstrukturen vieler Stücke dank Studium und eigener Praxis halt vertraut seien.
Jasper Hoiby Elements   1Als die aus Südkorea stammende Pianistin Chaerin Im am zweiten Tag des 29. Jazzfestivals Münster sehr kurzfristig wegen Krankheit ausfiel und damit der Programmpunkt Jasper Hoiby´s Three Elements auf der Kippe stand, hätte sich der dänische Bassist mit Verlaß auf die lingua franca und mit Hilfe eines(r) der zahlreich dieser Sprache Mächtigen aus der Affäre ziehen können.
Er wollte es anders. Und so sah man den Festivalchef Fritz Schmücker für kurze Zeit dort, wo er gar nicht hingehört, in der Pizzeria Teatrino, gegenüber dem Festivalort, dem Stadttheater Münster.
Er spürte dort den spanischen Pianisten Daniel García Diego beim Mahl nach getaner Arbeit auf und bat ihn noch einmal auf die Bühne, nun an der Seite von Jasper Hoiby und Jamie Peet, dr.
Die drei probten eine knappe Stunde unter Ausschluß der Zuhörer. Und als diese dann wieder auf ihren Plätzen waren, platzten sie mit überschäumenden Beifall regelmäßig in die Schlussakkorde.
Völlig zu recht. Dass und wie sich der Spanier in der Rolle seiner erkrankten Kollegin zurechtfand, war frappierend. Möglicherweise so sehr, dass der Bandleader unter diesem Eindruck anfangs hier und da die Intonation nicht so ganz ernst nahm.
Die Sprache jedenfalls verschlug´s ihm nicht. Als es ihn später in einer Zwischenmoderation drängte, nicht explizit die vorherrschende Situation zu loben, sondern irgendwas zu murmeln, das auf „Free Palestine“ hinauslief (und neben schütterem Beifall zwei, drei „Israel!“-Ausrufe auslöste), da schloss er dieses kontextfremde Intermezzo eines im Habermas´schen Sinne garantiert nicht herrschaftsfreien Dialoges mit der Aufforderung, wer mit ihm nicht übereinstimme, könne nach dem Konzert ja zu ihm kommen.
Die in diesem Kontext viel drängendere Frage, warum ein Fremder sich nach so kurzer Aufwärmzeit in dieses Material einarbeiten kann, lässt sich sicher so beantworten, dass es offenkundig gut notiert war.
Dass der Neuling pianistisch einiges draufhat und sich auf eine gut eingespurte Rhythmusgruppe stützen konnte. Und dass die meisten Stücke auf Schaukel-Harmonien (turnarounds) basieren, die dem Pianisten Diego in seinem Präludieren, wie er es in seinem eigenen Sextett im Übermaß exerziert, entgegenkommen.
Die meisten Stücke umfassen nicht mehr als zwei Seiten Notenpapier. Der Höhepunkt des spontanen Treffens ließ sich deutlich daran ablesen, dass Diego das einzige mit vier Seiten, eine Art Mini-Suite, ohne Abstriche ebenso meisterte.
Es war, wie die Jazzpolizei hernach von Jamie Peet erfuhr, dasjenige, das man am ausgiebigsten geprobt hatte.
Well done.

Foto: Oliver Weindling

erstellt: 05.01.25
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