BRAD MEHLDAU Live in Tokyo *****

1. Things behind the Sun (Drake), 2. Intro (Mehldau), 3. Someone to watch over me (Gershwin), 4. From this Moment on (Cole Porter), 5. Monk´s Dream (Monk), 6. Paranoid Android (Yorke, O´Brien, Greenwood, Selway), 7. How long has this been going on? (Gershwin), 8. River Man (Drake)

Brad Mehldau
- p
rec 15.2.2003

Warner/Nonesuch 7559-79853-2; LC-Nr 00286

Die gemeine Jazzkritik meint gelegentlich, Brad Mehldau in einem Atemzug mit Keith Jarrett nennen zu dürfen. Das ist insofern erlaubt, als beide an denselben 88 Tasten arbeiten und dies jeweils auch in Tokio getan haben.
Es ist also nicht erlaubt. Denn wenn irgendwo die Differenz schön ausgestellt wird, dann hier, dem Einstand von Mehldau bei einem neuen Label.
Der Mann, das sei eingeräumt, hat anfängliche Skepsis ja peu a peu überwunden, am meisten durch diverse Ritterschläge, z.B. von
Wayne Shorter, Charles Llyod und John Scofield. Auch weiss er durch sein Repertoire einzunehmen; ohne die grosse Monstranz "new standard" vor sich herzutragen, verbindet sich mit seinem Namen inzwischen eine Auswahl eigenen Zuschnitts, darin häufig (Pop)Namen wie Radiohead und Nick Drake.
Mit Songs des
1974 verstorbenen Londoner PopRomantikers beginnt und schliesst das Album - und findet mit letzterem auch seinen Höhepunkt. "River Man", dessen 5/4-Takt Mehldau zunächst mehr schimmern denn scheinen lässt, fährt er in einem grossen crescendo und descrescendo auf. Hier bewegen sich rechte und linke Spielhand im Einklang, Mehldau glänzt geradezu mit seinem Markenzeichen, hypnotischen, minimalistischen Begleitmustern, die melodisch ganz oben oder ganz unten kontrastiert werden.
An vielen anderen Stellen aber hat er die Begleitung nicht so unter Kontrolle, sie ist schlicht zu laut. Das beginnt im ersten
Gershwin ("Someone to watch over me"), das er in einem Stile beginnt, den die Washington Post wohl mit "nachdenklich" bezeichnet. Dort geht im in den letzten 3 Minuten die linke Hand durch.
Sollte er, wie es im Pressetext heisst, von seinen "Lehrern Fred Hersch und Kenny Werner" inspiriert sein, müsste es dafür nachträglich noch Punktabzug geben.
Mehldau mag ja schöne Einfälle des
Arrangierens haben, z.B. "From this Moment on" Latin und semi-barock anzulegen, aber mit seiner Anschlagskultur steht es nicht zum Besten, jedenfalls nicht so, dass es seinen herausragenden Ruf rechtfertigte. An unangenehmsten fällt dazu der 19minütige Radiohead-track auf: Mehldau pflegt einen wenig groovenden Boogie-Stil, die Übergänge sind abrupt, wenn er einen Teil durchspielt hat, lässt er ihn fallen wie eine heisse Kartoffel - weiter entfernt von einem Keith Jarrett könnte er in solchen Momenten nicht sein.

©Michael Rüsenberg, 2004, Alle Rechte vorbehalten