Der Deutsche Jazzpreis, 2024 zum vierten Mal verliehen und erstmals in Köln, hatte ein Vorecho. Es kam aus Bremen eine Woche zuvor, von der jazzahead, der vorherigen Station.
Es war eine gute Nachricht:
Alexander von Schlippenbach erhält den Deutschen Jazzpreis 2024 für sein „Lebenswerk“.
Der Pianist hat gerade sein 87. Lebensjahr begonnen. Ihn zu ehren, ist ebenso berechtigt wie völlig unumstritten. Nur mit Hilfe seiner Ehefrau, der Pianistin Aki Takase, konnte er das Podium in Köln erklimmen. Das Publikum im E-Werk dankte ihm als einzigem unter den Ausgezeichneten mit standing ovations, ein bewegender Moment am Schluss eines langen Abends.
„Meine Musik“, betonte er (und traf damit die exakteste terminologische Festlegung des Abends), „ist der Free Jazz“. Zwar werde weltweit mehr FreeJazz gespielt als je zuvor, aber „wir sind immer noch Underground - wenn auch sich etablierender, wenn nicht etablierter Underground; Fördergelder, Stipendien, das ist sehr schön“.
Der frühere Jazzrevolutionär musste selbst schmunzeln dabei, einzelne Lacher unterstützten ihn. Vielleicht stammten sie von den Durchblickern, die die Vergeblichkeit des „noch schöneren“ Wunsches des Preisträgers ahnten, "in naher Zukunft in unserem Medium, dem Rundfunk“ wieder mehr vertreten zu sein (mit Blick auf die Pläne der ARD ab Herbst 2024 eine unerfüllbare Utopie).
Es ging ein wenig unter in der Rührung des Augenblickes, dass Schlippenbach zugleich auch in einer weiteren Kategorie preisgekrönt wurde, in „Tasteninstrumente“.
Man mochte hier eine der kaum nachvollziehbaren Entscheidungen der Jury erkennen, die schon unter den Nominierten in dieser Kategorie heutige Neuerer wie Philip Zoubek oder Felix Hauptmann offenkundig überhört hat. Welche mit dem Geld für eine Nominierung (4.000 Euro), erst recht mit dem Preisgeld von 12.000 Euro sicher etwas hätten anfangen können.
Es waren, zugegeben, 2024 deutlich weniger fragwürdige Ehrungen als im vergangenen Jahr, wir erinnern z.B. an die leistungslose Auszeichnung an „Queer Cheer“.
Es waren aber auch deutlich weniger Kategorien; mehr WürdenträgerInnen als früher konnte man teilen, allen voran Petter Eldh unter "Saiteninstrumente".
Ohnehin senkte sich der Zeitgeist diesmal auf andere Felder. Der Begriff „afro-diasporisch“ wurde sogleich im Chi-Chi der Moderationen nivelliert, nicht besser erging es Großwerten wie „Demokratie“ und „Freiheit“.
Ergiebigste Quelle hier erneut die Staatsministerin für Kultur, Claudia Roth, in einer Videobotschaft („Liebe Musikerinnen und Musiker, liebe Demokratinnen und Demokraten. Jazz bedeutet für viele Musiker:innen und Zuhörer:innen pure Freiheit“.)
Möglicherweise zeigte sich hier bereits ein Lerneffekt aus der Roth-Rezeption bei der Berlinale, wobei die Filmbranche ohnehin ganz anders mit der Ministerin umspringt als unsere kleine Welt. Ihre Vorstellung von einem „Raum für das respektvolle, für das zivilisierte Austragen von Kontroversen auch im Rahmen solcher Veranstaltungen“, (sie meint die Jazzpreis-Verleihung), war im Kölner E-Werk mit keinem Sinnesorgan zu erkennen.
Zu der von Claudia Roth suggerierten und auch in dieser Zeremonie durchgängig gepflegten Auffassung, Demokratie zeige sich in modellhafter Form, wenn unterschiedliche MusikerInnen auf der Bühne stehen, hat ihr Kollege aus gemeinsamen Zeiten im Präsidium des Deutschen Bundestages das Nötige gesagt.
Die Frage, ob er das Bild nachvollziehen könne, „ein Jazz-Trio sei Demokratie im Kleinen“, verneint Norbert Lammert.
„Demokratie ist ein Verfahren zur Herbeiführung von Entscheidungen. Am Ende zeichnet sich eine demokratische Entscheidung immer dadurch aus, dass unter unterschiedlich vorhandenen Positionen die Mehrheit sich durchsetzt. Ich weiß nicht, ob man das für den Jazz ernsthaft reklamieren kann“ (in: Anke Steinbeck. Auf der Suche nach dem Ungehörten. Köln, 2019).
Liste der PreisträgerInnen
Foto: Niclas Weber
erstellt: 19.04.24
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