Die Sartory Säle sind "seit 1948“ eine Hochburg der Fasteleer (hochdeutsch „Karneval“). Am 11.11.21 wird dort zum Beispiel der Ävver met Jeföhl e.V. die neue Session eröffnen.
Die Sartory Säle haben lange keinen Jazz mehr beherbergt. Sehr lange nicht mehr.
Die Jazzpolizei erinnert sich an Miles Davis vor 50 Jahren; am linken Bühnenrand Keith Jarrett (an einer fimschigen Orgel, wie der Kölner sagt). An die Paul Bley - Annette Peacock Synthesizer Show (mit Han Bennink). Oder auch an „The Nucleus“, von Gigi Campi (1928-2010) auf der Bühne mit germanischem „th“ begrüßt.
Nicht korrekt auch die Einschätzung, dieser legendäre Jazz-Impresario habe das Sartory“ als Kampfplatz für die von ihm gemanagte Clarke Boland Big Band (1961-1972) genutzt. Die CBBB ist nur ein einziges Mal in der Friesenstraße angetreten - weiß Wolfgang Hirschmann: bei einer Battle Of The Big Bands. Gegen Kurt Edelhagen einerseits und Buddy Rich andererseits.
Er nennt nur den Verlierer der Competition (Buddy Rich).
Hirschmann, 84, saß nicht nur damals als Zeuge am Mischpult, sondern auch bei Marlene Dietrich 1961 in den Abbey Road Studios zu London, 1968 bei CBBB im Ronnie Scott´s, gleichfalls London, überhaupt bei allen Aufnahmen dieser explosiven Formation.
1993 holt Hirschmann, nunmehr Chef der WDR Big Band, die junge Jazz-Komponistin Maria Schneider aus New York City zu ihrem ersten Job nach Europa. Nach Köln. Aber nicht ins Sartory.
Die heute 60jährige wird wenig später auf die damalige Premiere verweisen und den Saal nach Hirschmann absuchen, „he should be present somewhere“. Der Gesuchte wird entdeckt und erhebt sich - prasselnder Beifall. Nicht der erste an diesem Abend, er wird mit zwei standing ovations schließen.
Überhaupt ist die Stimmung gesättigt von einer sehr lokalen, paradoxen Schöpfung aus alten Gefäßen und neuen Inhalten, von einer unwiderstehlichen Symbiose aus Nostalgie und Gegenwart.
Denn auch der Klangkörper des Abends trägt einen Namen, der in Köln eigentlich schon lange die Halbwertzeit der Erinnerungs-
trächtigkeit seines historischen Bezuges überschritten hat: das Subway Jazz Orchestra. Keines seiner 18 Mitglieder dürfte noch einen Abend im Namen gebenden Jazzclub Subway (1970-2001) an der Aachener Straße erlebt haben.
Seit acht Jahren haben die SJO-Leute einen Fuß in der Tür dieser Diskothek, sie bilden - jenseits der WDR Big Band - eine von vier oder fünf professionellen, freien Jazz Big Bands in der Domstadt.
Ein Umstand, undenkbar zu seeligen CBBB-Zeiten; ein Ausdruck der Tatsache, dass in Köln die Quote guter und bester JazzmusikerInnen pro Quadratkilometer nie so hoch war wie in der Gegenwart.
Einen eminent guten Riecher bewiesen die SJO-Mitglieder auch in der Wahl des Konzertortes. Subway, Loft, auch der Stadtgarten - viel zu klein für dieses Konzert. Der Gürzenich ungeeignet, die Philharmonie zu groß. Über das Sartory dürften sie vielleicht in Robert von Zahn´s Geschichtsbuch „Jazz in Köln“ (1997) gelesen haben (noch am Friesenplatz liessen sich VertreterInnen im besten Jazzmusiker-
alter von ihren smartphones die letzten hundert Meter weisen).
Weit über 400 Tickets wurden verkauft, eine frappierend erfolgreiche Entfesselung einer Minderheitenkultur inmmitten eines artfremden Gehäuses.
Es gibt personelle Schnittmengen zu den anderen Kölner Big Bands. SJO-Mitglieder haben für die WDR Big Band geschrieben oder mit ihr gespielt, den einen oder die andere sieht man auch im Cologne Contemporary Jazz Orchestra oder im Fuchsthone Orchestra (die Pascal Klewer Big Band wiederum operiert mit ganz anderem Personal).
Das SJO lädt Gastkomponisten ein, es ist u.a. seitens Steffen Schorn, Hayden Chisholm oder auch Anna Webber manches an hip shit in den Partituren gewohnt.
Maria Schneider macht da keine Ausnahme, es dürfte allerdings die prominenteste Stimme sein. Sie hat bei Gil Evans assistiert, mit viel Phantasie mag man davon noch etwas hören, mehr aber von Bob Brookmeyer (1929-2011). Die Vorliebe für dunkles Posaunen-Lodern, prominent bis hinunter zur Bassposaune (Jan Schreiner), mag man darauf zurückführen.
Anders als dem Brookmeyer-Schüler John Hollenbeck sind ihr Wiederholungen im Stile von minimal patterns fremd, dafür haben Solisten bei ihr viel mehr Auslauf. Manchmal löscht sie dafür alle Lichter in der Architektur des Orchesters und lässt die Solisten allein mit der Rhythmusgruppe. Immer wieder holt sie sie dann zurück mit gestaffelten Ableitungen des Hauptthemas, gegen die sich die vorne am Mikrophon schon behaupten müssen.
Das taten eindrucksvoll u.a. Heidi Bayer, flh (Foto), Johannes Ludwig, as, Janning Trumann und Shannon Barnett, tb, Rainer Böhm, p.
Das Probenformat war „amerikanisch“: zwei Tage. Die Band intonierte gut, war gut beisammen. Wie gut, daran ließ Frau Schneider mit visuellen Bekundungen keinen Zweifel: hier ein Daumen hoch, ein lächelnder Blick dort, Hand auf die Schulter des Pianisten, als sie an ihm vorbei die Bühne verlässt; auf selbige Art kam der Bassist Matthias Akeo Nowak ganz zum Schluß zu einem Sonderlob.
Balladesk, mit Pastelfarben, wie zu Beginn, schließt sie das Konzert. Da wackelt nichts.
Nach fast drei Stunden, inklusive Pause, geht ein sehr Kölnischer Abend - ohne jede kölsche Tön - zu Ende. Erneut mit standing ovations.
Fotos: Peter Tümmers
erstellt: 30.10.21
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