Was für ein Schachzug!
Das Fernsehen hat die Dokumentation von Jazzfestivals weitgehend aufgegeben, das Radio reduziert gleichfalls.
Die Produktionen - man hielt sie jahrzehntelang für einen Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen - sind in ihrer visuellen Form stark und in ihrer akustischen bis auf einen doch noch deutlich wahrnehmbaren Sockel geschmolzen.
Kritik an ihrer Produktionsästhetik war ihr ständiger Begleiter: Kameras suchten den gerade erklingenden Solisten; hatten sie ihn denn gefunden, fuhren sie ihm fast in die Nasenlöcher, der Anblick einer vollständigen Künstlerperson bei der Arbeit, vor allem der improvisierten, ward den Zuschauern am Monitor meist vorenthalten.
Das Niveau der begleitenden Information: ein Grauen, Anbetung der Künstler statt Information, von ästhetischer Debatte ganz zu schweigen. Tiefpunkt auch hier: Moers, wo Arte seinen Ruf verspielte und das Kasperletheater distanzlos in alle Welt pustete.
Was für ein genialer Schachzug also, die Dokumentation eines Festivals (auch in ihren seltenen guten Momenten) nicht Handwerkern zu überlassen, die schließlich quasi namenlos durch den Abspann huschen, sondern die Dokumentation ihrerseits zu einem Kunstwerk zu machen!
Das Geniale der Entscheidung von Monheim Triennale-Intendant Reiner Michalke liegt nun darin, für die Dokumentation von The Prequel II (04.-06.07.24) einen Künstler zu verpflichten, dessen Ruhm (und hier dürfen wir durchaus einen Weltmaßstab anlegen) den von 15 der insgesamt 16 Monheim-PerformerInnen übersteigt (Ausnahme Heiner Goebbels).
Die Monheim Triennale, von der auch in den angrenzenden Städten Düsseldorf und Köln etliche unter den potenziell Vorbeschallten noch keine Vorstellung haben, wird also in ihrer Version The Prequel II mit Bestimmtheit ganz andere Kreise ziehen.
Dank Mika Kaurismäki, 68, dem älteren der beiden finnischen Meisterregisseure-Brüder.
Mika war in Monheim, sah sich um in der Stadt, nahm Konzert- und also auch Drehorte in Augenschein. Auch an Rheinkilometer 714, wo alsbald die Hauptlocation, das Rheinschiff mit Hauptbühne, vertäut werden wird.
Improvisation ist ihm nicht ganz fremd. Er hat einen (Spiel)Film ohne Drehbuch gemacht ("Three Wise Men", 2008), etliche Musik-Dokus, aber keine über Improvisierte Musik oder in den Varianten, die ihn in Monheim erwarten.
Michalke hat ihm einen Berater zur Seite gestellt, den neulich pensionierten SWR-Jazzredakteur und Fortschreiber des Berendt´schen Jazzbuches, Günther Huesmann, 67. Dieser führte, gut vorbereitet und dramaturgisch geschickt, durch eine Pressekonferenz, die wie die Vorgänger demnächst unter den Monheim Videos zu sehen sein wird.
Erste Verblüffung: Mika spricht Deutsch, leise zwar, aber gut vernehmbar. Er hat es in den Jahren 1977-1981 in München gelernt, während des Studiums an der Hochschule für Film und Fernsehen (für das RW Fassbinder die Aufnahmeprüfung nicht geschafft hat).
Es war der zweite, der entscheidende Anlauf in die Profession. Ursprünglich war er nach München gekommen, um Architektur zu studieren. 15 bis 20 Filme pro Woche habe er damals im Filmmuseum gesehen, dabei täglich die Filmhochschule passiert, bis er schließlich dort doch anklopfte.
Der erste Anlauf ereignete sich im Herbst 1976 in Finnland. Mika hatte den Sommer über als Anstreicher gut verdient, im Overall betrat er einen Buchladen und erwarb die gerade erschienene „History of Cinema“, las sie mit der Konsequenz, Filmregisseur werden zu wollen, aber die Eltern….
Günther Huesmann hat drei Filmausschnitte vorbereitet. Der erste führt in Kaurismäkis wohl berühmtesten Film „Mama Africa“ (2011) über die südafrikanische Sängerin Miriam Makeba (1932-2008). Ein Interview mit ihr war verabredet, sie ist kurz vor Beginn der Dreharbeiten verstorben; der Ausschnitt in Monheim zeigt sie u.a. bei ihrer Rede vor der UNO in New York 1963.
Zwei weitere führen in die brasilianische Musik - ein begriffliches Dach für eine Vielzahl an Stilen, deren Namen die meisten wohl noch nicht gehört haben.
Huesmann zählt beiläufig ein Dutzend von ihnen auf, ein Dutzend neben Samba, darunter Choro, dem die Doku „Brasileirinho“ (2005) gewidmet ist.
Überhaupt Brasilien, Mika hat jahrelang in Rio gewohnt, hatte dort einen Musicclub, und neben seiner Tätigkeit als Filmregisseur, so Huesmann, habe er auch ein Händchen als Talentscout gezeigt. Mehrere Künstler, die als no names vor seine Kamera traten, hätten sich später zu Stars entwickelt.
Und dann Billy Cobham, kürzlich 80 geworden. Der (eine) frühe Superstar des Jazzrock-Drummings hat eine längsschnittartige, auch anekdotische Bedeutung für Mika Kaurismäki. Als Spät-Teen hat er sich auf einem selbstgebastelten drumset an „Spectrum“ (1973) abgearbeitet, sehr zum Mißfallen seiner Schwester - „sie hat Billy Cobham später geheiratet“.
Und dann „Sonic Mirror“ (2008), die Doku über Cobham. Der Ausschnitt hier ist besonders klug gewählt, er zeigt ihn inmitten von Streetkids, trommelnd und tanzend, in Bahia.
Und er zeigt - dass der Jazzmaster in diesem Moment erkennbar nicht weiß, wo die Glocken hängen, sprich: die Einsätze der collegas links und rechts bringen sein Rhythmusempfinden aus dem Takt.
Sie schiessen regelrechte Salven ab. Urplötzlich.
In eineinhalb Stunden in der Festival-eigenen Villa am Greisbachsee entsteht ein unterhaltsames, informatives Kondensat aus dem umfangreichen Werk eines bedeutenden Künstlers.
Es beschreibt seine Vergangenheit. Seine Pläne für die unmittelbare Zukunft in der unmittelbarer Umgebung bleiben, notabene, wenig konturiert. Es hängt viel von anderen Handelnden ab, die sich mit voller Absicht dem Ungewissen, der Improvisation, überlassen werden.
Man verlässt die Villa in dem Glauben, dass Mika in seiner freundlichen Unerschrockenheit deren Treiben in den Griff kriegen wird.
erstellt: 03.06.24
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