What you have missed: Benoit Delbecq, Pierre Boulez Saal, Berlin

Von den vielen Adjektiven, die anfallen, wenn das Spiel von Petter Eldh auf dem Kontrabaß beschrieben werden will, liegt „kraftvoll“ als erstes an, sozusagen auf der untersten Beschreibungsebene.
Wer ihn nun im Pierre Boulez Saal erlebt hat, kann nicht umhin, seine zahllosen Konzerte in den Jahren zuvor als Treppenstufen zu diesem akustischen Tempel, dem optimalen Ort zur Entfaltung seiner Künste, zu lesen.
Der Pierre Boulez Saal, schräg gegenüber vom Außenministerium, rückwärtig zur Staatsoper Unter den Linden, mithin im Imperium von Daniel Barenboim, ist ein Kammermusiksaal, oval geschnitten, mit einer Galerie.
Amplifikation ist hier zwar nicht verboten, immerhin ist Jan Bang, der norwegische Elektroniker hier gewesen, John Scofield kommt bald, aber Benoit Delbecq mochte diesmal weitgehend auf Elektrik verzichten.
Eine gute Erfahrung hat er aus einem gemeinsamen Konzert hier mit Fred Hersch 2019, und nun den ebenso guten Vorsatz, dem Auftrag durch den Saal-Kurator für Improvisierte Musik und Jazz (Piotr Turkiewicz) zu folgen, nämlich einen Abend für Jazz-Ensemble(s) zu konzipieren.
Petter Eldh ist „one of the two Swedes in Berlin“, die er für ein neues Quartett an diesem Abend eingeladen hat. Quasi die Wiederaufnahme einer Beziehung, die 2017 in einem Trio mit Jonas Burgwinkel zu „Medusa Beats“ geführt hat.
Eldh also betritt nach der Pause das Forum, greift sein Instrument - und nach den ersten Tönen schaut man unwillkürlich näher hin: welche Aufgabe hat das Mikrofon, das vor ihm postiert ist? Soll es vielleicht doch, wenigstens ein wenig, das Instrument stützen, damit es sich im Saal vollständig verbreite?
Aber nein, das Mikro dient lediglich zur Aufzeichnung des Abends, für stream on demand, nicht zur Verstärkung. Es obliegt niemandem sonst als dem Resonanzraum dieses Instrumentes und Eldh´s Hände Arbeit daran, den Pierre Boulez Saal auszukleiden.
So also klingt ein Kontrabaß, aus sich selbst heraus, in einem Raum viel größer als jeder Jazzclub. Nichts geht verloren, nicht die bisweiligen slappige Attackphase, nichts von dem vollen Ton, der sich ausbreitet und wieder ausschwingt.
Sofort ist ein rhythmisches Feeling da, eine Art Groove. Zumal der Bandleader am präparierten Flügel es vorgibt. Und der Schlagzeuger Samuel Ber, ein Belgier in Paris (ebenso wie Jozef Dumoulin, mit dem er ein Duo hat) in den Grenzbereich, ab dem sein Blech alles zuscheppert, gar nicht erst eindringt.
Jetzt also erfährt man, wie all die Kraft, die Petter Eld in hunderten Konzerten trainiert hat, hier ihren optimalen Rahmen findet.
Der Eindruck verdankt sich auch, zugegeben, auch einem Positionseffekt aus dem ersten Teil des Konzertes. Eldh´s Pariser Kollegin Sarah Murcia, die, so hört man den Bandleader erklären, gerne laut mit Amplifikation spielt, ward für diesen Abend aufgetragen, sich allein auf den Korpus ihres Instrumentes zu verlassen. Eine Premiere für sie, im Kontext von Delbecqs Musik. In dem sie nicht den vollen headroom des Raumes ausnutzen konnte.
Petter Eldh aber stützt sich auf einen Groove, den Delbecq und Ber vorgeben.
Ja, und da ist noch der zweite Schwede aus Berlin in diesem Quartett, im zweiten Teil des Abend, Otis Sandsjö. Der Boulez-Saal horcht geradezu ergeben seinen filigranen Obertonlinien, seinen multiphonics, gelegentlich auch in Zirkularatmung in die Kuppel geschickt.
In solchen Momenten hebt er sein Horn (wie sonst nur Courtney Pine) und kostet den Raum auch ikonografisch aus.
Der Musik, typisch Delbecq, stellenweise afrikanisiert, immer kontrapunktisch über ungeraden Metren, in dieser Besetzung auch eine Premiere, hätte ein zusätzlicher Tag Proben gutgetan. Der Bezug zum genius loci, dem Jazzgegner Boulez (1925-2016), gelang in zwei Klaviertechniken.
Paradox, aber: „Boulez didn´t like jazz, but he taught me a lot“ - z.B. eine Idee aus dessen „Répons“ (1981) umzupflanzen, nämlich die elektro-akustische Wiederspiegelung des gerade Verklungenen (als würde man auf der Bühne ein Radio wiedergeben lassen, was gerade geschieht, wie Delbecq sagt). Leider war das MacBook als Sampler an einer Stelle nur schwer wieder einzufangen, in der Probe war es gehorsamer.

Delbecq 4 Boulez Saal Jacob Tillmann 1Der erste Teil, ein Trio mit Delbecq, der Bassistin Sarah Mucia sowie dem amerikanischen Kornettisten Taylor Ho Bynum erklang hingegen digital free. Es war, in Abwesenheit eines Rhythmusgebers, der kammermusikalischere Teil.
Man hörte klangliche Preziosen in den einzelnen Instrumenten (ganz neu zum Beispiel der klang-dämpfende Eindruck, den ein alter Hut auf dem Schalltrichter hinterlässt), ein technisch ausgereiftes Baß-Solo, die perkussiven Tupfer des präparierten Flügels. Bisweilen schienen sie klangtrunken dem Raum ergeben, isolierte Inseln, ohne hinreichende Vernetzung.
Allerdings, eine Tonreihe mit ihrem stop & go zu Ehren des jüngst verstorbenen Malers Pierre Soulages (1919-2022) ließ das Improvisationstalent der drei aufblühen.
Wie im Jazzclub, nur besser klingend.

Foto: Jakob Tillmann
erstellt: 13.03.23

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