EGGS LAID BY TIGERS Live Berlin *******

01. Lift up your Face (T: Dylan Thomas, M: Westergaard, Dahl, Bruun).02. The Hand that signed the Paper, 03. Sometimes the Sky´s too bright, 04. Here lie the Beasts, 05. Our Eunuch Dreams, 06. The Molls, 07. You shall not despair, 08. Clown in the Moon

Jonas Westergaard Krauter - org, synth, voc, Martin Ullits Dahl - g, voc, Peter Bruun - dr, g, voc

rec. 04/2015
ilkmusic ILK254CD

Zu den besonders memorablen Programmpunkten des Klaeng-Festivals 2015 (veranstaltet von der gleichnamigen Kölner Jazzmusiker-Initiative) gehören zwei, die im strengen (Jazz)Sinne gar nicht dorthin gehörten: das drum´n´bass Duo Knower aus Los Angeles und die drei zum Teil in Berlin ansässigen Dänen von Eggs Laid By Tigers.
Ein erster Blick auf die Besetzung ließ erahnen, dass Peter Bruun, gelistet mit „dr, g, voc“, nicht in einer Rolle auftreten werde, wie wir sie aus seiner Mitwirkung bei Django Bates (Beloved Bird Trio) oder Samuel Blaser kennen: als einen an der breiten Schnittstelle zwischen time und free changierenden Schlagzeuger.
Es bedurfte im Stadtgarten Köln keiner 8 Takte, um eine völlig andere Richtung anzuzeigen: Retro.
cover eggs tigersSo geht es auch hier, ein halbes Jahr zuvor, im April, im Salon am Moritzplatz, Berlin. Einleitung durch die Orgel, nicht die Jazz-Orgel, wie wir sie aus der Smith-Tradition kennen, sondern die Philips Philocorda.
Sie zeichnet sich durch ein Klangbild aus, das die Anglo-Amerikaner - eher liebevoll - „cheesy organ“ nennen, wohingegen unsere deutsche Umschreibung schon eher einem Verdikt gleichkommt: „Plastikorgel“.
Dann setzt ein 4/4-Takt ein, den ältere Semester umstandslos mit Beat oder der frühen Rockmusik, jedenfalls den Mittsechzigern, assoziieren werden. Der Gesang, auch Gruppengesang, tut ein übriges. Wir sehen uns zurückversetzt in die Zeit der frühen Pink Floyd, ca. 1967 „Arnold Layne“. Und wie weiland Syd Barrett (1946-2006) ist es auch hier der Gitarrist, der den Rahmen sprengt.
Martin Ullits Dahl streut ein kurzes Solo ein, das an Hendrix´ „Crosstown Traffic“ erinnern mag. Ähnlich in „The Molls“; die Band durchschreitet Westcoast-Territorium, erinnert melodisch an die frühen Steely Dan oder auch die Turtles, das Orgelsolo an Ray Manzarek (1939-2013), den Organisten der Doors. Dahl vokalisiert zunächst sein Solo a la Hendrix und zersprenkelt es dann in dessen bester Manier.
Später, in der downtempo Ballade „You shall not despair“, wird er erst recht ausfällig: es wabern glissandi, tremoli und stotternde Klänge, wie man sie von Hendrix nicht kennt, es klingt- ja, „Sounds like Whooppaatal“, wie man es dem Gitarren-Einzelgänger Hans Reichel (1949 - 2011) zuschreiben möchte (in Köln noch weitaus dramatischer als hier, in Berlin).
Ein Gitarrist wie Martin Ullits Dahl wäre damals überqualifiziert gewesen (Pete Townshend war viel undisziplinierter), er signalisiert heute, dass die Strukturen, so eindeutig retro sie erscheinen mögen, es zumindest teilweise nicht sind.
Nehmen wir den Höhepunkt, „Sometimes the Sky´s too bright“. Der Gesang a la Crosby, Stills & Nash (aber nicht so präzise) schaukelt gefällig daher, aber die Kameraden stützen sich auf 10/4, ausgeführt 4/4, 4/4 plus 2/4. In der Wiederholung wird daraus ein Shuffle-Marsch von großer Erhabenheit, es folgt ein Gitarrenriff über 12/8 wie im west-afrikanischen HiLife, im nächsten Abschnitt spielt Dahl ein Gitarren-Solo über 6/4.
Die vertrauten Themen gehen keineswegs mit vertrauten Lyrics einher, hier beschreiten die Dänen gänzlich unvertrautes Gelände: ihre Texte stammen ausnahmslos von Dylan Thomas, dem berühmten Poeten aus Wales, der 1953 im Alter von 39 Jahren in New York City verstorben ist.
Das Repertoire von Berlin überschneidet sich größtenteils mit dem aus Köln, instrumental freilich mit einem wesentlichen Unterschied. In Köln bediente Jonas Westergaard Krauter auschließlich die Baßgitarre, hier tut er das nur in einem Stück, dem erwähnten „Sometimes the Sky´s too bright“, sixties-gerecht mit leichtem Echo unterlegt.
Ansonsten spielt er mit der rechten die Philocorda Orgel, mit der linken ebenfalls ein vintage Gerät, den Mini-Moog, in Baßfunktion. Und er tut das so geschickt, hat den Synthie so fein eingestellt, dass man sich lange Zeit fragt: unterschlagen die liner notes einen vierten Mann ( einen Organisten? - den es auf den früheren Studioalben durchaus gegeben hat).
Ob man nun Köln oder Berlin, wie hier die CD, bevorzugt, ist eine Geschmacksfrage, tatsächlich aber betont die Orgel den Retro-Charakter der ganzen Veranstaltung, die im Kern eben aus einem besteht: aus einer „zeitlosen“ Popmusik.

erstellt: 05.05.16
©Michael Rüsenberg, 2016. Alle Rechte vorbehalten