Ist Wuppertal das neue Berlin?

Wenn Peter Kowald das noch hätte lesen können…
Er ist 2002 in New York City verstorben; in seinem Kiez nahm man seinen Beruf als wilder Mann am Kontrabaß billigend in Kauf.
Denn sein Wirken ging weit über den Bühnenrand hinaus, im Luisenviertel nannte man ihn seiner auch nicht einschlägig vorbeschallten Ohren gegenüber gezeigten Zuwendung wegen „unser Bürgermeister“.
Nein, nicht Kowald´s potenzielles Kopfschütteln über die von der Stadt aufgestellten goldenen Sitzbänke (ohne Rückenlehne!) ist gemeint.
Denn jüngst war Hanno Rauterberg, der Kunstkritiker der ZEIT, im Tal. Und kehrt zurück mit der Schlagzeile:
„Das neue Berlin heißt Wuppertal“.
Ehrlich gesagt, eine ähnliche Bewertung hatte die Jazzpolizei schon vor Corona gehört, vermutlich vor 4 Jahren, bei einer Debatte im Stadtgarten Köln. Ein Bildender Künstler sprach für sich (und einige wenige Kollegen): in Köln könne er sich nur ein Atelier leisten, in Wuppertal Atelier und Wohnung.
Kaum anders tönt es jetzt bei Rauterberg: „Die Industriestadt wird zum Kraftzentrum der Künste“.
Er erwähnt die üblichen Verdächtigen (Christian Boros, Tony Cragg, Pina Bausch, das Von der Heydt Museum). Er besucht nicht den „ort“ (Kowald!) oder das „Loch“,  das kann man von einem Kunstkritiker nun wirklich nicht erwarten, aber immerhin erwähnt er die mit beiden im weitesten Sinne assoziierte „Free-Jazz-Szene, international gerühmt“.
Einschlägig eingemessene Ohren wissen, dass diese Szene, im engeren Sinne, nur noch in einer Person fortlebt, die zwar im Luisenviertel wohnt, aber bestenfalls noch Interviewer, und diese zahlreich, dort empfängt.
Ansonsten - so verrät ein Insider - sei die Szene im weiteren Sinne, also die Wuppertaler Jazzszene, lokaltypisch zersplittert wie die „Religionen, Kulturen, Sekten“, von denen auch Rauterberg schwärmt, es gebe sie hier „mehr als irgendwo sonst“.
In naher Zukunft, nachdem man die Patina entfernt hat, wird der Free-Magnet wieder volle Säle garantieren. So am 29.09.-01.10, wenn nach dem Motto von „Brötz 80!“ die Fortsetzung als „BRÖtz23“ ruft. Im Ada.
Und im "ort", am 5./6. Mai eine Hommage an den Gitarrentüftler und Instrumentenerfinder Hans Reichel (1949-2011), unter dem Titel - fasten seatbelts - „Hans in den Mai“.
Das ist Wuppertaler Humor.
Und urbi et orbi wird man das schallende Gelächter darüber mit Blick auf einen Buchtitel von 2006 legitimieren:
Sounds like Whoopataal.

erstellt: 03.03.23
©Michael Rüsenberg, 2023. Alle Rechte vorbehalten

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PS (29.03.23)

Wie Brötzmann, 82, vor ein paar Tagen auf facebook mitteilt, erlaubt sein Gesundheitszustand nach "Re-Animation" in "(naher) Zukunft" weder Reisen noch Konzerte.
Ob dadurch auch „BRÖtz23“ in Frage steht, ist derzeit unklar.