NORBERT STEIN Pata Kandinsky *******
01. Seven brushstrokes, dark and light Steps (Norbert Stein), 02. Point and Line to Plane, 03. Dark Wood, light Wood, Gold becomes Silver, 04. Barcodes and Collectives, 05. Measuring the Canvas, textures and unfolding, 06. The simple Song and the infernal Sound
Norbert Stein – ts, Michael Heupel – fl, Georg Wissel – as, cl, Nicolao Valiensi – euphonium, Annette Maye – cl, bcl, Andreas Wagner – ss, as, cl, bcl, Pacho Davila – ts, Rainer Weber – bcl, Joker Nies – electronics, Uwe Oberg – p, Florian Herzog – b, Jörg Fischer – dr
rec. 30.09.2023
Pata Music/Pata 26
Norbert Stein, 71, hat es gut. Er hat einen Stil (neu-deutsch: Markenzeichen).
Und er hat einen Namen dafür (neu-deutsch: brand): Pata.
Seit Jahrzehnten kann man mitverfolgen, wie sich hinter diesem Präfix unterschiedliche Instrumentierungen & Besetzungen (sprich: Projekte) entfalten.
Laut Webseite sind es derzeit drei: zwei Trios sowie die Großformation, die diesem Projekt/dieser CD ihren Namen gibt: „Pata Kandinsky“.
Das Cover-Motiv („Small Worlds VII“), die Referenz zu dem Maler-Star des Expressionismus und der frühen Abstrakten Malerei, Wassily Kandinsky (1866-1944), legen nahe, dass der Komponist Stein sich hier auch der grafischen Notation bedient hat.
Es wäre nicht das erste Mal. Schon mit der NDR Big Band, auf „Graffiti Suite“ (2006), hat er solche Praktiken angewandt.
Dabei haben Stein nicht nur die Bilder Kandinskys inspiriert (der ja seinerseits eine große Affinität zur Musik hatte; wenngleich „Improvisation“ in seinen Bildbezeichnungen begrifflich sich kaum mit demselben Phänomen im Jazz deckt), sondern auch die Lektüre von dessen Schriften, beispielsweise „Punkt und Linie zu Fläche“, 1926. Oder „Das Geistige in der Kunst“, 1911.
Nun kann man, wie jüngst der Rezensent, im Münchner Lenbachhaus in der Abteilung „Der blaue Reiter“ durchaus vor Kandinsky stehen und nicht an Pata Music denken. Aber wie Kandinsky & Stein zusammenhängen, bzw. vom Komponisten Stein zusammengedacht werden, hätte man doch gern erfahren - das CD-Cover schweigt sich darüber aus.
Man kann Pata Kandinsky aber auch einfach so hören, als ein Stück absolute Musik, aufgenommen an einem der attraktivsten locations der zeitgenössischen Bildenden Kunst, in der oberen Ausstellungshalle im Skulpturenpark Waldfrieden des Bildhauers Tony Cragg in Wuppertal, anlässlich der 2023er Ausgabe des Festivals multiphonics.
Das Projekt beginnt in typischer Pata-Manier, in getupft-gestaffelter instrumentaler Sprechmelodik der Bläser.
Als „brushstrokes“ kann man sich die tremolierenden Einzelstimmen ausmalen, als „dark and light steps“ die Grundierungen der Baßklarinetten. Bevor sich das Ensemble zu einem „großen“ Thema fügt - und dann wieder auseinander strebt.
Das Programm besteht aus vielfältigem Aufeinanderzu- und Wiederweglaufen, einem Pendeln zwischen Kollektiv (auskomponiert, aber auch -improvisiert wie z.B. in track 2) und Solo.
Michael Heupels Flöte ist, wie immer, dabei; das Ayleresk-aufwallende Tenorsaxophon des Bandleaders, früh auch Joker Nies´ elektronische Texturen (im ersten track - wenn man sie denn visuell übersetzen will - als Punkte und Ketten zu erkennen).
Das stilistische Panorama ist noch mal erweitert, auf der einen Seite die typisch Stein´schen Kantilenen, mit-singbare Themen, dann wieder Strukturen wie aus dem FreeJazz (ganz typisch dafür die Wahl des Pianisten, Uwe Oberg aus Wiesbaden).
Norbert Stein hat diese Vielfalt der Farben & Strukturen wirklich klug geordnet, sie gipfelt im letzten Stück, dem Höhepunkt, der alle Strukturelemente noch einmal versammelt: ein singbares Thema, ein Tenorsaxsolo über uptempo swing, der sich in ein freimetrisches Kollektiv ergiesst. Die hohen Bläser bleiben übrig.
Dann - ein italienische Kapelle wie in einem Fellini-Film.
Und darüber eine Frauenstimme („vom Band): „Man sieht an diesem Sommerabend…neben den Einfamilienhäusern…Rasen“, in einem fragmentierten Text.
Man wüsste gerne, wer das ist. Was sie liest. Denn der Einfall ist absolut frappierend.
erstellt: 18.06.24
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