MARLIES DEBACKER + SALIM(A) JAVAID Convolution *********
01. Serene - Wide (Javaid), 02. Convoluted (Debacker), 03. Compulsive (Javaid), 04. Amplified (Debacker), 05. Dusky (Javaid)
Marlies Debacker - p, clavinet (4), Salim(a) Javaid - ss, as, bars
rec. 01/02 2023
impakt Records 1/24
Das präparierte Piano, sagen wir es mal so, hat einen Lauf.
Die Technik, die Saiten eines Flügels mit teilweise sehr alltäglichen Gegenständen am vollen Durchschwingen zu hindern und damit klanglich mitunter frappierend zu modifizieren, ist acht Jahrzehnte alt. Sie stammt bekanntlich von John Cage.
Ihre Attraktion im Jazz der letzten 20 Jahre geht wesentlich auf Benoit Delbecq aus Paris zurück, in Deutschland erlebt man sie bei Philip Zoubek, Achim Kaufmann, auch Michael Wollny. Bojan Z. hat sie angewandt, Stefano Bollani, ja auch Esbjörn Svensson.
Der kleinste ästhetische Nenner, der sie eint, ist ihre Ausrichtung auf das Perkussive, und darunter bei Delbecq noch am deutlichsten: auf das Afrikanische.
Bei Marlies Debacker findet sich nichts davon - obwohl sie mit fast den gleichen Gegenständen hantiert. Eine Zuordnung zum Jazz wäre überdies fragwürdig. Weder swingt noch groovt sie, rhythm changes sind ihr fremd, ebenso Themen aus lead sheets.
Gleichwohl kann man sie an jazz locations erleben, etwa im Loft oder im Stadtgarten Köln. Sie kommt aus der Neuen Musik. Und die ästhetische Schnittmenge dorthin, man könnte auch von einem fruchtbaren Brackwasser sprechen, in dem sie sich bewegt, ist die Improvisation.
Frei Improvisierte Musik a la Debacker + Javaid lässt sich (obwohl damit nicht identisch) gut mit einem Hörbewußtsein erschließen, das auf Post Free Jazz eingemessen ist. Sie führt allerdings klanglich in ein ganz eigenes Reich.
Die beiden haben es in den knappen liner notes angemessen skizziert:
„Convolution ist der Versuch, Saxophon und Klavier zum Meta-Instrument zu verschmelzen. Die Musik wirft den Blick neugierig und melancholisch auf die Schatten des Vergangenen - Nachhall, Ausklang, Resonanzen - und lässt diese zum musikalischen Material werden“.
Schatten in diesem Kontext erweist sich nicht als lediglich dahin geworfene poetische Metapher, der Begriff bekommt hier zugleich einen eminent deskriptiven Wert:
„Diese sich stetig ändernden Schatten von Klangereignissen werden im Zusammenwirken pianistischer Aktionen (wie z.B. Pedalspiel und stumm gedrückten Tasten) mit dem Saxophon zu formbarer Materie“.
Dessen Rolle wird präzisiert:
„Das Saxophon spielt im Bereich der Aktivierungsschwelle des Nachhalls, sodass es mal in den Resonanzen aufgefangen wird und mal mit diesen verschmilzt".
Das können Schwebeklänge sein („Serene/Wide“), die Sopransax und Piano aushauchen; trockenes, quietschendes Klanggeröll („Convoluted“) oder große Hallräume („Compulsive“) mit perkussiven Akzenten vom Baritonsax.
Mitunter, wie in „Amplified“, rätselt man: wer wirft welchen Schatten? Klangursachen sind nicht mehr auszumachen.
Sie spielen auch keine Rolle (mehr) in einer Dramaturgie, die immer wieder die Frage aufwirft: what´s next?
Marlies Debackers Partner Salim(a) Javaid ist tschechisch-pakistanischer Herkunft. Was er an extended techniques an drei Saxophonen aufbietet (und häufig eben nur andeutet), korrespondiert idealtypisch mit denen an ihrem Instrument.
Das Suffix (a) zum Vornamen findet in den liner notes keine Erklärung, erst auf der Englisch-sprachigen Webseite enthüllen die Personalpronomen „they/them“ die Bedeutung.
Eine geradezu modellhafte Diskretion im Umgang mit Tatbeständen, die zur instrumentalen Praxis nichts beitragen. Das wird andernorts, z.B. in Berlin, anders gehandhabt.
erstellt: 22.01.24
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