Die Frei Improvisierte Musik, sie lebt in Köln auch abseits der Heiligen Stätten (Stadtgarten und Loft) an Orten, die nicht ein Jazz-Vorzeichen tragen.
Zum Beispiel in St. Peter. Im Umkreis der spätgotischen Kirche hat Peter Paul Rubens (1577-1640) gelebt. Dass er dort getauft wurde, ist ebenso falsch wie die Rückführung der Neon-Leuchtschrift „Don´t worry“, droben am Kirchturm, auf Bobby McFerrin.
Die griechischen, lateinischen und die deutsche Fassung („Sorge dich nicht“) an den anderen Turmseiten weisen viel eher auf die Herkunft aus der Bergpredigt.
Unter den Organisten von St. Peter drunten ist eine beachtliche Improvisationstradition entstanden; seit 2022 führt Michael Veltmann die Linie von Dominik Sustek und Peter Bares fort.
Seine aktuelle Reihe „Orgelmixturen 2023“ führt nahe auch an den Jazz heran; Kit Downes, org, wird mit Lucy Railton, vc, kommen.
Und auch gestern ließ sich Jazz, wenn auch nicht inhaltlich substanziell, so doch zumindest assoziativ herleiten. Zwei der drei Mitwirkenden dieses Improvisationskonzertes „Asymmetrical Soundscapes“ haben Spuren an Jazz Locations wie dem Moers Festival, Loft und Stadtgarten, sowie dem Jazzfest Berlin hinterlassen.
Dort wird in Kürze Marlies Debacker auftreten. Und es steht nicht zu erwarten, dass sie - zumal solo - auch nur einen Wimpernschlag für die Bebop-Tradition erübrigen, sondern ihre große Kunst der Klangfarben-Improvisation am präparierten Piano entfalten wird. Wie sie nicht zuletzt JC feiert.
Debacker und Florian Zwißler kennen sich u.a. vom Moers Festival 2020. Man möchte ihn kaum als Synthesizer-Spieler bezeichnen, was formal korrekt wäre, sondern als Elektroniker.
Er bedient zwei analoge Modular-Synthesizer (EMS und Doepfer). Auf gut Deutsch: da muss jeder Klang auf einem Steckfeld einzeln hergestellt werden, da ist nichts präformiert, nichts rasch abrufbar.
Die Geräte sind Jahrzehnte alt, das ließe sich heute in einem großen Nerd-Faktor bemessen. Allein, die Anwesenheit von Nerds an diesem Abend in St. Peter, sie tendierte gegen Null.
Die Mehrheit der Zuhörer ließe sich wiederum, wir wollen freundlich sein, als „ältere Semester“ charakterisieren (nein, nicht alte weiße Männer, sondern Zuhörende beiderlei Geschlechts; es wurde niemand vorstellig, der jenseits der reinen Rezipientenrolle weitere Differenzierungen zu berücksichtigen verlangte).
Was dieses Trio in einer 55-minütigen Performance darbrachte, war aus mehreren Gründen bemerkenswert.
Es spielte leise. So leise, dass der Klang eines fallenden Programmheftes wahrgenommen wurde (Marlies Debacker fiel es auf, ließ sich davon aber nicht stören).
Das Trio vollzog seine Performance nicht in einem langen Bogen, sondern in mehreren kleinen. Im Jazzclub wären diese Enden mit Beifall als Schlusspunkte zementiert worden. Im Kirchenraum mit seiner normativen Applaus-Hemmung fanden die drei nach diesen vier, fünf plagalen Schlüssen alle Ruhe der Welt, um mit neuen Gedanken fortzufahren.
Das Motto des Abends - „organized osciallations - asymmetrical soundscapes“ -, es las sich vor Beginn recht unvermittelt. Im Verlaufe dieser knappen Stunde aber fand der Begriff seine betörende, klangliche Verwirklichung: lauter Asymmetrien, mal sanft, mal dynamisch mäandernd. Niemand musste sich übergangen fühlen.
erstellt: 21.10.23
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