What you have missed: Fred Frith & Maria Portugal, Loft, Köln

An diesem Abend wurden die Koordinaten der Frei Improvisierten Musik neu bestimmt, zumindest ein bisschen.
Das mag übertrieben kliegen, jawoll. Aber warum sollte Übertreibung gänzlich ausgeschlossen sein, wenn sie doch von dem Vergnügen sprechen will, das eine Performance bereitet hat.
Frei Improvisierte Musik bedeutet bekanntlich vieles. Sie bedeutet vor allem Ausschlüsse: keine Beats, keine Grooves (und wenn doch: schnell wieder verwischt), keine Themen, keine Tonalität, keine Narration.
Kurzum, sie präsentiert sich, wie Derek Bailey (1930-2005) sie sah, als die „nicht-idomatische“ Musik - und ist eben doch durch ihren über Jahrzehnte angewachsenen Formelvorrat selbst zum Idiom geworden.
Frith LoftFred Frith, 74, hat dieses Bild mitgestaltet.
Er hat sein Instrument mit Gegenständen behandelt, ja malträtiert, die die meisten seiner Kollegen davon fernhalten: im günstigsten Fall Geigenbögen, aber auch Rasierpinsel, Tabakdosen und was sonstwie Krach macht.
Die meisten wissen: damit ist allenfalls eine seiner Seiten beschrieben. Er agiert ja auch auf der dem Gesicht zugewandten Seite des Notenständers, als Komponist, als Kompositionslehrer. Nicht zuletzt, er stammt aus der Rockmusik, die ohne Repetition in vielen Parametern nicht lebensfähig wäre.
In der Zugabe, zu der ihn seine gut-gelaunte Partnerin wie auch das enthusiasmierte Publikum zurückrufen, kann er sich nicht zwischen zwei Zuständen entscheiden.
Er schrammelt ein paar Akkorde, zeichnet sie per Fußtritt auf einem seiner elf Effektgeräte auf, kehrt gelegentlich dahin zurück. Aber oben auf dieser Welle bearbeitet er, wie in Moers-Festival-Zeiten, die Saiten mit einer Blechbüchse.
Ein FreeJazz-Drummer hätte dieses unentschlossene Angebot mit einem frei-metrischen Gewitter bereinigt. Aber Maria Portugal arbeitet nicht nach dem Logbuch dieser Gattung, sie macht mit ihren Stöcken irgendwas in Melodik. Die beiden waren gerade von einem grandiosen Parcours abgetreten - dieses Ausfluges hätte es gar nicht mehr bedurft.
Portugal LoftjpgMaria Portugal, 39, kommt aus Sao Paulo, sie ist gut vernetzt in der europäischen Improvisationsmusik, 2020 war sie Improviser In Residence beim Moers Festival.
Es wäre völlig verfehlt, ihr Ausdrucksspektrum in essentia-
listischer Weise aus ihrer brasilianischen Herkunft zu erklären (kein „Samba-Fuß“ an diesem Abend!). Dafür hat sie, fast wortwörtlich, eine viel zu große Farbpalette zur Hand.
Im Grunde agiert sie wie eine Perkussionistin, reich an Klangfarben, reich an Rhythmen, in großer Dynamik, bis hinunter an die Wahrnehmungsschwelle. Mitunter summt & singt sie auch.
Dies alles ist aber lediglich der manifeste, der klingende Teil einer davor liegenden, wahrlich entscheidenden Instanz: eines großen Gespürs für den Moment, für die Potenziale spontan sich abzeichnender Architekturen.
Dem steht ihr älterer Partner in nichts nach. Technisch zieht Fred Frith manche Hilfsmittel von Bill Frisell heran: loops, also ostinati, rückwärts laufende Klänge, Schichtungen - aber er klingt ganz anders.
Frith PortugalDiese Architektur Frei Improvisierter Musik, die von Frith & Portugal, zeichnet sich durch eine Eigenschaft aus, die in ihr selten ist, ein Begriff, den es musikphilosophisch eigentlich gar nicht gibt: Narration
(„Nicht die Musik erzählt, sondern wir narrativieren die Musik“, Georg Mohr in: Frédérik Döhl, Daniel Martin Feige. „Musik und Narration“. 2015)
Narration, oder auch „Magie“, wie es einige nannten, auf deren Gesichtern es eh abzulesen war - die zahlreichen Zuhörer wussten, was sie gerade erlebt hatten.
Fred Frith & Maria Portugal, im November 2022 waren sie in Zürich zum ersten Mal aufeinander getroffen, auch in Köln „liefen die Bänder mit“ - es ist ein Live-Album zu erwarten.

Fotos: Peter Tümmers
erstellt: 09.06.23
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