Ob Victoria Shen eine Chance gehabt hätte gegen Tommy, als Pinball Wizzard?
Wir werden es nie erfahren. Der historische Abstand wäre zu groß (54 Jahre), die challenge deshalb nur fiktiv.
Sie hätte sowieso nicht verlieren können, ihr Punktestand ist wurscht, die Kugel rollt bei ihr nie ins Aus, die entsprechende Stelle ist blockiert.
Dabei flippert sie, eine Riesenprojektion belegt es, sehr gut. Wo unsereins schon der Zeigefinger zuckt, zögert sie den noch besseren Moment hinaus und schiesst die Kugel volley nach oben.
Anders als The Who im Falle Tommy Walker schert sich Lukas König nicht die Bohne um die Identität von Shen (obwohl die Klangkünstlerin aus San Francisco da einiges zu bieten hätte).
Ihre Rolle ist eine rein musikalische in Königs jüngster Komposition „Flash 1020. Piece for Pinball Machine, Amplified Cymbal and Ensemble“. Der Titel erzählt schon viel über Klang & Struktur.
Der Flipper (ein deutscher Apparat aus den 80ern, mit großer Vorsicht von Wien ins Inntal nach Schwaz transportiert, die Lötstellen hielten brav) ist das principal instrument. Der Flipper gibt vor, hat auch ein Solo mit allerlei elektro-akustischen Verfremdungen, ist aber in die Partitur einer fünfsätzigen Suite eingebunden.
Frau Shen guckt nicht auf Papier. Sie hat den Ablauf im Kopf und nur den Apparat im Blick. Er hat keine Abdeckplatte, sie platziert die Kugel auch von Hand, damit sie spezielle Sounds auslöst.
„Amplified Cymbal“ ist nun wirklich eine Untertreibung für das Zauberblech, das der Komponist König schlägt, mit einem Bogen streicht, verformt, als sei es ein Stück Kautschuk.
Man muss sich dem Gerät bis auf weniger Zentimeter nähern, um das angelötete Mikrofon zu entdecken und ein Käbelchen, das schnurstracks zu ein paar digitalen Helferlein führt. Mitunter setzt er das Becken mit zwei Vibratoren („Dildos“ im erotischen Sprachgebrauch) ins Schwingen.
„Follow Right Button/Hand of PB Machine player, try to play whenever button is being pressed“, steht im A-Teil seines Teiles der Partitur.
Sie ist notiert/formuliert - wir sind ja auf einem E-Musik-Festival -, auf dass irgendwann & irgendwo auf der Welt „Flash 1020“ auch von anderen Menschen interpretiert werden kann.
Auf gut Deutsch: Lukas König interessiert sich nicht für das überdimensionale Flipperbild, er orientiert sich an der rechten Spielhand von Victoria Shen.
Noch eindrucksvoller ist die Koppelung ihrer linken Spielhand mit der großen Konzertpauke von Raphael Meinhart.
Jedesmal, wenn sie abdrückt, erschallt ein Riesenwumms.
Meinhart steht vis-a-vis zu Shen, er sieht nichts von dem bunten Zauber an der Wand.
Der Zuschauer erlebt vergnügt hier und da eine Asynchronität, wenn sie einen Schuß nur antäuscht - und er trotzdem donnert, sozusagen out of time.
Wie gesagt, „Flash 1020“ ist klar strukturiert. Es gibt einen Abschnitt mit einem langen aufwärts-glissando; eine Passage unterliegt klar einem 4/4-Beat, gefolgt von einem triolischen 11/8: hier schließt Lukas König sehr gekonnt an seine Groove-Vergangenheit bei Malcom Braff an.
Einem reinen Neue Musik-Perkussionisten fiele so etwas nie & nimmer ein.
Zum Schluß führt er das Ensemble per Dirigat zu einer Art afrikanisierten Choral über obigen Beat.
Das Ensemble, Studio Dan, 2005 aus der JazzWerkstatt Wien hervorgegangen, hat natürlich irgendwas mit Zappa („Studio Tan“), weil es sich gleichfalls „zwischen den Welten tummelt“, wie es der Bandleader, der Posaunist Daniel Riegler, beschreibt. Und es hat zugleich etwas sehr Österreichisches, weil dort, in der Schnittmenge zwischen Jazz und Neue Musik, Riegler betont es, mehrere Ensembles operieren.
An „Flash 1020“ von Lukas König ist nur die Hälfte beteiligt, für „Zones for 11 Musicians“ von Ingrid Laubrock zuvor, wie der Titel vorschreibt, das volle Ensemble.
„Zones…“ ist der zweite Teil eines musikalischen Tryptichons, das Laubrock im Februar 2023 anlässlich eines Stipendienaufenthaltes auf einer Ranch im tiefwinterlichen Wyoming entworfen hat. Im Gegensatz zu anderen Stücken ihrer wachsenden Zahl von Kammer-
orchester-Kompositionen kann es ohne Dirigat aufgeführt werden.
Die Komponistin sitzt mit Sopran- und Tenorsaxophon mittendrin.
Wenn überhaupt ein Einsatz markiert werden muss, erledigt das Riegler.
Und er betont im Gespräch, dass Ensembles wie das seine eben nicht nur gute Notisten aufweist, sondern diese eben auch grooven können und dank ihrer Improvisationserfahrungen auch mit nicht bis ins letzte Detail ausformulierten Partituren umgehen können.
Ingrid Laubrock hat für den ersten Teil ihres 30-minütigen Werkes Schichtungen von Klangflächen vorgesehen, darunter delikate Kontraste wie Tubax (Kontrabasssaxophon) und Subkontrabaßfagott gegen Violine und Cello, obenauf improvisatorische Inseln.
Sie selbst setzt ein Tenorsaxophonsolo gegen Lukas König, am vollen drumset.
Was erkennbar unter den akustischen Bedingungen des Aufführungsortes leidet, eine leergeräumte Halle beim Schleifmittelhersteller Tyrolit. Die Avantgarde dorthin tragen, wo sie garantiert keiner vermutet (jedenfalls keiner, der das Festival noch nicht besucht hat), gehört mit zum Markenkern der Klangspuren.
Den Flipper, ja die ganzen Elekro-Akustik stören die kahlen Wände nicht, ein nur mikrofoniertes Schlagzeug hingegen scheppert an ihnen entlang.
Im zweiten Teil führt Laubrock klanglich in eine andere Zone. So, wie sie vorher Flächen verteilt, dekliniert sie nun hier ein Thema, das von Ferne an Nino Rota erinnert, durch das Ensemble, bis es beim Xylophon verweilt. Es hätte einfach so weiterklingen können…
Und noch eine Beobachtung überrascht den Erstbesucher der Klangspuren: wenige Hipster, dominant ältere Semester in den Auditorien, so wie man das erkennen konnte: zweierlei Geschlechts. Avancierte Kader, die seit Jahren von nichts sich schrecken lassen.
erstellt: 23.09.23
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