Neon Dilemma. Was immer der Bandname bedeuten mag, er beruht auf dem Titel einer Komposition von Robert Landfermann. Und der hat eine Vorliebe für verrätselte Überschriften.
Wer sich allerdings ein wenig mit seinem œuvre auskennt, dem signalisiert „neon dilemma composed by Robert Landfermann“ schon so einiges. Er/sie weiß, welches Subgenre gemeint ist, nämlich das Portal des Post FreeJazz und dort das Fenster mit dem Namen dieses Kölner Kontrabaß-Professors.
Mit dem früheren Verlegenheitsbegriff des „aufgeklärten FreeJazz“ kommt man dort nicht hinein. Hier rettet sich nicht (mehr) das freie Spiel zu seiner eigenen Abwechslung auf eingestreute thematische Inselchen. Hier herrscht vor allem ein kompositorischer Zugriff auf alle denkbaren Parameter.
Das „free“ auch in diesem - na klar! - Gelegenheitsbegriff des Post FreeJazz soll lediglich die Breite des Panaromas andeuten, das große Arsenal der eingesetzten Mittel.
„Neondilemma“ ist das zweite Stück des Abends, es hat ein staccato opening von allen drei Teilnehmern. Und hier verblasst die Erinnerung der Jazzpolizei an den weiteren Fortgang. Aus den Stichworten, ins handy getippt, geht nicht eindeutig hervor, ob der Eintrag „Flageolett, arco“, also gestrichen gespielte Flageoletttöne, höchst delikate Linien, handerklich meisterhaft, noch zum vorangehenden Stück gehörte oder zu „Neon Dilemma“.
Das ist, konzeptionell gesehen, wenig von Belang. Denn zu den verblüffenden Aspekten des Abends gehört, dass Stücke von allen drei Triomitgliedern gespielt werden, gelegentlich ineinander fließend, aber eben keine Kollektiv-Kompositionen.
Und Brüche in der Autorenschaft sind darin nicht zu erkennen.
Ein Bruch oder ein Dilemma - um noch ein wenig mit dem Bandnamen zu spielen - zeigt sich in der dichten Architektur der Performance allenfalls an den Stellen, wo Elias Stemeseder zu einem der beiden keyboards wechselt oder sie dem Flügelklang beimischt.
Hier offenbarte sich eine Latenz im Zugriff auf die erwünschten Klangparameter, mit denen schon Stemeseders berühmter Landsmann Zawinul Jahrzehnte zuvor zu kämpfen hatte. Es handelt sich um analoge Synthies, die mit Drehreglern bedient werden wollen. Was sie an Klangfarben herausrücken, war wenig aufregend; es waren weniger drones als Liegeklänge, auf die der in Berlin und New York lebende Salzburger sein stupendes Spiel am Flügel setzte.
Elias Stemeseder ist eindeutig mehr ein Pianist als ein Synthiemann, und vielleicht auf diese Proportion zielt der mysteriöse Einladungstext auf der Stadtgarten-Webseite, diese „drei Protagonisten der jazzbasierten Improvisationsmusik“ entspinnten „einen Diskurs über Möglichkeiten des zeitgenössischen Zusammenspiels in historischer Instrumentierung.“
Zum Glück spielten die drei ganz und gar nicht so, wie hier die Rede über sie auf den Sprach-Stelzen eines fehlgeleiteten Proseminars daherkommt.
Mehrfach gelangen ihnen Schlüsse, die kein Diskurs hervorbringen kann. Das geschah so punktum, dass man aufspringen mochte vor Entspannung.
Sowas gelingt nur, weil es in den Noten steht. Und da stehen auch - was man hört, wenn man sich an die dichte Stimmführung gewöhnt hat -, dass mitunter drei verschiedene patterns ins drei verschiedenen times ablaufen.
Das hat eine Kraft, die dem „aufgeklärten FreeJazz“ seligen Angedenkens nur monochrom gelingen konnte. Hier treffen Kraft & Varianz aufeinander.
Das kann man gut an Elias Stemeseder ablesen, der hier so gut wie keine lines spielt, sondern cluster-ähnlich über das ganze Manual springt.
Ja, natürlich, die drei improvisieren auch, sie kosten das Aufschaukeln aus, aber sie vergessen nie die Form. Und welche Dynamik Leif Berger, dr, hineinbringt, die Jazzpolizei hat es hier zum ersten Male so gehört.
Ein Tonträger dieses Trios liegt nicht vor, wohl aber eine Studioproduktion.
Wir sollten gespannt bleiben.
Foto: Gerhard Richter
erstellt: 11.11.23
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