What you have missed: Jonas & Soweto, Jaki, Köln

Alle haben Notenständer vor sich, der Gast nicht.
Wo eventuell Notenpapier sich befinden könnte, vor ihm auf dem Bühnenboden, liegt ein weißes Handtuch. Er wird davon fleißig Gebrauch machen.
Der opener wird angezählt - und der Gast aus Birmingham spielt, als sei es seiner.
Es ist seiner. Außer zwei Standards - „Passion Flower“ von Billy Strayhorn und „After you´ve gone“ aus dem Jahr 1918 - spielt das Quartett ausschließlich Stücke von Soweto Kinch.
Der Gastgeber, Jonas Burgwinkel, als Schlagzeuger überaus exponiert, hält sich als Komponist zurück. Das ist erstaunlich, immerhin ist „Jonas & Jaki“, im Jaki, im Club unterhalb des Stadtgarten Köln, seine Reihe.
Es war, wie sich nach einer guten Stunde herausstellt, eine gute Entscheidung.
Statt Vielfalt, Abwechslung um jeden Preis, ein Strom von gut gebauten Stücken.

burgwinkel und kinchAlle irjenswie unter der Flagge des NeoBop; erweitere Bebop-Themen, oft mit einem karibischen Flair, ohne dass sich die darunter schimmernden Formen als Calypso oder Reggae wirklich herausschälten.
Sie werden mit ungeheuerem Drive vorgetragen. Soweto Kinch ist ein dynamischer, ein mitreissender Altist, auch im hohen Register artikuliert er mit großer Kraft.
Seine Themen, im weiteren immer noch grundiert in der Bop-Tradition, fliessen zügig. Und es ist beglückend zu erleben, dass die australische, in Köln lebende Posaunistin Shannon Barnett damit umgeht, als hätte sie sie schon immer gespielt. Wahrscheinlich steht sie zum ersten Male auf der Bühne neben Kinch.
Nicht selten blinzelt der unter seinem verbeulten Tropenhelm nach rechts (zu ihr) und nach links (zur Rhythmusgruppe), um sein Wohlgefallen mit der Situation zu signalisieren.
Die Rhythmusgruppe, das ist mit Robert Landfermann, b, und Jonas Burgwinkel, dr, die aus dem Pablo Held Trio renommierte. Der Bandleader, als Gast im Publikum, gibt nicht zu erkennen, ob und wie ihn die Zauberkünste seiner beiden Kollegen bewegen.
Wahrscheinlich denkt er „normal!“, was die beiden offenkundig mit Lust & Freude an swing, mit allerlei Aufbrechungen, davonschnellen lassen. Endlich mal wieder ein Jazzabend, der sich, sozusagen aus der Mitte der Gattung heraus, selbst genügt. Ohne Anleihen an X oder Bezüge von Y, ohne einen Beleg der großen Adaptionsfähigkeit, die den Jazz nun mal auszeichnet.
Andererseits bewegt sich Soweto Kinch (und das weiß ein jeder, der auch nur kurz über ihn nachliest) in seiner Heimatstadt und auch darüberhinaus gerne in HipHop-Zirkeln, er ist eben auch ein MC, ein Master Of Ceremony. Wie er sich auf der Bühne gibt, auch mit Mitte vierzig nun, spricht davon.
Also schnappt er sich irgendwann das Mikrofon, zieht sein smartphone aus der Hosentasche, darauf ein Text - der allfällige Rap, „Savages“ (Wilde), drei Minuten Kapitalismus- und Kolonialismus-Kritik.
Ein guter Rapper ist ein improvisierender Rapper. Soweto steckt das smarphone weg, ruft bei der Rhythmusgruppe ein ostinato ab und bittet die Zuhörer um Begriffe, er will damit jonglieren.
Aber die Kölner, die bei uptempo swing ausflippen vor Vergnügen, zieren sich. Soweto hört irgendwann „Kühlschrank“. Sprachlich überfordert ihn das, aber seine Performance stock nun keineswegs; er nimmt zwei, drei weitere Worte hinzu - und fantasiert Sätze, die just mit diesen Worten enden.
Das wäre eine andere Show. Diese schließt mit einem Standard, und alle scheinen froh darüber. Auch Lautsprecherbrummen bringt die vier nicht einen Moment in Bedrängnis. That´s Jazz!

Fotos: Gerhard Richter
erstellt: 30.09.22
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