ALL TOO HUMAN Because you are worth it *******
01. All too Disko (Bruun), 02. The If Machine, 03. Because you´re worth it, 04. Fatalistic Tendencies, 05. Tipping Points, 06. Dead Rock Base, 07. Epiphaenable, 08. Potential Cure to the Distractibility Disorder of Modern Life
Peter Bruun - dr, synth, Marc Ducret - g, Simon Toldam - synth, p, Kasper Tranberg - tp, Anders Banke - fl, afl, bcl (1,4,5,6,7), Petter Eldh - b (2,5), synth
rec. 22.-24.03.2019
Ilk Music ILK306 CD
Die schrägsten Beats dieser Tage, sie kommen (natürlich) nicht vom "Beat-Wissenschaftler" Makaya McCraven. Sie kommen auch nicht aus Amerika - sie kommen aus Kopenhagen.
Sie kommen von einem Drummer, der an seinem Set so schlaksig agiert, dass kein Schlagzeug-Lehrer seinen Schülern dessen Motorik anempfehlen möchte (Buddy Rich wäre entsetzt gewesen).
Vollends hätte ihn der Glaube an die eigene Profession verlassen, hätte er miterleben müssen, wie hier ein Kollege doch allen Ernstes die rechte Hand preisgibt, um kurze melodische Floskeln in ein kleines Keyboard zu tippen.
Das schwankende timing hätte ihn erzürnt, vielleicht hätte man ihn mit der technischen Erklärung, es handele sich bei den minimalen Temposchwankungen um bewußte accelerandi und ritardandi wieder beruhigt.
Frank Zappa hingegen wäre wohl amüsiert gewesen, vielleicht hätte ihn auch das Entzücken gepackt, hätte er hören können, wie in „Tipping Points“ zunächst seine melodischen Linien flattern und dann ein Beat kühle Bläser-Farben anschiebt wie bei seinen „Orchestral Favorites“.
Grooves, stets am Rande des „Aus-Der-Zeit-Fallens“, hat er in seinen Synclavier-Stücken mitunter auch inszeniert - aber zugleich und seltsamerweise funky & phat, das waren sie denn doch nicht.
Solche Grooves, die das nachverfolgende Zählen ins Leere laufen lassen, sie sind die Markenzeichen von Peter Bruun, 41.
Wer ihn seit 12 Jahren aus dem Trio von Django Bates kennt (wo es rhythmisch ähnlich abgefahren zugeht, aber doch ganz anders) oder aus dem Retro Rock von Eggs Laid By Tigers findet ihn hier in einer anderen Rolle.
Er ist ein Beat-Kalkulator.
Seine Grooves sitzen immer auf einem Beat; er ist entwickelt aus mit Computerhilfe und dann per Improvisation abgewandelten Patterns.
Wie die Klangfarben aus den Keyboards von Simon Toldam (inklusive einer alten Farfisa-Orgel) locken sie an der Oberfläche mit retro-Charme; aber wer sich mit dieser „Verpackung“ zufrieden gibt, gerät ins Schleudern.
Die propagierte Disco-Nähe (track 1 „All too Disko“) tut ein Übriges.
Das Konzept ist zudem verbal durch und durch ironisiert, es folgt dem Motto einer „vernacular avantgarde“, einer volkstümlichen Avantgarde.
Das alles ist doppelbödig, wie der Name des Quartetts All Too Human (nach Nietzsche´s „Menschlich allzu menschlich“).
Im Gegensatz zur Bühne ist das Quartett hier gelegentlich erweitert, um den Holzbläser Anders Banke sowie Bruun´s Kollege aus dem Django Bates Trio, Petter Eldh (auch als Co-Produzent).
In ähnlicher Funktion finden wir den auch bei Bruun´s schwedischem Kollegen Anton Eger.
Die Konzepte von „Æ“ und „Because you are worth it“ sind denn auch durchaus verwandt. Beiden lieben ein thematisches Collagieren, beide laben sich an Pop-Verschrobenheiten. Nur, die ryhtmischen patterns, die Beat- und Akzent-Verschiebungen sind bei der Bruun-Truppe viel härter.
Oh boy, das erfordert stellenweise richtig Hörarbeit.
Wie Eger mit Dan Nicholls erlaubt aber auch Peter Bruun auf klar abgezirkeltem Terrain eindrucksvolle Soli. Das ist die großen Kunst von Marc Ducret, der sozusagen „auf engstem Raum“ Gitarren-Explosionen zündet.
Auch die anderen sind klasse: Kasper Tranberg, tp, Simon Toldam sowieso, und Anders Banke erweist sich als große Bereicherung.
Vor allem durch ihn hat der inszenatorische Charakter dieser Musik noch zugenommen, improvisiert wird noch weniger als auf der Bühne (wo Toldam z.B. den Blick kaum vom Notenpapiert löst).
Dass diese Musik gleichwohl dermaßen groovt, bleibt ihr Geheimnis -
das sich auch nach mehrmaligem Hören nicht auflösen will.
erstellt: 02.10.20
©Michael Rüsenberg, 2020. Alle Rechte vorbehalten