Cologne Jazzweek 2023 (1)

Cologne jazzweek, die dritte.
Das Wetter hatte ein Einsehen, der verheerende Sturm vor ein paar Wochen aber auch: die open air Bühne vor dem Stadtgarten zeigt sich wie gewohnt umrankt von hohem Baumbestand. Nur ein einzelner Ast endet amputiert.
Die Bühne ist neu, der Pavillon daneben, obschon ausgeleuchtet, hat ausgedient, das grand opening der cologne jazzweek 2023 war ausverkauft.
CJW 23 Barnett   1Auch die Festivalmacher waren überrascht; die australische Posaunistin Shannon Barnett, vor 10 Jahren zur WDR Big Band nach Köln gekommen, hat sich rechtzeitig davon gelöst, um mit eigenen Projekten zu avancieren, und, wie sich nun zeigt, auch zu einem Publikumsmagnet.
In der Tat, gelungener kann man sich das Format des jazzweek openers (Kölner Ensemble plus Gast) kaum vorstellen.
Barnett hat ihr exzellentes Quartett um Aurora Nealand erweitert.
Die Amerikanerin mit dem gerade am rechten Rheinufer sehr vertrauten Vornamen spielt Sopransaxophon und Akkordeon, sie singt und fügt sich blendend ein, eine echte Bühnen-Persona.
Derlei Charme und Leichtigkeit sind PHILM, einem Quartett um den Berliner Tenorsaxophonisten Philipp Gropper, schon von der Konzeption her fremd. Es konzentriert sich auf schwere, aufgebrochene Grooves und Patterns in Serie.
Die Rhythmusgruppe (Robert Landfermann, b, Oliver Steidle, dr) wogt bestens. Aber „vorne“, von Elias Stemeseder, keyb (erstaunlich unterkomplex) und noch weniger vom Bandleader kommen gleichsam überwölbende Ideen, gar Linien, die die Aneinanderreihungen verbinden.
Sonntag, der zweite Festivaltag, „grand sunday“, war kostenfrei, zumindest im Stadtgarten. Die Jazzpolizei hätte schon um 13:30 Uhr die Debatte „Welchen Jazz wollen wir?“ verfolgen können. Sie war zu diesem Zeitpunkt unterwegs, in der Eifel, endlich mal wieder Wandertag.
Sie kam am Abend pünktlich zurück ins Loft, einen weiteren der insgesamt 17 Festivalorte - zu einem sehr gelungenen Abend.

CJW 23 Dunston   1 Ein Konzert mit zwei Trios, gruppiert um DoYeon Kim. Sie spielt die koreanische Wölbbrettzither Gayageum, ein Instrument mit 12 Saiten, klanglich verwandt der japanischen Koto. Mit diesem Instrument hat man sie jüngst auf einem Album von Stemeseder & Lillinger bewundern können.
Etwas früher, 2021, ist sie auf dem Album „Spider Season“ des zwischen Berlin und New York pendelnden Bassisten Nick Dunston vertreten. In derselben Besetzung, also auch mit der Posaunistin Kalia Vandever, eröffnet sie den Abend.
Im Gegensatz zu den acht Stücken des Albums spannt dieses New Yorker Trio einen langen Bogen frei-improvisierter Musik, eine knappe Stunde lang.
Es war zum Staunen.
DoYeon Kim schöpft aus dem Vollen, mit Zupf-, Schlag- und Streichtechniken erzielt sie eine enorme klangliche Vielfalt. Bewegend geradezu die Tonbeugungen, nicht unähnlich den blue notes, die sie durch Niederdrücken der Saiten erzielt.
Und nicht zuletzt, was für ein timing, was für eine Auffassunggabe für den Moment!
Kalia Vandever (sie gehört zu den Band des Piano-Überfliegers Micah Thomas) spielt ihr Instrument nicht selten flächig, mit geschichteten Linien aus ihren delay-Boxen.
Nick Dunston, schon bei der letzten jazzweek aufgefallen, ist ein großer Rhythmiker, er liebt Wiederholungen, bis hinunter auf das mehrmalige Schlagen der leeren e-Saite. Was für ein Kontrast zu Florian Herzog im zweiten Set, mit demselben Instrument.
Ihn interessiert mehr die Klanglichkeit des Kontrabasses, er lässt die fünf (!) Saiten seines Exemplares gerne mal ausschwingen, aber auch ausschnarren.
Am Schlagzeug eines der neuen Multitalente der New Yorker Szene, Lesley Mok; kein geringes als das Jack (Streich)Quartet hat ihre Werke aufgeführt. Hier spielt sie ein geradezu unkörperliches Schlagzeug, sehr klanglich, viel Besen, man mochte in ihr eine ferne Verwandte von Paul Motian erkennen.
Lesley Mok, so hört man, soll in New York DoYeon Kim für die Improvisierte Musik gewonnen haben.
Und hier, in ihrem zweiten Konzert des Abends, wiederholt sie zu aller Erstaunen aus dem vorherigen Aufritt - nichts.
Ein paar Minuten lang verlässt sie allerdings ihr enormes Gespür für das Momentum. Sie ergreift ein Mikrofon, liest schwer Verständliches von einem smartphone ab und steigert sich schließlich zu einer Expression, die nun rein gar nichts mehr mit ihrer hohen Kunst auf der Wölbbrettzither teilt.
Die Jazzpolizei fühlte sich an Schreie beim rebirthing erinnert; dies rühre - so eine koreanische Besucherin zwei Sitze weiter - nicht aus einem koreanischen Ritual. Aha.

CJW 23 Herzog   1

Zum Abschluß des Abends, zu einem musikalischen Absacker sozusagen, schnell noch ins Jaki, den Club im Stadtgarten:
Jamie Peet & Niels Broos.
Der Niederländer Broos ist in Erinnerung mit scharfen keyboard-Partikeln auf Alben von Petter Eldh und eng damit assoziiert Anton Eger.
Und eben das ist er auch, wenn die Bühne ihm (fast) allein gehört, ein Meister der Kleinstform. Leider steht er sich selbst - wie weiland Joe Zawinul gelegentlich - im Wege, weil er sich - wie jener - in seinem elektronischen Fuhrpark verheddert.
Dass Niels Broos nicht Jazz spielt, spricht nicht gegen ihn, wohl aber dass er keine Form findet, nicht mal ansatzweise einen Bogen, sondern von einem Kleinstmotiv zum nächsten hetzt. Von klangfarblichem Ehrgeiz ganz zu schweigen.
Der Schlagzeuger Jamie Peet agiert als braver Assistent, er füllt Lücken, zeigt keine eigene Agenda.
Unser Nachbar zur linken fühlte sich an Hardin & York erinnert. Joaaa, vielleicht - die haben wenigsten zusammen gewirkt.
Die Jazzpolizei empfahl zum Referenzhören einen anderen Niederländer: Michiel Borstlap … mit Bill Bruford.
CJW 23 Broos   1Fotos:
Niclas Weber (Barnett)
Gerhard Richter (3)
erstellt: 15.08.23
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