Wie Peter Brötzmann einmal in die Tonight Show geriet...

Gut, dass Manfred Miller (1943-2021) das nicht mehr erleben musste.
Miller hatte in jener legendären Debatte, live in der ARD an einem Freitagnachmittag (!) des Jahres 1967, die damals noch vergleichsweise neue Kunst des FreeJazz - personifiziert im Studio durch Peter Brötzmann - mit klugen Argumenten verteidigt. Und propagiert.
Und selbst dessen damaliger Kontrahent, Klaus Doldinger, würde heute die billige Brötzmann-Watschn durch den amerikanischen Late Night Talker Jimmy Fallon wohl missbilligen.
In der vergangenen Woche stellte der in einer Ausgabe seiner Tonight Show (NBC) eine „Do not play“-Liste vor:
Stücke von „realen Künstlern“, die man sich niemals anhören sollte.
Nummer zwei nach einer Sängerin namens Gnesa mit einem 9 Jahre alten Song („Wilder“) ist das 52 Jahre alte Album „Nipples“ von Peter Brötzmann.
Jimmy Fallon
Bevor er das Albumcover in Richtung Kamera hält, kann sein sidekick Steve Higgins sich schon bei der Ankündigung „German Jazz“ kaum noch halten.
Die Interpretenangabe The Peter Brötzmann Sextet/Quartet bringt beide an den Rand ihres Vorstellungsvermögens, wieviele Künstler daran beteiligt sein mögen.
Noch mehr als über den kurzen Musikausschnitt („Klingt wie ein deutschen Gitarrenladen an einem geschäftigen Samstagnachmittag“, Fallon) prustet die gesamte Mannschaft über den Titel des Albums - in den US-Medien ein sicherer Garant für einen Balken.
Toll, dass sie das Alltagswort genüßlich aussprechen dürfen, ohne das, was es bezeichnet, zeigen zu müssen: Brustwarzen. Stattdessen - das Bild wird ausgiebig gedeutet - ein Männerkopf mit Kinnbart und selbst-gedrehter Zigarette.
Die „grölende Zustimmung“, die sich für Antiintellektualismus in Amerika finden lässt (Jan-Werner Müller in der FAZ, 15.09.21), bricht sich hier fröhlich Bahn.
Das Magazin Rolling Stone empört sich: „Brötzmann ist ein angesehener Free-Jazz-Musiker mit mehr als 50 Jahren Erfahrung und Lob auf dem Buckel, und Fallon vergleicht ihn mit einer Schar von Teenagern und Versagern, die sich mühsam durch ´All Along the Watchtower´ in einem Vorort-Einkaufszentrum wühlen“.
Dem Künstler in Wuppertal ist die Sendung nicht verborgen geblieben, aufgebrachte Fans haben ihm den Clip geschickt.
"Ich kenne diese amerikanischen Fernsehsendungen nicht, aber ich weiß, dass es sich um einen seriösen Fernsehsender handelt, und so frage ich mich nach ein paar Tagen, während ich hier an meinem Küchentisch sitze, ob etwas dahinter steckt, nicht nur ein verunglückter Witz`, fügt er hinzu.
´Aber, .... wiederum... wen interessiert das schon?“ (Brötzmann gegenüber Rolling Stone)

erstellt: 15.09.21
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