BRAD MEHLDAU TRIO Anything goes ******

1. Get Happy (Arlen, Koehler), 2. Dreamsville (Raymond Evans, Mancini), 3. Anything goes (Cole Porter), 4. Tres Palabras (Farres), 5. Skippy (Monk), 6. The Nearness of you (Carmichael, Ned Washington), 7. Still crazy after all these years (Paul Simon), 8. Everything in its right Place (Radiohead), 9. Smile (Chaplin),
10. I´ve grown accustomed to her face (Lerner, Loewe)
Brad Mehldau - p, Larry Grenadier - b, Jorge Rossy - dr
rec 8.+9.9.2002
Warner Brothers WBR 9362-48608-2; LC-Nr 00392

Die britische Presse, namentlich Guardian und Observer, ist begeistert. Und es hat in der Tat was, womit dieses Album startet, nämlich mit dem umwerfendem Charme von "Get happy". Mehldau und Grenadier brechen die Melodie, mal unisono, mal sequentiell, herunter in einen schönen vamp. Später dreht und wendet Mehldau diesen mit allerlei Modulationen in einer beeindruckenden Solo-Kadenz, er kehrt kurz zurück in den Anfangsgroove, und bei 4:52 kippt das Stück völlig unvermittelt in einen mittelschnellen swing - was für ein Kunstgriff!

"Anything goes", dem Titelstück von Cole Porter, hängt das Trio noch einen Extra-Beat an und behandelt es wie einen Verwandten von Paul Desmond´s "Take Five". "Skippy" kommt so Monk-ish, wie es sein muss, bei Paul Simon ist das Trio in seinem Element, ein sich allmählich aufplusternden Walzer, der immer mal wieder zum Originalthema Kontakt aufnimmt. Brad Mehldau hatte immer schon ein Händchen, sich und den seinen die richtige Pop-Nahrung zuzuführen. Das gilt erst recht für "Everything in its right Place" aus seinem Spezialgebiet Radiohead, ein dunkles Akkord-Gericht, das im Weiteren Fortlauf von Jorge Rossy regelrecht zerkocht wird.

Es mag an der Aufnahmetechnik, mehr aber noch an der Spielhaltung dieses Trios liegen: es glänzt mehr durch Einfälle des Arrangements denn durch die Kunst ihrer Ausführung. Gegenüber anderen Balladenspezialisten, etwa Marc Copland, verfügt Brad Mehldau über eine weniger entwickelte Anschlagskultur; die rubato-Spielweise, das Atmen der Tempi, das gerade heute in so unendlich vielen Delikatessen dargeboten wird ist in den Händen vieler anderer Kollegen besser aufgehoben als in denen von Jorge Rossy. Sein Drang zu den cymbals ist mitunter kaum noch zu kontrollieren, über Chaplin´s "Smile" kippt er Ketchup, wo Tomatensauce viel bekömmlicher wäre.


©Michael Rüsenberg, 2004, Alle Rechte vorbehalten