PABLO HELD TRIO Recondita Armonia *****
01. Offertoire (Tournemire), 02. Fragments (Rachmaninoff), 03. Prelude No 3 (Mompou), 04. Feuillet d´Album op. 58 (Scriabin), 05. Mountain Horn Song (Bartok), 06. Agnus Dei (Stravnsky), 07. Interludium No. 5 (Hindemith), 08. Recondita Armonia (Puccini)
Pablo Held - p, Robert Landfermann - b, Jonas Burgwinkel - dr
rec. 05./06.06.2014, 02.04.2015
Pirouet Records PIT3085
ROBERT LANDFERMANN Night will fall *********
01. Motettu de Tristura (trad), 02. Berg (Landfermann), 03. Katarrh, 04. Night will fall, 05. Rot, 06. Randnotiz, 07. Zehn und Acht, 08. Arabesque (Paul Motian)
Christian Weidner - as, Sebastian Gille - ts, Elias Stemeseder - p, Robert Landfermann - b, violone, Jim Black - dr
rec. 22./23.02.2015
Pirouet Records PIT3088
Die discographische Reihenfolge kann manchmal eine schöne Geschichte erzählen.
Sie kann eine ästhetische Ordnung konstruieren, die die Künstler selbst so nicht intendiert, geschweige denn so erlebt haben.
Sei´s drum. Die Geschichte, die sich hier anbietet, ist die vom Übergang von Jonas Burgwinkels „Side B“ zu diesem, dem siebten Album des Pablo Held Trios seit 2007.
Hier macht es etwas ausschließlich, was es von Beginn an gemacht hat, nämlich neben Komponisten aus dem eigenen Sprengel auch solche aus der „Klassik“ aufzugreifen (auch Michael Wollny ist in diesem Sektor unterwegs).
Der katalanische Komponist Federico Mompou (1893-1987) war von Anfang an und mehrmals dabei, und jetzt erneut in einem ganzen Kreis von Vertretern der Klassischen Moderne Anfang des 20. Jahrhunderts sowie deren Vorläufern wie Scriabin und Puccini. Titelgebend für das Album wurde die Arie „Recondita Armonia“ aus der Puccini-Oper „Tosca“ (1900).
In den Presse-Informationen (nicht in den liner notes), die man sich herunterladen kann, wird die Wahl dieser Arie über den Umweg Miles Davis erklärt. Demzufolge hätten Miles & Gil Evans eine Interpretation von „Tosca“ geplant und sich zur Vorbereitung immer wieder eine Fassung von Herbert von Karajan, 1963, gehört - die sich dann auch Pablo Held zur Vorbereitung besorgt hat.
Und ähnlich „logisch“ lesen sich die Begründungen zur Auswahl der meisten Stücke. Es sollte ein ausgesprochenes Balladen-Album werden.
Wer nun den elektrischen Alarm von Burgwinkel´s „Side B“ noch im Ohr hat - und hier geht die obige Geschichte weiter - mag in „Recondita Armonia“ Zeichen der Entspannung, ja Erschöpfung hören: so „verinnerlicht“ hat das Trio noch nie geklungen, man kann auch sagen: nie so langweilig.
Mehr noch, obwohl hier ein Jazz-Ensemble agiert und sich demzufolge nicht oder wenig an den jeweiligen Notentext zu halten hat, stellt sich des öfteren die Frage, was hier eigentlich noch für den Jazz ästhetisch herausspringt.
Das, selbstverständlich, spricht aus einer Hörer-Perspektive, die Beteiligten werden ihr Musizieren fast am Stillstand für eine Errungenschaft halten. Aber es fällt nun schwer, das Trio gegen seine - überwiegend Nicht-Kölner - Kritiker zu verteidigen, die genau diese Bewegungsarmut, dieses kammermusikalische Kreiseln immer schon gehört haben wollen.
Unsereins verweist dann immer auf die Konzerte dieser Band, ihren großen Atem, die Vielfalt der Formen, die - ja richtig, nie so richtig von Wagemut gekennzeichnet sind - aber doch eine Performance-Kultur darstellen, wie sie dieses Land selten erlebt hat.
Bewegung kommt in das Projekt erst nach gut 20 Minuten mit dem „Moutain Horn Song“, der Nr. 4 aus den Rumänischen Volkstänzen von Bela Bartok.
Das rubato ist hier deutlich jazzmässiger geladen, es schimmert so etwas wie ein binärer Groove durch. Hier näheren sich die Erläuterungen (nämlich die Abänderung der Akkordverbindungen des Original in Richtung Bill Evans) am ehesten dem Nachvollzug des klingenden Resultates.
Ja sicher, Pablo Held hat sich viel dabei gedacht, er ist ja ein kluger Kopf, aber - ganz ähnlich wie bei dem ganz anders begabten Michael Wollny - hält die Musik ohne die nicht-musikalischen Narrative wenig wach.
Es bleibt ein Rätsel (aus Sicht der Musiker vermutlich eine Errungenschaft), wie die Groove-Kapelle Pablo Held Trio, wie sie sich andernorts präsentiert, in eigener Sache sich so zurückhalten kann.
Wünschenswert wäre, wenn das Trio seine extern dokumentierten Groove-Erfahrungen mal unter eigenem Namen bündeln würde.
Robert Landfermann stellt die Genrefrage nicht.
Sein achtes Album „Night will Fall“ startet zwar mit einer „alten Volksmelodie aus Sardinien“, aber es wird sehr rasch klar, wie sie gelesen werden will: nicht im Sinne irgendeiner Imaginären Folklore, sondern in einem eminenten, ja emphatischen Sinne als Jazz.
Die beiden ersten Minuten verharren in einem sehr melancholischen rubato, die Bläser hauchen das Thema eher, in den nächsten beiden Minuten entwickelt sich schon mehr ein „Free“-Charakter, sehr lose, mit einzelnen Akzenten, die man erst später als Vorboten jener Kraft verstehen wird, die das Album kennzeichnet.
Gegen 4:00, Spannungssteigerung!, setzt ein schwer zu verfolgendes Bass-ostinato ein, es zerbröselt langsam unter Führung von Christian Weidner´s Altsaxophon, der es wie ein bluesiger Jan Garbarek zu Ende bringt.
„Berg“ ist ein Paukenschlag! Man kommt nicht umhin, die ersten eineinhalb Minuten als Free Rock zu bezeichnen. Landfermann gibt eine knallige, 2-taktige Phrase vor, Jim Black und Elias Stemeseder (in tiefer Lage) zerschiessen das Metrum mit einem Sperrfeuer an offbeats.
Bei 1:24 urplötzlich Groovewechsel! Die beiden Bläser treten hinzu, man kommt aus dem Staunen nicht heraus: nach Ignaz Dinné verfügt der jüngere deutsche Jazz mit Christian Weidner, as, und Sebastian Gille, ts, offenkundig über weitere, ausgesprochene shouter.
Sie haben ihren Platz in einer eindrucksvollen Architektur, umgeben von einem Pianisten (Elias Stemeseder, geb. 1990, aus Salzburg), der sie nicht mit Akkorden zumüllt, sondern mit Einzeltönen und Blockakkorden Feuer gibt, dann die Rhythmusgruppe mit diesem intonationssicheren, muskulösen Bassisten und einem Schlagzeuger, Jim Black, geradezu die Personifizierung des Uneindeutingen, bei ihm wird alles „gebrochen“.
Aber welche Kraft spricht daraus!
Dieses Quintett ist so stark, es reichen ihm Andeutungen, es muss nicht jeden Beat ausspielen, um eine enorme Bewegung zu erzeugen. Was sich an Erregungspotenzial im zweiten Teil von „Berg“ auftürmt, lässt viele, viele aus der „von-jetzt-auf-gleich-zornig“-Fraktion als ärmlich erscheinen.
„Katarrh“ zeigt einen Teil der lyrischen Komponente dieses Albums. Landfermann streicht, mit zahlreichen Klangschattierungen, die Violone, „das größte Instrument aus der Gambenfamilie“, Weidner´s Alt obenauf.
Das Titelstück beginnt mit einer anderen lyrischen Färbung, einem hymnischen Thema. Der erste Krafteinschub kommt hier vom präparierten Piano, das einen Solopart bekommt (man kommt nicht umhin, hier einen Einfluss des Wirkens von Benoit Delbecq zu hören).
Die Saxophone exponieren das Thema in hoher Lage - und dann zieht, ganz langsam, schon wieder ein Gewitter auf. Es ist wohl-proportioniert, es dauert gerade mal vier Minuten, aber dieses Kollektiv von Robert Landfermann, Jim Black, Sebastian Gille (und Elias Stemeseder) produziert die beglückendsten Momente im deutschen Free Jazz der letzten Jahre.
Der große Rest zeigt Variationen der bis dato präsentierten Kernelemente dieses Unternehmens, erneut Free Jazz-Momente von großer Transparenz, Free Rock-Momente, Rubato-Balladen („Randnotiz“ und „Zehn und Acht“), immer wieder getragen von einer Kraft, die nicht selten lediglich aus einzelnen Akzenten erwächst.
Das Album schließt, geradezu idealtypisch, mit einem Stück eines Vorvaters dieser faszinierenden Stilistik, mit „Arabesque“ von Paul Motian (1931-2001), den Landfermann sehr verehrt.
Allein wie Jim Black hier die snare spielt (und wie Ernst Hartmann und Jason Seizer sie aufgenommen haben), ist „worth the money“. Und, so kraftvoll hat Paul Motian nie geklungen.
erstellt: 16.10.15
©Michael Rüsenberg, 2015. Alle Rechte vorbehalten