KIT DOWNES Tricko *******

01. Jinn (Kit Downes), 02. Alliri, 03. Waira, 04. Tricko, 05. Ihno, 06. Arkane, 07. Helkalen

Kit Downes - p, org, Lucy Railton - vc

re. 2014 (?)
Coup Perdu CPCD003 (LP, CD)

Goldig, dass Kit Downes auf seinen Webseiten - immer noch - das Urteil des Hamburger Abendblattes wiederholt, er sei „der eindrucksvollste Jazzpianist aus England seit John Taylor“.
Downes ist mit einer Südtirolerin liiert, es wird ihm die Botschaft nicht entgangen sein, wahrscheinlich wird er darüber schmunzeln, denn auch ihm dürfte die wahre Rangordnung vor Ohren sein.
Wer John Taylor als Referenz wählt, dem geht es vermutlich weniger um einen Konzeptkünstler, sondern der spricht implizit Handwerk, Klangkultur und -eleganz am Piano an. Und da setzt nun mal, nein nicht Django Bates, sondern Gwilym Simcock die neuen Maßstäbe in England.
Damit wir uns nicht missverstehen: Kit Downes ist ein guter Pianist, aber seine Verdienste liegen woanders, nämlich in der Vielseitigkeit seiner Projekte.
Ähnlich Simcock (dessen Schlagzeuger James Maddren er seinem neuen Trio Enemy wieder einsetzt) ist Kit Downes längst dem üblichen Radius eines Jazzpianisten enteilt, „Tricko“ ist sein erstes Projekt mit abendländischem Bezug, nicht unbedingt abendländischen Formen.
Im Sinne der Definition des kürzlich verstorbenen Gunther Schuller (1925-2015) dürften einige Titel durchaus als Thirdstream gehört werden, als Treffen von Jazz und Moderner Klassik auf halbem Wege.
Ein europäischer Verwandter zu dieser schwer benennbaren stilistischen Gemengelage dürfte Christian Wallumrød sein, in Amerika die kammermusikalischen Arbeiten von Wayne Horvitz.
Downes´ Partnerin ist die Cellistin Lucy Railton, die schon früher bei ihm zu hören war, in dem bemerkenswerten Album „Light from old Stars“
cover downes trickoDas Album startet mit einem Stück bemerkenswerter Architektur: ein leicht groovendes Thema a la Wayne Horvitz läuft über einen Rhythmus, der ungerade klingt, sich aber als klar als 12/8 zählen lässt.
Jeweils nach vier Durchgängen meint man, der Beat ginge verloren, es türmt sich ein zerklüftetes Motivgebirge von Piano und Cello auf, zum Schluß verebbt das Stück in einer langen Coda in langsamen 4/4.
Und nur wer sehr genau hinhört, kann unter Railton´s piccicati auch noch einen gestrichenen Klang wahrnehmen -
die beiden arbeiten also mit Overdubs.
Diesen Eindruck legen die Aufnahmeorte nicht unbedingt nahe; „Jinn“, „Waira“ und „Ihno“ sind in Guildford, an der University of Surrey aufgenommen (der berühmteste Doktorand dort zur Zeit ist Bill Bruford), „Waira“ und „Ihno“ lassen mit Regen bzw. Rauschen Umweltklänge einfließen, letzteres schließt mit einer Art „Ambient-Echo“, das unmöglich live entstanden sein kann.
Wie Netzer einst aus der Tiefe des Raumes, kommt in „Alliri“, aufgenommen in St. George´s in the East im Londoner Vorort Shadwell, unweit der Tower Bridge, ein fast unmerklicher Liegeklang aus Orgel, gestrichenem Cello und Piano heran, wiederum ein zerklüftetes Thema, gefolgt von einem Groove, der gerade ist, aber durch Akzentverschiebungen zu „kippen“ droht - die Stimmung des Albums ist etabliert.
Es ist eine Art heiterer Melancholie, die sich durch allerlei Irritationen davor bewahrt, in das weiche Bett des romantischen Klanges und seiner Klischees zu fallen - Schloß Elmau (wo Gwilym Simcock bisweilen die Tasten poliert) ist weit weg.
Es geht gar nicht mal um den schönen Klang, das Piano z.B. in Shadwell ist nicht optimal gestimmt (wie gesagt, es rauscht und regnet hier und da), und selbst dort, wo Lucy Railton ihr Instrument ihr Instrument in breitem vibrato ausfährt („Helkalen“), begleitet sie Downes mit einem dunklen, unregelmäßigen piano-ostinato, das eher eher expressionistische Züge denn romantische trägt.
„Helkalen“ verschwimmt erneut mit einer schauerlich-schön verschwimmenden Coda, es ist ebenso wie das Titelstück in der Kirche St. Paul´s im nordenglischen Huddersfield entstanden.
„Tricko“ aber fällt aus dem Rahmen, es ist ein Stück Minimal Music mit den genre-üblichen Wechseln aus 3er und 4er Metren, eine Art Steve Reich, dem man das Wackeln beigebracht hat.*
Derzeit schreibt Kit Downes Musik für die große Orgel in der Philharmonie Köln. Wir sind gespannt!

erstellt: 24.06.15
©Michael Rüsenberg, 2015. Alle Rechte vorbehalten

*PS 29.06. Dank an Glenn Armstrong, den Chef des Labels, für den Hinweis, dass "Tricko" sich auf "Shaker Loops" von John Adams bezieht.