Es ist der 6. Mai 1982, sein 38. Geburtstag.
Musikhochschule Wuppertal. Vater und Mutter sitzen auf Ehrenplätzen.
Drei Jahre zuvor hat er den Von-der-Heydt-Förderpreis bekommen, er will der Stadt etwas zurückgeben.
Bei der Gelegenheit will er der einschlägigen Gemeinde eine Errungenschaft vorstellen, das von Hans-Peter Wagner für ihn neu entworfene drum set (mit satt-tönenden toms; wenn wir uns recht erinnern, Farbe gelb).
Es stellt das Klangliche deutlicher heraus. Klang interessierte ihn mehr als das Rhythmische; ihn, der jeder Tradition fernstand und nur umständehalber dem FreeJazz zugeordnet wurde. Er besetzte eine eigene Insel im Meer der Wuppertaler Möglichkeiten.
Das Konzert blieb wegen eines ganz bestimmten Obertones in Erinnerung: der Künstler lud anschließend in die benachbarte Bärenschenke ein, Erbsensuppe für alle. Seitdem firmiert es unter „Erbsensuppenkonzert“.
Was auf der Bühne künstlerseitig wirklich ablief, sickerte erst nach und nach durch. Schönenberg wird dazu ausführlich in „sounds like whoopataal“ (2006) zitiert:
„Bei diesem Konzert passierte das Entscheidende für mich. Ich habe die Stöcke in die Hand genommen, die Arme fallen lassen, und es spielte. Es war wie ein Film, der vor mir ablief. (…) In dem Moment geschah etwas. Ich kann es nur so beschreiben, dass da ein Lichtblitz war. Ich stand unter Strom, und alles war hell und klar."
Gibt es eine treffendere Umschreibung des viel beschworenen flow?
Schönenberg wäre damit der idealtypische Repräsentant jener Haltung, die die britischen Forscher Raymond MacDonald und Graeme Wilson als „mystery repertoire“ beschreiben; diese Haltung „betont die unaussprechlichen, seelenvollen oder esoterischen Merkmale der Improvisation, ihre instinktiven, unkontrollierten Qualitäten“ (in „The Art of Becoming“, Oxford, 2020).
Die finale Konsequenz dieses Glückszustandes blieb den Verköstigten seinerzeit in Wuppertal zunächst verborgen, sie lautete:
„Zu dem Zeitpunkt habe ich aufgehört zu spielen.“
Das war, mit leichtem Zeitverzug, wortwörtlich zu nehmen:
„Es hatte den Charakter eines religiösen Erlebnisses, einer Erleuchtung. In meinem Fall war es die Musik, die das ausgelöst hat. Mir wurde klar, dass ich den Weg der Musik gewählt hatte, um zum Kern der Dinge vordringen zu können.
Von da an war es für mich nicht mehr notwendig, diesen Weg zu gehen, von da an war es notwendig herauszufinden, wie ich damit leben sollte. Dies wurde die nächste Etappe in meinem Leben. Ich musste nicht mehr die Stöcke in die Hand nehmen, um zu überleben. Ich war woanders angekommen, und das war es eigentlich, worauf ich die ganze Zeit hingesteuert hatte, ohne es zu wissen.“
Schönenberg wandte sich diversen esoterischen Unternehmungen zu, zuletzt lange Jahre in Bad Honnef, wo er einschlägige Seminare gab („Über das Höhere Selbst“). Was er auf seiner Webseite transformationjetzt
unter „Meine Musik“ anbietet, verschwimmt im Einheitssound jener Gattung und verrät nicht mal mehr in Spurenelementen das, was ihn in seinen Wuppertaler Jahren ausgezeichnet hat.
Über Bochum (kurz auch Paris, wo er auf Don Cherry und Karl Berger traf) war er 1970 in die Stadt gekommen, angezogen von dem Kreis um Peter Brötzmann und Peter Kowald - ohne damit eng zu verwachsen. Sein Hauptpartner wurde der Oldenburger Posaunist und Bassist Günter Christmann. 1973 und 1975 spielten beide mit Pina Bausch (1940-2009), die damals noch selber tanzte.
1975 das wohl beste Album des Duos zusammen mit dem Synthesizerspieler aus der Neuen Musik, Harald Bojé (1934-1999), „Remarks“.
Zeitweilig unterrichtete er an der Musikhochschule Wuppertal. Er war ein Stilist, ein Klangmaler, kein timekeeper, ein perkussiver Erzähler.
So war er auch im Gespräch: eigensinnig, aber zugänglich, gewinnend, dialogfest.
Detlef Schönenberg, geboren am 06.05.1944 in Berlin, aufgewachsen in Bochum, ist - wie erst jetzt bekannt wurde - am 17. Dezember 2022 an den Folgen eines Schlaganfalls in einem Krankenhaus in Bonn gestorben. An seinem 79. Geburtstag wurde er flussbestattet im Rhein, in den Niederlanden.
erstellt: 07.05.23
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