TOBIAS HOFFMANN Slow Dance ********
01. Loco-Motion (Gerry Goffin, Carole King), 02. Chitlins Con Carne (Kenny Burrell, 03. Baby, Please Don't Go (Traditional), 04. Harvest Moon (Neil Young), 05. Riders On The Storm (The Doors), 06. Politician (Pete Brown, Jack Bruce), 07. The River (Bruce Springsteen), 08. You Really Got A Hold On Me (Smokey Robinson)
Tobias Hoffmann - g, Frank Schönhofer - bg, Etienne Nillesen - dr
rec. 15.+16.02.2020
Klaeng Records 066 CD
Gut, dass wir hier unter uns sind, wo die woken Krakeeler auf dem Weg zum nächsten Diskurs-Sandkasten ihn gar nicht bemerken: Tobias Hoffmann, geboren in Remscheid, wohnhaft in Köln.
40 ist er nun auch schon, ein wenig angegraut inzwischen; er kann obendrein mit einem astreinen Beleg für den Status alter weißer Männer glänzen, er hat nämlich eine Professur für Jazzgitarre an der Staatlichen Hochschule für Musik Trossingen, im Schwarzwald.
Tobias Hoffmann fällt auf durch kulturelle Aneignungen sehr eigener Art; er macht mit dem Erbe der Afro-Amerikaner, insbesondere mit dem Blues, was ER will.
Was die Verurteilung erschwert: er übernimmt die Formen nicht 1:1, er zerstört sie mit allerlei Winkelzügen; und wie er das macht, das ist von toxischer Attraktivität. Er kennt die einzelnen Partikel sehr genau, von dem Klebstoff, dem Blues-Feeling, mit dem er sie wieder zusammenfügt, ganz zu schweigen.
Vor allem zieht er die Tempi so weit runter, wie es die Autoren der Vorlagen sich wohl niemals selbst erlaubt hätten. Tobias Hoffmann, das ist das personifizierte downtempo.
Obwohl er also mit spezifischen Ausschnitten der Musikgeschichte umspringt und dabei einen sehr eigenen Willen durchklingen lässt, befolgt er die Normen bürgerlicher Kulturaneignung: er gibt brav die ursprünglichen Autoren als Komponisten an.
Kenny Burrell also kassiert für Hoffmanns fast sieben Minuten Bearbeitung seines Blues „Chitlins con carne“ durch Tobias Hoffmann genau soviel, als hätte er es selbst auf Platte gebracht.
Ob ihm das Resultat gefällt, ist eine andere Frage. Wahrscheinlich wird Mr. Burrell aber nicht nur in der Wahl des Stückes eine Hommage an sich erkennen. Vielleicht gefällt ihm in dieser „Zeitlupen-Version“ (Hoffmann) sogar der zweite Teil des Gitarrensolos.
Das hat Hoffmann nämlich im Stile von Stevie Ray Vaughan (1954-1990) angelegt (der „Chitlins con carne“ ebenfalls interpretiert hat).
Und vielleicht gefällt ihm auch der wohl größte Eingriff in das Stück, nämlich jener tremolierende Gitarren-drone, mit dem Hoffmann das Stück durch eine lange Coda führt. Das wirkt, als würfe der Blues ein Teil seiner Kleider fort, als schwebte er davon, durch das geöffnete Fenster.
Ein unglaublicher Kunstgriff, man kann sich nicht satt daran hören.
Das hat er schon einmal gemacht, noch turbulenter, im „Chery Ball Blues“ auf dem vorletzten Album „Blues, Ballads & Britney“, 2016.
Mit „Baby please don´t go“ folgt der nächste von drei Blues dieses Albums; auch dies ein Klassiker, der sich dynamisch in Laufe von gut fünf Minuten geradezu empor-shufflet. Hoffman huldigt hier mit einer Hintergrundfigur (teilweise im reverse Modus) und auch in Teilen seines Solos dem twang einer anderen Bezugsgröße, nämlich dem aus Echo, Hall und Tremolo oszilierenden Gitarrensound von Duane Eddy (geboren 1938, auch er lebt noch).
Der dritte Blues, „Politician“, bricht aus dem „Slow Dance“- Konzept aus, er ist von schnellerer Gangart.
Der Cream-Gassenhauer zappelt geradezu einher und hat nichts von der wogenden Erhabenheit des Originals von 1968.
Diese Version bleibt textlos, und das ist auch gut so; denn nur bei oberflächlicher Auslegung mag man den Lyrics von Pete Brown zugestehen, „sie seien erschreckend aktuell“ (Hoffmann).
„Riders on the Storm“ lebt erneut von einem Bouquet von vintage guitar sounds (die freilich durch zeitgenössische Details transformiert werden; immer wieder genre durch Rückwärtslaufen).
In „Harvest Moon“ hört man deutlicher mal ein Cymbal von Etienne Nillesen, dem ansonsten großen snare drum-Spezialisten; und vielleicht muß man Neil Young-Fan sein (wie Navid Kermani), um der kunstvollen Kunstlosigkeit des Konzeptes in diesem Falle etwas abgewinnen zu können.
Ähnliches lässt sich - wenn man kein Fan ist - auch über Springsteens „The River“ sagen.
Wohingegen der Abschluß wieder geradezu üppig schimmert, „You Really Got A Hold On Me“ von Smokey Robinson, eine Melange wie in einem guten Cortado, afro-amerikanische Textur mit (im weitesten Sinne) Country & Western-Behandlung: hier öffnet Tobias Hoffmann den vollen Besteckkasten von Duane Eddy.
erstellt: 23.10.22
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