Cologne Jazzweek 2025 (III)

Apropos Räume.
Die Cologne Jazzweek ist sehr geschickt darin, neue Spielstätten aufzutun.
Dazu gehört im fünften Jahrgang ein Fahrradladen, das Museum für Ostasiatische Kunst, der Ort der Orte im hilligen Kölle: der Dom (dazu später) sowie das Japanische Kulturinstitut.
Dort, im vorzüglichen Konzertsaal, finden sich am vierten Festivaltag, mittags um 12:30 Uhr, bei freiem Eintritt, tatsächlich über 150 ZuhörerInnen ein; vorwiegend best ager, die auch in Zukunft durch keinerlei Sozial- oder Militärdienst von so terminierten Genüssen abgehalten werden würden.
Cologne Jazzweek 25 Warelis Makigami   2
Die Bühne ist spärlich möbliert, es trifft die polnische, zwischen Amsterdam und Berlin pendelnde Pianistin Marta Warelis, 39, artist in residence bei der Cologne Jazzweek 2015, auf Koichi Makigami, 69, aus Japan.
Oder ist es umgekehrt?
Auf seiten Warelis´ ist die Tradition des FreeJazz-Pianos präsent, viel Cecil Taylor, aber auch präparierte Saiten und vor allem: ein hellwaches Reaktionsvermögen.
Makigami röhrt schon in den ersten Momenten fast den kompletten Phil Minton durch; rasch aber mit einem „japanischen“ Ton, das Vokalisieren durchsetzt von Semantik (für Europäer Momente von "Lost in Translation", vulgo: bedeutungslos), Rufen, Lachen & Schreien.
Früh auch tritt er auf ein auf dem Boden fast verstecktes Pedal und zerhackt tremolierend sein Vokal, sehr sparsam. Später erinnert man sich dankbar an die Einführung eines Mitarbeiters des Kulturinstitutes, wonach Makigami am frühen japanischen Techno beteiligt gewesen sein soll.
Eine wertvolle Dekodierung, die das Befremden im Zaume hält, als später Klänge dominieren, die von europäischen Hirnen gerne als „Plastik-Pop“ eingetütet werden. Er spielt Maultrommel und Flöte; an der Trompete gibt er, ganz nebenbei, Instrumentenunterricht: der Klang, den er ins Rohr bläst, ist identisch mit dem, als er lediglich mit dem Mund intoniert und die Trompete auf die Backen presst.
Meint er das ernst? Will er uns veralbern?
Die laufende Theorie der Free Improvised Music müsste unbedingt diese Performance in den Blick nehmen, wortwörtlich. Das eminente Vermögen der Mitwirkenden dieser „Gattung“, akustische (und visuelle) Reize spontan zu sortieren - ohne deren tieferen Background auch wirklich „zu verstehen“.
Auch die empirische Forschung ist da viel weiter als die Jazz-Ideologie („Nur wenn das Individuum in einer Gruppe Gleichgesinnter aufgeht, lässt sich die Kraft von Musik herausstellen“, laut Programmheft). Sie schließt jüngst aus ihren Beobachtungen, dass das große Einverständnis unter den Beteiligten eben nicht nötig ist für das schließliche, gemeinsame Urteil „gelungene Performance“.
Cologne Jazzweek 25 Warelis stadtgarten   2

Am Abend gehen beide auf in einer Performance des Warelis-Sextetts unter dem poetischen Namen Still Life with Lemons im Stadtgarten. Makigami bedient nun das schon für den Vormittag angekündigte Theremin, ein „elektronisches“ Instrument aus den 1920er Jahren.
Es dürfte das einzige berührungsfreie Musikinstrument sein. Die Tonbildung erfolgt durch Bewegungen beider Hände in einem elektro-magnetischen Feld, erzeugt durch zwei Antennen. Makigamis Tonbildung ist sehr präzise, sie setzt große Erfahrung in der notwendigen Gestik voraus.
Die Bandleaderin wechselt mitunter vom Flügel zum (Korg)keyboard, anders als viele ihrer peers verschmäht sie „Plastik“-Sounds und improvisiert mit rhythmisierten Geräuschfarben. Die Rhythmsgruppe (darin Ingebrigt Håker Flaten) hinterlässt einen guten Eindruck, der Bassist wirkt wesentlich präsenter als in seiner eigenen Band ein paar Festivaltage zuvor.
Der Einstieg lief über ein 7/8-ostinato, das zweite Stück über ein abwärts geführtes 5-Ton-Motiv - zu wenig, um einen sicheren Schluß über die stilistische Konzeption des Sextetts zuzulassen. Denn schon wieder war es Zeit aufzubrechen, nun in d´r Dom (mit dem rheinischen Akkusativ gesprochen).
Cologne Jazzweek 25 Dom   1                                                                                                                  Dom zu Köln, 03.09.25, kurz vor 21.30 h
Kit Downes zu später Stunde im Kölner Dom.
Angepeilt waren 600 BesucherInnen, es nahmen schließlich Platz … 1.100!
Die Atmosphäre wunderbar entspannt und angenehm temperiert. Das Umherlaufen besonders Neugieriger, die hochgereckten, langsam geschwenkten smartphones - sehr erträglich, weil in engen Grenzen. Das Klanggefäß selbst, das hochaufragende, Ukraine-farben illumierte Gemäuer (zugleich auch Farben der Cologne Jazzweek) suggeriert ein mäßigendes Verhalten, das keinen Dom-Schweizer nötig hat.
Kit Downes im Kölner Dom. Die Einladung kam von dort, vom Dombaumeister Peter Füssenich, der den an der Kirchenorgel im heimatlichen Norwich/UK eingeschulten Jazzpianisten 2021, bei der ersten Cologne Jazzweek, 1,6 km weiter nördlich in St. Agnes zusammen mit Hayden Chisholm und Sängerinnen vom Balkan erlebte hatte.
So etwas konnte er sich auch im Dom vorstellen. Eine einstündige Inspizierung der Orgel in der 1248 begonnenen, 1880 fertiggestellten gotischen Kathedale fand noch am selben Abend statt.
Es bedurfte dann noch fast vier weiterer Jahre, um das Domkapitel vom „ersten Jazzkonzert in 700 Jahren Kölner Dom“ zu überzeugen, wie der Domdekant Monsignore Robert Kleine coram publico freudig intonierte.
So überaus korrekt die Zeitangabe, hinsichtlich der stilistischen Zuordnung wusste es das Dom Radio in einem gut geführten Interview mit Kit Downes besser.
My approach to church organ is not very jazzy“. Es seien Gefäß und Gerät, die doch wesentlich den Radius des Spielbaren bestimmten. (In dem Jazz-Ingredienzien unweigerlich verschwimmen).
Eine Richtungsbestimmung, die vollkommen kongruent ist mit der Praxis des Jazzpianisten (z.B. Enemy) einerseits und des Organisten Kit Downes (Album "Obsidian", 2016) andererseits.
Cologne Jazzweek 25 Downes Dom   1 2

 Ruhig ließ er es angehen, ruhig & elegant, mit sorgsam geschichteten Flächen und Themen, häufig mehrstimmig geführt an den Manualen oben und unten (mit den Füßen). Das lief so, sehr gefällig für eine Dreiviertelstunde.
Nach dem zweiten plagalen Schluß, wenn die Jazzpolizei richtig gehört hat, plötzlich ein Aufbäumen:
sehr tiefe Frequenzen, Geräuschhaftes aus den entsprechenden Registern; eine Ahnung von "Avantgarde", ein kontrastierender Moment, den man in der Dramaturgie einer solchen Stunde früher erwartet hatte, quasi als „reinigendes Gewitter“.
Nun, auch diese Performance war „frei“ improvisiert; sie gehorchte nicht, sie musste nicht einem wie auch immer gearteten Muster gehorchen.
Das Unterlaufen von Erwartungen gehört gewissermaßen zu ihren „Kosten“.
Was man aber wohl sagen kann, ist, dass ein in puncto Improvisation an der Kirchenorgel im weiteren Sinne Verwandter wie Wolfgang Mitterer hier andere Standards gesetzt hat.
Ob  aber er einen solchen Zulauf zum Kölner Dom bewirkt hätte?
Kit Downes vor 1.100 Zuhörern an der Orgel des Dom zu Köln, das war eine angenehme Stunde - und kulturpolitisch ein Hammer.
Ein weiteres "Köln Concert"? - Vermutlich nicht.

Foto: Niklas Weber (Downes)
erstellt: 04.09.25

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