"The Köln Concert" - jetanzzt

Keith Jarrett geht es nicht gut.
Nach zwei Schlaganfällen (2018) vermag der weltberühmte Pianist nur noch die rechte Spielhand übers keyboard zu bewegen, der kleine Zeigefinger versucht sich an einer Melodie, die restlichen vier an einem passenden Akkord.
Die Jazzpolizei wünscht, es käme dem empfindsamen Künstler besser nicht zu Ohren, wie man derzeit in der Geburtsstadt seines Problemprojektes mit seinem verhassten Dukatenesel „Köln Concert“ (bestverkauftes Solo-Piano-Album aller Zeiten; 1992 wollte er es „einstampfen“ lassen) umgeht: man tanzt dazu.
Bzw. man lässt dazu tanzen, vom Schauspielhaus Zürich Dance Ensemble, in der Choreographie und in der Mitwirkung von Trajal Harrell (für jazz-eingepegelte Ohren nicht zu verwechseln mit dem Trompeter Tom Harrell).
Koln concert Tanz 1Die Jazzpolizei mag sich Mimik, Gestik & sprachlichen Ausdruck nicht vorstellen, die dem Künstler entfahren, wenn man ihm - schonend, sehr schonend - hinterbringt, dass sein piano recital im Depot 2 in Köln-Mülheim in einer Lautstärke erklingt, die die eines piano recitals um ein Mehrfaches übersteigt.
Zugegeben, die Jazzpolizei ist nicht geübt in professioneller Tanztheater-Kritik, deshalb will sie schweigen von den Leibesübungen, die Harrell sich und seinen sechs KollegInnen zu der bedeutungsüberladenen akustischen Vorlage hat einfallen lassen.
Glücklicherweise nur für 26:15 Minuten, „Part I“ des Köln Concert. Vorher wurden zu vier Songs von Joni Mitchell die Arme bewegt.
Die Jazzpolizei wünscht, der 2019 frühverstorbene Satiriker Wiglaf Droste hätte dies erleben dürfen.
Er hätte sein Poem „Schwarze Tasten, weiße Tasten“ („Junge Menschen wurden Greise / Wenn Keith Jarrett klimperte / Auf dem Flokati litt ganz leise / Wer vorher fröhlich pimperte“.) höchstwahrscheinlich um eine Prise, ach was: eine Explosion Sarkasmus ergänzt.

Foto: Reto Schmid, Schauspiel Zürich
erstellt: 07.12.22
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