What you have missed: 14. Klaeng Festival 2023, Stadtgarten; Sixty Frank, Loft, Köln

Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben - und das Jazzfestival nicht vor dem Finale. Jüngster Beleg für diese alte Szeneweisheit, das Klaeng Festival 2023, das 14. seiner Art vom gleichnamigen Kölner Jazzmusiker Kollektiv.
Es ist nun vom November ins Frühjahr gerutscht, mit dem Unterschied, dass sich die sechs Mitglieder des Kollektivs diesmal nicht aufs Kuratieren beschränkten, sondern bei fast allen Programmpunkten auch selbst auf der Bühne standen.
Wechselweise übernahmen sie auch die Moderation. Dass sie dabei die Projekte ihrer Kollegen & Gäste loben, ist eine Selbstverständlichkeit, auch dass dies vor allem dem artist in residence zukommt. Es war diesmal die Bassistin und Sängerin Fuensanta Méndez.
Die Poetik ihrer Performance fließt bereits in ihre Ansagen ein, wenn sie mit mädchenhaftem Charme den Kontext ihrer Lieder ausmalt, Kindheitserfahrungen in Veracruz (Mexiko) nachträumt, vom Vater spricht, der den Wagen anhält, um ihr einen Blick auf den Mond zu gewähren. Wenig Hinweise finden sich darin auf eine am Konservatorium Amsterdam ausgebildete Musikerin. Die beim Princess Christina Jazz Concours 2016 für ihre Kompositionen einen 1. Platz belegte und seit September 2021 am Bimhuis die Rolle hat, wie nun für drei Tage auch in Köln: als artist in residence.
Nicht dass ihr Spiel auf dem Kontrabaß nun gar nichts von einer Ausbildung verriete, sie zeigt nur sehr wenig davon. Sie zupft häufig open string, also leere Saiten; und wenn sie streicht, arco, dringt akustisch wenig davon durch, weil sie ihrem - zugegeben schönen - Gesang und ihrer - zugegeben eindrucksvollen - Bühnenpräsenz alles unterordnet.
Fuensanta Méndez also und ihrem Ensamble Grande oblag das Finale des 14. Klaeng Festivals. Es wurde zum Kipppunkt. Es forderte zur Neubewertung zweier früherer Programmpunkte. Deren dramaturgische Fragwürdigkeit hob sie nicht auf, aber ließ sie gewissermaßen in einem anderen Licht erscheinen, als Vorstufen zum Grande Finale.
Die Klaengster waren nämlich dermaßen von Señora Méndez angetan, dass zum Beispiel Jonas Burgwinkel, dr, ihr überraschend ein Plätzchen im Donner von Dead Eye anbot.
Das Trio mit Kit Downes, org, und Reinier Baas, g, ist derzeit auf Tour. Es führt das gute alte Orgeltrio ins 21. Jahrhundert, es rockte das Haus (in Köln zusätzlich mit dem Gast Otis Sandsjö, ts) - und stoppte nach energischem Vorspiel, vielleicht wie einst Vater Mendez, um der zierlichen Person Raum zu gewähren.
Das Bild wollte sich einstellen, als öffneten vier Kerle einen Energiedrink nach dem anderen und entschlössen sich, weil die Freundin des einen vorbeischaut, zu einer Runde Roibos-Tee.
Deadeye Klaeng   1Apropos FreundIn; diese Rolle lädt ein, den ersten Auftritt von Fuensanta nicht inhaltlich zu promovieren, aber zumindest nicht mehr als Beispiel einer grotesk unökonomischen Buchung zu betrachten.
Die Sängerin/Bassistin eröffnete das Festival mit orts-bewährten Kräften wie Shannon Barnett, tb, und Pablo Held, keyb. Darunter ein Instrument, das heute keiner mehr in seiner ursprünglichen Gestalt auf irgendeine Bühne stellt, dessen Retro-Klangbild aber nach wie vor beliebt ist und in seiner Mischung aus Streicher- und Flötensounds sich leicht von einem Synthie erzeugen lässt: das Mellotron.

Pablo Held mag es nicht, wie Fuensanta zu betonen sich erlaubte; aber er bediente es adäquat, auch in dem Sinne, dass die Performance, zusammen mit Shannons Posaune, zumindest einen Jazz-Touch annahm. Einen solchen hatte die Jazzpolizei aus dem Bühnen-Background im Quadrat erwartet, versprach doch das Programmheft für diese Rolle „grenzsprengende Schlagwerkkunst“.
Und in der Tat war für diesen Posten ein Garant extra aus Los Angeles eingeflogen worden: Louis Cole. Die avancierten Kader erinnerten sich an eines der frühen Klaeng Festivals, wo dieser als Teil des Duos Knower den Stadtgarten-Saal mit einer drum´n´bass-Rakete in einen dancefloor verwandelte.
Cole betritt also nun die Bühne mit einer Daunenjacke, gefüttert wie die von Papst Franziskus, rührt ein wenig snare und bassdrum, wie es ein jeder aus der umfangreichen Kölner drummer fraternity auch könnte - setzt sich dann an den Bühnenrand. Und wartet. Irgendwann darf er noch einmal Unspektakuläres vortragen.
Im Film spräche man von einem Cameo-Auftritt. Und dafür reist einer aus LA an?
Spät, noch nach Coles Mitwirkung im Grande Finale, wird der Jazzpolizei eine Mitteilung zugeraunt, die die Rolle des Wartenden zwei Tage zuvor in einem anderen Licht erscheinen lässt. Es harrte dort nicht nur ein Mitspieler aus, sondern ein Partner. Aha.
Fuensanta klaeng   1

Zum Schluß des Festivals, zum Finale seiner Partnerin Fuensanta mit ihrem Nonett Ensamble Grande, erschien Cole im schwarzen Hoodie am set. Neben ihm die Koreanerin Sun-Mi Hong. Beider Aufgabe auch hier: viel Warten.
Aber es machte Sinn. Sie erfüllten ihre Aufgabe in einer ausgeklügelten Dramaturgie. Viel Lateinamerikanisches stand zu erwarten - wurde aber permanent unterlaufen.
Kein clavé, kein Salsa, kein 6/8, eine koreanische Trommel kam wohl-kalkuliert an einer einzigen Stelle zum Einsatz. Jazz? Ganz sicher nicht.
Wohl schimmerte Jazz-Handwerk durch: beim schottischen Trompeter Alistair Payne, beim portugiesischen Altsaxophonisten José Soares, auch die Bandleaderin vermag ihren Kontrabass entsprechend zu bedienen.
Viel Spanisches wurde intoniert, neben der Bandleaderin von vier Sängerinnen, die erkennbar nicht native singers sind. Sie kommen aus aller Herren Länder und wurden in den Niederlanden ausgebildet. Sie folgen Fuensanta Méndez in einer ungemein einnehmenden Performance, für die man sich den Begriff der A.R.F.I. in Lyon („Imaginnäre Folklore“) vielleichte ausborgen kann zu „Latin Fiction“ (oder so ähnlich, ist nur ein Vorschlag).
Sixty Frank Loft   1Am zweiten Festivaltag, noch während des kraftvollen Auftritts von Sebastian Gille, ss, ts, Marc Ducret, g, und Jim Black, dr, musste die Jazzpolizei aufbrechen, zwei Straßenbahn-stationen weiter, zum Loft, wo diese drei ohne weiteres auch hätten mitmischen können, bei der von allen thematischen Vorgaben entfesselten Freien Improvisationsmusik.
„Sixty Frank“ hieß es im Loft. Frank Gratkowski feierte seinen Sechzigsten.
Und immer, wenn´s feierlich wird im Loft, wird´s auch familiär. Der ältere Hausherr, Hans-Martin Müller, ergreift das Wort.
Nicht unerwähnt lässt er die Präsenz der Tochter des Gefeierten, nebst jüngst geborenem Enkel. Gratkowski selbst zeichnet er aus als einen Anchorman des Loft. Die begriffliche Übernahme bezieht er auf die Rolle von Claus Kleber im „heute journal“.

Seit 34 Jahren also sei Gratkowski, der Anker, das „Gesicht", des Loft, neben anderen (die Jazzpolizei denkt u.a. an Nils Wogram, Hayden Chisholm, Georg Gräwe; die Frage, ob es inzwischen auch eine Marietta Slomka des Loft gebe, bleibt unerörtert, fände aber sicher auch eine Antwort).
HMM war Gratkowskis Examensprüfer 1990 an der Musikhochschule Köln, sein Saxophonlehrer ist da (Heiner Wiberny), wie auch einer von Gratkowskis Schülern (Fabian Dudek). Seit Jahrzehnten wohnt er in Berlin, aber die meisten Konzerte, die meisten Projekte hat er, wie die anderen anchormen auch, in der Wissmannstraße 30 in Köln-Ehrenfeld durchgeführt.
Dem genius loci entspricht Gratkowski insofern in gesteigerter Weise, als er bei vielen after show hangs nicht nur vieles von Beethoven über Ligeti bis Hendrix aus dem Digitalspeicher vorzuführen wusste, sondern dies unterlegt auch mit Kenntnis aus dem Studium der Partituren. Demnächst bringt er ein Album mit seinen Werken für das Ensemble Modern heraus.
Bestechend an einem Künstler des Momentes wie Gratkowski (und Seinesgleichen) ist, wie sie sich verständigen, bevor sie auf die Bühne gehen. Nichts als die Namen der Beteiligten, hingekritzelt auf eine Papier, ist bekannt.
Aber natürlich schöpfen sie alle aus einem Fundus geteilter Erfahrungen. So wie wir spontan eine Konversation beginnen, scheinen sie dies mit Instrumenten zu tun. Ein anderer großer Künstler des Augenblicks, David Toop, hat den Begriff conversation dafür zurückgewiesen. Er hat recht: zuviel passiere zur selben Zeit.
Aber, so diszipliniert, so wenig ausschweifend tauscht sich kein Team von Sprechern aus, wie hier zunächst ein Quartett um den Baßflötisten Gratkowski. Es besteht Grund zu der Annahme, dass die Konzentration vor allem der Präsenz dieses Meisterimprovisators geschuldet war.
Der zweite set, nunmehr zu zwölft, wäre fast ohne den Jubilar gestartet, weil dieser lauthals rief „Wo ist mein Halsband?“. Die Frage, die andernorts vermutlich Verwirrung ausgelöst hätte, konnte rasch beantwortet werden. Das Halsband gehört zu seinem Hauptinstrument, und auf dem Altsaxophon zeigt dieser Frank Gratkowski eine kaum vergleichliche Klasse.
Tobias Hoffmann Quartet   1Zurück im Stadtgarten, konnte die Jazzpolizei gerade noch einen kurzen Eindruck von der US-Saxophonistin Caroline Davis gewinnen, in einem Quartett um Pablo Held, mit dem gleichfalls amerikanischen Bassisten Ben Street.
Viel Aufmerksamkeit hingegen für Kika Sprangers, ss, as, aus den Niederlanden am ersten Festivaltag. Das Alt rauht sie mit einer Prise Luft an und gewinnt geradezu kristallen klare Linien.
Frederik Köster, tp, flh, hat sie bei einem Konzert in Göttingen gehört und mit dem alten Routinier Michel Godard, tuba, serpent, zu einem feinen Trio eingeladen.
Ein paar alte Stücke hat er umgeformt, neue geschrieben, u.a. einen dreistimmigen Choral. Wieder nahm er auch das Gesangsmikrophon zur Hand; der Jazzpolizei wollte scheinen, als öffnete er für einen Moment in einem Kammermusiksaal  das Fenster zum Hinterhof.
Ein geschmacklicher Kontrapunkt in einem präzise agierenden Ensemble, nichts weiter. Viele verteidigten ihn gerade deshalb.
Deutlich gespaltener die Reaktionen auf den Programmpunkt danach, das Tobias Hoffmann Quartett. Der Gitarrist macht mit dem Blues bekanntlich, was Er will. Und so hält er es auch mit seiner neuen Band, freilich ohne dem Blues in seinen klassischen Formen zu folgen.
Oh ja, das war nostalgisch, oder wie man heute lieber sagt: vintage, bis zum Abwinken. Unser Sitznachbar fühlte sich an Booker T & The MGs erinnert.
Sicher nicht ganz falsch, obwohl Hoffmann dem Memphis Soul fernbleibt.
In die fünfziger/sechziger aber geht die Reise, hin zum twang eines Duane Eddy. Und wenn man ganz genau hinhört, vernimmt man die Anbauten an die historischen Gemäuer um so klarer.
Der Organist Benjamin Omerzell spielt keine vier Töne ohne Klangfarbenwechsel, licks a la Jimmy Smith sind ihm fremd. Und der Gitarrist Hoffmann schiebt gelegentlich „rückwärts“ laufende Sounds ein, die die Vorväter sicher nicht mal im Sinn hatten.
Seine Stücke sind einfach, sie beruhen auf ein- bis viertaktigen Wiederholungsphrasen. Die Qualität des Quartetts zeigt sich darin, wie es diese riffs bei zunehmender Verzahnung der Stimmen in dunklen crescendi geradezu zelebriert. Schön auch, wie es das Outro des einen mit dem Intro des folgenden Stückes überlagert (kommt selten vor).
Bei allem Retro - ein zünftiger Shuffle, obwohl er "in der Luft" lag, kam nicht zum Vorschein.

 
Fotos: Peter Tümmers (3)
erstellt: 03.04.23
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