ENEMY Fiend *******
01. Monks (Kit Downes), 02. Fiend Bypass (Downes, Eldh, Maddren), 03. Faster than Light (Downes), 04. Countdown (John Coltrane), 05. Liability (Downes, Maddren), 06. Sun flex (Downes, Eldh, Maddren), 07. Neglecting Number One (Petter Eldh)
Kit Downes - p, Petter Eldh - b, James Maddren - dr
rec. 2024 (?)
Editions Records EDN1266
„Fiend“. Leo gibt als deutsches Equivalent „böser Geist“, aber auch „Satan“, „Unmensch“ oder „Feind“ dazu aus.
Wir befinden uns im instrumentalen Jazz und ahnen, nein wissen, dass - zumal bei einer Gruppe namens Enemy („Feind“) - jedwede Semantik vergebliche Liebesmüh´ sein dürfte.
(Wie auch sollte man das, was zunächst als Datenpaket vorliegt, dann in Luftbewegungen zu uns dringt, die der auditorische kortex in Klänge umwandelt, schließlich in Bedeutungsgehalte übersetzen? Die nicht nur irjenswie, sondern präzise den obigen Konzepten entsprechen?
Selbst wenn einem das „anekdotisch“ gelänge … wie passen andererseits die Strukturen, die unter Mitteleuropäern als „Kinderlied“ abgelegt sind - und denen wir hier begegnen - zu den genannten Begriffen?)
Wir bleiben nüchtern und sagen: „Fiend“ ist das vierte Album von Enemy, ein Live-Album. Ist es aber auch DAS Live-Album, das uns nach etlichen Konzertbesuchen von Enemy vorgeschwebt haben mag?
Zunächst, wer das Trio live kennt, wer die drei vorherigen Alben gehört hat, wird diese Selektion aus zwei Konzerttagen im Basler Bird´s Eye vertraut finden:
bis auf den Standard „Countdown“ von John Coltrane alles schon mal da gewesen, vorwiegend auf dem Vorgängeralbum „Betrayal“ (2022). Der Rückgriff geht aber bis auf das Debütalbum von 2016 („Faster than Light“).
Eine Retrospektive also, eine Art Zwischenbilanz - und nicht in allen Momenten so extrovertiert, so gewagt und ausgefallen, wie wir das mitunter andernorts live gehört haben.
Um mit dem „Neuen“ zu beginnen: „Countdown“ startet mit einem uptempo-Gewusel; nach 27 Sekunden der erste klar erkennbare Ausschhnitt aus dem Thema; noch kleinere Auschnitte fliegen mit; nach gut zwei Minuten Tempo raus, rubato, bei dann doch deutlicheren Anspielungen der Melodik; auf den letzten Metern, pardon in den letzten 20 Sekunden, ein Auspendeln im 4/4 Takt. Nach 3:24 Übergang in das nächste Stück (alle tracks werden hart aneinandergesetzt).
Yep! So geht heute ein Top-Team mit einem Jazzklassiker um. Auf der nach oben offenen Django Bates´schen „Arranging the Hell out of something“-Skala sind Enemy hier schon gut vorangekommen.
(Die spontane Assoziation befiehlt hier, „Castles made of Sand“ zu hören, die Enemy-Adaption eines Hendrix´-Songs, aus „Vermillion“, 2021; die wohl größte Leistung des Trios auf diesem Sektor).
„Vermillion“ wurde auf ECM veröffentlicht, eine damals zunächst irritierende Erfahrung.
Die Band hat sich im Kölner Stadtgarten mal über die Aura des Labels lustig gemacht. Und doch muss man Manfred Eicher dankbar sein after all these years, die andere Seite dieses Trios, die „adagio“-Seite, beleuchtet zu haben, den ausgeruhten Kontrast zu der auch hier vorherrschenden Hochtriebigkeit.
„Monks“, der opener in Basel, heißt auf „Vermillion“ „Minus Monks“ und hat sich trotz der Hochverdichtung der Stimmführung noch etwas von der Verspieltheit des Originals bewahrt. Das mag an der großen Anmut des Themas liegen, weil der Komponist Kit Downes aus Norwich/UK die melodischen Einfälle ganz in die Nähe des deutschen Kinderliedes von „Hänsel und Gretel verliefen sich im Wald“ führt; der Melodie-Rhythmus ist jedenfalls identisch.
Das Album schließt - in der Dynamik völlig anders - mit einem verwandten Moment aus der Feder des anderen „Kinderlied“-Komponisten der Band, Petter Eldh. Aus der gebrochenen, Lokomotiven-artigen Struktur scheint plötzlich die Kantilene von „Neglecting Numer One“ auf.
Ja, es mangelt wirklich nicht an lobenswerten Details. Aber, der verwöhnte Hörer hat bei einem derartigen Ensemble dann doch mehr Novitäten erwartet - und seien es auch nur neue Stücke auf der setlist.
erstellt: 15.08.25
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