Cologne Jazzweek 2024 (2)

Die Cologne Jazzweek musste nach dem Start in der Philharmonie besser werden - und sie ist besser geworden.
Aus dem umfangreichen Programm des Festival-Sonntags nahm die Jazzpolizei einen Parcours entlang von Schlagzeugern.
Lillinger Kuu web 1 foto gerhard richterZunächst Christian Lillinger, open air & kostenfrei im Stadtgarten (früher hieß das mal im Westfälischen umsonst & draußen), im Rockquartett KUU!, mit der Schauspielerin Jelena Kuljic als Sängerin sowie den beiden Gitarristen Kalle Kalima und Frank Möbus.
Nun denn, Lillinger als time keeper (wie könnte es anders sein) in einem so auf Druck gepolten Projekt, das ist weniger als die (seine) halbe Miete.
Der „weite stilistische Bogen“, von dem das Programmheft raunt, mochte sich am ehesten in den Klangbewegungen der Gitarristen zeigen.
Einen wirklich weiten stilistischen Bogen spannte sodann das Ambrose Akinmusire Quartet in der Aula der Musikhochschule. Der Bandleader wird verschmerzen, dass der Rezensent seine Erzählung des zweiten Festivaltages mit dem Schlagzeuger seiner Band beginnt, mit Justin Brown.
Ambrose Akinmusire 2024   1Er wird wissen, was er seit Jahren in diesem nun doch schon vierzigjährigen Bandmitglied hat, nämlich noch mal eine Einzelanfertigung in der ersten Garde der interaktiven Drummer. Brown nimmt sich wirklich was raus: er verschiebt nicht nur Akzente virtuos, sondern tut dies sehr laut. Er treibt.
Aber er glänzt auch mit Begleitpatterns, die man so noch nicht gehört hat, beispielsweise rimhots, also Schläge auf den Rand der snare drum, die weit über den Charakter einzelner Beats hinausgehen.
Der Bandleader (dunkler Ton auf der Trompete, das schiere Gegenteil derer, die - wie das Trompeterlatein vorgibt - „das Blaue vom Himmel spielen“ oder die eine „Feuerwehrspritze“ bedienen) leitet eine ungemein gut eingespielte Band. Harish Raghavan, b, gibt den sicheren Anker, der Pianist Sam Harris bestellt ein Feld von Fred Hersch bis zurück zu Bill Evans.
Dies alles summiert sich zu einer Spielart des Post FreeJazz, dem mit einer Erklärung aus dem afro-amerikanischen Essentialismus gewiss nicht beizukommen ist.
jochen rueckert quintet web 3 foto gerhard richterRadflug durch die sich langsam abkühlende Stadt in den Stadtgarten, zu auch irgendwas mit „Post“, ja, einer Art des Post Bop:
Jochen Rueckert (ex Bergisch-Gladbach, sei langem NYC) mit einem Quintett, das sich zuvor dank dreier gigs im BirdsEye/Basel zu einer europäisch-amerikanischen Kongenialität verknüpft hat.
Mit Nils Wogram, tb, dem alten Kumpel aus Root 70 Jahrzehnten, Joris Roelofs (NL), einer verlässlichen Stimme auf der Baßklarinette, sowie Doug Weiss, b, aus den USA.
Und von dort wird Rueckert wohl Seamus Blake (Vancouver) kennen, nach Aufenthalt in Florenz jüngst Neu-Kölner, der vor wenigen Wochen im Loft mit einer gruseligen Performance auf der elektronischen Variante seines Instrumentes aufgefallen war.
Blake wurde, was Nordamerikanern in dieser Stadt fast ausnahmslos vergönnt ist, binnen kurzem gewissermaßen Dom-ifiziert, bei der Cologne Jazzweek tritt er mehrmals an. Und Rueckert weist ihm eine Rolle zu, die er beherrscht, als Tenorsaxophonist.
Nichts von dem, was man in dieser Stunde hört, ist neu: u.a. uptempo swing, eine Marschballade, ein New Orleans backbeat - aber alles höchst delikat.
Die drei Bläser (in durchaus vertrackten Themen, formal gerne aufgebrochen durch Zwischenthemen), auch in Duos, sind eine Ohrenweide.
Und dann der Bandleader. In der betörenden Coda von „Mütze Glatze“ (ja das ist der berühmte Rueckertsche Humor) schaut Blake zu ihm, der schüttelt fast unmerklich den Kopf, also ruhig noch weitere 8 Takte anhängen. Dann Nicken. Schluss, gelungen, prasselnder Beifall.
Nun ist Jochen Rueckert als Schlagzeuger immer eine sichere Bank, der geradezu „klackige“ Sound, mit dem er auf dem ride cymbal einen fast swing vorgibt, ist nun wieder was ganz Besonderes.
Zum letzten Mal aufs Rad, ins Loft, zu einem Schlagzeuger, der gefeiert wird, aber auf einem Stuhl verweilt, weil er krankheitsbedingt nicht mehr Hände und Füße bewegen darf: Paul Lovens, 75, Albert Mangelsdorf Preisträger, eine Ikone des deutschen FreeJazz.
Die Jazzpolizei erwischt gerade noch den zweiten Set, wo Lovens ohne Schlagzeuger gehuldigt wird, durch Tobias Delius, cl, ts, Wilbert de Joode, b, und Florian Stoffner, g, (CH).
Frappierend, wie dem Hörapparat gelingt, nach dem Höhenflug mit Rueckert den eher leisen, ja fast versteckten Reiz in dieser völlig anderen Ästhetik zu schätzen, in der Ästhetik der Freien Improvisation.
Es gelingt auch, weil man den dreien so nahe rücken kann; weil man sieht, wie Delius mitunter, bevor einen Ton spielt, diesen beinahe stimmlos mit der Mundmuskulatur ankündigt.
Und, vor allem, weil man erneut merkt, dass in dieser Musizierpraxis das Hören absoluten Vorrang hat.

Fotos: Niclas Weber (Akinmusire), Gerhard Richter (Lillinger, Rueckert)
erstellt: 02.09.24

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