What you have missed: Monheim Triennale, Prequel

Schiff ahoi! Die Parole ist gar nicht mal so jazz-fern.
In Europa, ja. Aber in Amerika keineswegs.
Dort sticht im Januar 2022 ein Unternehmen in See, dem man nun wirklich nicht vorwerfen kann, eine Resterampe über Wasser zu halten.
In Monheim, an Rheinkilometer 714, hätte vermutlich keiner jener Künstler die Chance, auch nur die Gangway zur „RheinFantasie“ der Köln-Düsseldorfer Deutsche Rheinschiffahrt (im Verzicht auf das dritte „f“ very oldschool) zu betreten. Manchem aus jener Schar wäre das Schiff auch zu klein.
Aber so wirkt es nur, wenn man an Land steht (den Geysir, inmitten eines Kreisverkehrs, in einer der reichsten Städte Deutschlands seitwärts im Rücken).
Triennale Schiff 1
Wenn man das Deck betritt, kommt man in einen schönen kleinen Musiksaal, das Oberdeck erlaubt wie auf einer Galerie gute Sicht auf die Bühne. Und wenn die Abendsonne mitspielt, wie am zweiten Festivaltag, laden Liegestühle auf das Sonnendeck ein.
Das Schiff ist vertäut, es legt nicht ab, wie ältere, vorbeiradelnde Monheimer vermuten. Man befindet sich auf dem Rhein, die Besucher rätseln, ob das kaum merkliche Schwanken der Fluß besorgt. Ganz sicher sind sie erst, wenn der Boden leicht vibriert. Das bedeutet, runter vom Deck, Stian Westerhus greift in die Saiten.
Den norwegischen Gitarren-Exzentriker kann man vom Moers Festival kennen, aus den Jahren in der Direktion von Reiner Michalke, 2006-2016. Nicht nur mit ihm, auch mit Shahzad Ismaily, Ingrid Laubrock, Ava Mendoza, Markus Schmickler, Colin Stetson, aber auch mit dem immer noch klar als Jazzbassisten „lesbaren“ Robert Landfermann lässt sich nunmehr rheinaufwärts, in der Stadt mit den gleichen Anfangsinitialen, eine gewisse Kontinuität erkennen.
Dort ist Michalke nun Intendant eines im Drei-Jahre-Turnus angelegten Festivals.
2025 wird die Monheim Triennale erstmals in ihre eigentliche Destination ziehen, in eine zur „Kulturraffinerie K714“ umgebauten alten Erdölraffinerie. 2022 geht das Festival dann nochmal aufs Schiff; in geringerem Umfang präsentiert es nun, pandemiebedingt verschoben, ein „Prequel“ (auf gut Deutsch: einen Vorläufer).
Die Triennale lässt sich also schon jetzt in die Karten gucken, der Abstand zu Moers wirkt lauter als er wirklich ist, die Schnittmenge zeigt sich in jeweils wechselnden Formaten mehr oder weniger Frei Improvisierter Musik. Und die lebte immer schon, wie es der Triennale-Intendant als ein Merkmal seines Festivals herausstellt, von der „Fokussierung auf die jeweilige Künstlerpersönlichkeit, also nicht auf Werke, Gruppen oder Ensembles“.
Damit ist zwar ein dominanter, aber nur ein Teil der Monheim Triennale erfasst.
Denn es gab doch auch „Werke“, und es gab auch „Gruppen“.
Und an einem spezifischen Beispiel, am Mivos Quartet aus New York, zeigt sich die ästhetische Spannung, vielleicht auch Problematik einer genre-übergreifenden Konzeption, die „Neue komponierte Musik“, „verschiedenste Spielarten der Improvisierten Musik“, aber auch „ambitionierte Beiträge der Pop-Avantgarde“ vorsieht.
Und - logo - „das alles hierarchiefrei, auf Augenhöhe“.
Man ahnt, was damit gemeint ist. Aber wenn es dann auch wirklich erklingt, wenn plötzlich alle irjenswie zum Jazzkatalog gehörigen Kriterien nicht mehr greifen, wenn man auf´s bloße Gefallen oder Nicht-Gefallen zurückfällt, dann torkelt man quasi an Deck einher, als sei die RheinFantasie von einer großen Woge erfasst worden.
Also, das Mivos Quartet führt nicht - weil der Komponistin Jennifer Walshe die Einreise in die Bundesrepublik nicht gelang - ein Stück von ihr auf, sondern von Henry Threadgil. Große Verblüffung, ein Streichquartett von dem Henry Threadgil? Den wir alle als Bandleader und Saxophonisten kennen?
Ja, genau!
Die Jazzpolizei hört eine Musik vollkommen „out of context“. Kein langes Suchen nach einer verbindenden Spielidee wie zuvor bei einem Trio mit der Gitarristin Ava Mendoza und Robert Landfermann, b, und Greg Fox, dr. Jeder Gedanke ist punktum da, in einer mutmaßlich komplizierte Vorlage, technisch anspruchsvoll und offenkundig mit Engagement und Geschick umgesetzt. Ohne Improvisation.
War das gut?
Außer der bloßen Abwechslung, dem Beeindrucktsein, hatte die Jazzpolizei keinerlei Kriterien. Sie kann nicht alles beurteilen. Anderen ging´s ebenso. Monheim, so schien es, war plötzlich Witten (Neue Tage für Kammermusik). Und die Frage unbeantwortet: würde man dort über Threadgil lächeln? Oder ihn auch feiern?
Monheim Amidon MivosNach der Pause wurde Monheim zu Rudolstadt (das größte Folk-Weltmusik-Festival Deutschlands).
Möglicherweise fände man dort Gefallen daran, wie Sam Amidon ein paar Folksongs vom Steichquartett (Mivos) aufbrezeln lässt. Statt sich selbst nur mit Banjo oder Gitarre zu begleiten. Aber dass es der Sänger mit der Intonation nicht so genau nimmt, würde das unter den Rudolstadt-Erfahrenen nicht auch die Zustimmung bremsen?
Harte Genre-Schnitte dieser Art unterspülen die Parolen von der Hierarchie-Freiheit oder dem Auf-Augenhöhe-Agieren - wenn man den Eindruck hat, es habe noch viel Luft bis zur Erstklassigkeit.
Monheim Westerhus 2 1Bei etlichen in Monheim stellt sich die Frage nicht. Ein Gitarrist wie Stian Westhus mit seinen erweiterten Techniken und seinen dank Gesang auch angedeuteten Songformen ist eine Welt für sich.
Sie stellt sich ebenso wenig bei Sofia Jernberg aus Schweden, die allein mit ihrer Stimme, ohne jede Hilfsmittel, ein wunder-
sames Panorama bis zur Zweistimmigkeit emittiert.
Sie beschloss am ersten Festivaltag eine Wechselperformance, die unter dem Motto „Escalator over the Hill“ stand, damit aber gar nicht, sondern viel mit Arthur Schnitzlers „Reigen“ in Verbindung stand: zwei Partner begegnen sich relativ kurz auf der Bühne, eine/r tritt ab und macht dem/r nächsten Platz.
Stark waren hier die, die auch als Solisten stark sind: Stian Westerhus mit Colin Stetson, zunächst Altsaxophon.
Ein Höhenflug, als Stetson dann zu seiner flexiblen Dampframme wechselt (Bass-Saxophon) und Ingrid Laubrock mit irrisierenden Sopransaxophon-Läufen über seine bohrenden Grooves segelt.

Erstaunlich an dieser Dreiviertelstunde nicht nur die Disziplin der Künstler, sondern auch die Logistik des instrumental-technischen set up. Die Platzwechsel, mitunter zwischen aufwändigem elektro-akustischen Apparaten, gelangen vollkommen störungsfrei.

Fotos: Miriam Juschkat (Stian Westerhus), Niclas Weber (Sam Amidon & Mivos Quartet)
erstellt: 03.07.21
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