What you have missed: Niklas Lukassen, Loft, Köln

Die Jazzpolizei kam ein wenig verspätet - und fand sich sogleich bestens aufgehoben:
ein minimal pattern vom piano, ein ostinater Groove, mutmaßlich in ungeradem Takt, das neo-coole Tenor, ein profundes Basssolo.
Nothing new under the sun, aber kein College-Jazz und erstaunlich kraftvoll für ein - vorwiegend - deutsches Jazzensemble.
Geleitet vom Bassisten. Der könnte mit Leichtigkeit den Assistenten von Sörensen abgeben, und er heisst auch noch so wie in einem TV-Krimi aus dem Norden: Niklas Lukassen. Mitnichten aber kommt er von der Waterkant, seine Familie ist seit langem verwurzelt … im Schwarzwald.
Ja, die deutsche Provinz. Nicht zum ersten Male exportiert sie Jazztalente in die Welt.
In diesem Falle einen aktuellen Pendler zwischen Berlin und London. In Berlin, am Jazzinstitut, hat er seinen Bachelor gemacht, bei … Greg Cohen („der beliebteste unter allen Bass-Dozenten“). Der Master folgte an der Manhattan School of Music unter Ron Carter als Mentor.
Lukassen, 27, unterrichtet in Dresden, an der Hochschule Carl Maria von Weber, parallel promoviert er in London, an der Royal Academy of Music. Es ist eine Doktorarbeit in eigener Sache, also in der Disziplin artist based research, in der er (s)eine Bässe-übergreifende Grifftechnik darlegen will.
Er hat dabei auch eine Innovation zur Hand, ein Basscello. Das vereint den Korpus eines Cellos mit dem Hals einer Baßgitarre, darauf Saiten wie üblich auf einem Kontrabaß.
In einem Trio mit James Maddren, dr, und Gwilym Simcock, p, konzentriert er sich auf das Basscello.
Im Loft, Köln, erläuterte er es ausführlich, die Jazzpolizei war gespannt wie eine Saite. Er spielte abschließend auch ein Stück aus dem Repertoire dieses Trios, nun in Quartettbesetzung - freilich auf dem Kontrabaß.
Die Stilmischung dabei: exquisit, eine Art „McCoy Tyner plays Jazzrock“.
Niklas Lukassen Quartett 1   1 1Der sonst neo-coole Stefan Karl Schmid schraubte sich zu multiphonics hoch, Fabian Arends schlug auf seine Art entsprechende patterns.
Schmid & Arends, das waren die lokalen Variablen, bei dieser Kölner Quartett-Premiere. Mit dem Pianisten Ivo Neame (London) arbeitet Lukassen des öfteren zusammen. In puncto Pianisten hat er wirklich ein Händchen: Ivo Neame, Gwilym Simcock, Richie Beirach, wenige Tage zuvor Kit Downes (der auf seinem Debütalbum teilnimmt, „Still Waters run deep“, das auf dem Label von Kurt Rosenwinkel erscheinen wird).
Die meisten Stücke an diesem Abend gestalteten sich offenbar im Vorgriff auf sein Album (dessen Titel einem Schwarzwälder durchgehen mag, seine künstlerische Vita ihn trotz seiner erst 27 Jahre zwar „deep“ zeigt, aber keineswegs „still“).
Er vertritt eine sehr melodische Jazzästhetik, keineswegs aber im Sinne des um sich greifenden „Kinderjazz“ etlicher Pianotrios (die Jazzpolizei verkneift sich, Namen zu nennen). Davor ist die Musik mit interludes und Einschüben gefeit, und sowieso durch ein hohen handwerklichen Anspruch. Mitunter meint man eine Vorliebe für hooklines zu erkennen.
Auf jeden Fall handelt es sich um Kompositionen und nicht lediglich um Feigenblätter im Zweckverband von Improvisationen.
Wie gesagt, von dem was Lukassen konzeptionell draufhat, öffnete der Abend nur einen Ausschnitt. Darunter auch ein Stück mit Gesang, „Luna“.
Die Anmoderation dazu wirkte beklemmender als der Song, sind doch initiierend zu dem Stück die letzten Momente im Leben eines Mannes, bereit zu sterben, der sich entschließt, gedanklich alles hinter sich zu lassen und sozusagen „unvermittelt“ im Blick auf den Mond sich zu verlieren.
Als Sänger, nun denn, vielleicht auch nur an diesem Abend, ließ Niklas Lukassen jene Expressivität vermissen, die aus seinen zahlreichen Basssoli eindrucksvoll spricht.
Von Carter & Cohen, seinen Mentoren, spürt man darin wenig. Man könnte ein ganz klein wenig an Petter Eldh denken (freilich nicht vom Ton her), und - aufgebrezelt durch kölschen Lokalstolz - durfte man den Mann aus dem Schwarzwald, aus Berlin, New York und London so hören, als stamme er aus der Klasse von Robert Landfermann. Also aus Köln.

erstellt: 19.03.25
©Michael Rüsenberg, 2025. Alle Rechte vorbehalten