in memoriam Herbert Joos

Die große Videofläche, hoch über der Bühne im Saal T1 im Theaterhaus Stuttgart, der westdeutsche Gast kann den Blick nicht abwenden davon.
Vor 5 Jahren, beim 75. Geburtstag von Eberhard Weber, in Jazz-
dingen sicher Stuttgart´s „greatest son“, saß der Jubilar am Bühnenrand und staunte über die Interaktion zwischen den Tönen auf der Bühne und denen auf der Wand.
Die da oben waren von ihm selbst, seine eigenen Baß-Soli, von Pat Metheny aus etlichen Konzerten geschnitten und Groove-genau in die Live-Performance einer hochkarätigen Band eingepasst.
Der Künstlerabschied von Herbert Joos (21.03.40-07.12.19) bedurfte einer solchen technologischen Meisterleistung nicht, vor zehn Jahren hätte man dafür gar keine Verwendung gehabt.
Die Kondolenzen, per Brief oder e-mail eingetroffen, hätte halt jemand vorgelesen, mutmaßlich der Hausherr selbst, Werner Schretzmeier, in der ihm eigenen Dignität („Guten Abend, meine Damen und Herrn. - Es ist verbrieft. - Er hat gelächelt…“)
Im Zeitalter des smartphone sehen die Kondolenzen buchstäblich anders aus.
So zahlreich trafen Video-Botschaften ein, dass man sie demnächst auf YouTube sammeln will und sich zunächst auf eine Auswahl beschränken musste.
Sie war hinreißend. Man sah ergreifende Videos (z.B. von Jon Sass, einem Kumpel von Joos aus immerhin 19 Jahren im Vienna Art Orchestra), eine ganze Reihe lustiger (z.B. von Klaus Dickbauer, auch aus eben jener Zeit), der seinen Kopf nach Zwischentiteln für immer weitere Anekdoten in die Kamera hält.
Joachim Kühn war offenbar wurscht, dass der Wind auf Ibiza große Teile seiner Worte einkassierte.
Till Brönner sprach unpersönlich, als habe er das Manuskript eines FDP-Kulturpolitikers geschluckt.
Aber selbst noch in Unbeholfenheit waren Freundschaft, Passion und Respekt zu entdecken: der Bassist Joe Fonda in New York kündigt im Vollbild ein Solo an. Als dieses dann wirklich erklingt, kippt sein smartphone um, Fonda spielt weiter, ergreift es dann wieder und spricht ein goodbye an den Verstorbenen in die Kamera.
Dessen Leibesfülle, gerade in den letzten Jahren, und sein vielfach bezeugtes Genießertum erschließt sich aus der Freundschaft mit Vincent Klink; im Video wird der nicht nur als „Koch“, sondern überaschend auch als „Trompeter“ untertitelt.
Schließlich Eberhard Weber. Mit dem Besteck des tiefen Understatement lässt er das Gegenteil aufsteigen, das Lob seiner selbst. Weber muss sich immerfort von irgendetwas distanzieren, diesmal von seinen eigenen Platten, die er angeblich niemals wieder anhört.
Gleichwohl, auch er stellt den Ideenreichtum des Verstorbenen heraus (wenn auch mit einem leicht vergifteten Argument), und sein Schluss ist nicht ganz ohne:
„Spielt schön. Aber spielt richtig!“
Joos Theaterhaus2020 5703CRainer Ortag

 

 

 

 

 

 

 

Matthias Rüegg,
Wolfgang Puschnig

Weber, im fernen Südfrankreich, in wenigen Tagen wird er 80, muss etwas geahnt haben. Zu diesem Zeitpunkt nämlich hatte man schon den einen oder anderen Leiter-fremden Ton vernommen. Im Gesicht von Wolfgang Puschnig war das Geschehen um ihn herum gelegentlich wie in einem offenen Buch zu lesen.
Aber, dies war nun mal kein Abend für die Jazzpolizei. Es war ein Künstlerrequiem, für einen Kollegen, für den großen Balladenspieler unter den deutschen Jazztrompetern. Für einen Menschen. Für einen Menschen mit Humor.
Dem westdeutschen Gast war dieser Charakterzug wenig vertraut. Ebensowenig die Art, wie die Süddeutschen einen solchen Anlass begehen, nämlich mit Würde und viel Heiterkeit. Ein Völkchen von sage und schreibe 777 Besuchern fand sich ein, eine lässig-elegante Stadtgesellschaft.
Erwähnung fand, dass auch Wolfgang Dauner, zwei Tage zuvor verstorben, am selben Ort eine Requiem bereitet werden wird.
Wer weiß, vielleicht findet sich dann auch der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg ein (oder Matthias Richling doubelt ihn).
Die Stuttgarter Zeitung widmet Dauner heute fast eine ganze Seite, darin auch die Stimme von Winfried Kretschmann.
Und der westdeutsche Gast fragt sich, ob der Ministerpräsident seines Landes nach seinem beherzten Fehlgriff in der „Oma Umweltsau“-Affäre Mut & Muße fände, in einem vergleichbaren Fall einen Jazzmusiker aus NRW zu ehren.
Joos Theaterhaus2020 5820CRainer Ortag

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Gruppenbild mit einem Kollegen: Jürgen Wuchner, Wolfgang Puschnig, Clemens Salessny, Thomas Siffling, Patrick Bebelaar, Günter Baby Sommer, Matthias Rüegg u.a.

 PS: Als der westdeutsche Gast in Köln wieder aus dem Zug steigt, läuft er in die Arme eines im Rheinland weltberühmten Musikers. Wo kommst du her, wo fährst du hin? Ich komme aus Stuttgart, vom Künstler-Abschied von Herbert Joos.
Das kurze Zögern im Gesicht dieses Musikers zeigte an, dass der westdeutsche Gast in Stuttgart mit Freunden aus dem Süddeutschen zurecht ein uraltes Thema gestreift hatte, nämlich die Teilung (Jazz)Deutschlands.
Sie lebt auch in jüngeren Generationen fort.
Da huldigen in Stuttgart an die 800 Leut´ einem Jazzmusiker.
Und im Westen ist er so gut wie unbekannt.

Fotos: Rainer Ortag
erstellt: 13.01.20
©Michael Rüsenberg, 2020. Alle Rechte vorbehalten