LIONEL LOUEKE HH *****
01. Hang up your Hang Ups (Hancock), 02. Driftin ́, 03. Tell me a Bedtime Story, 04. Actual Proof, 05. Cantaloupe Island, 06. Butterfly, 07. Dolphin Dance, 08. Watermelon Man, 09. Come running back to me, 10. Voyage Maiden (Loueke), 11. Rockit (Hancock), 12. Speak like a Child, 13. Homage to HH (Loueke), 14. One Finger Snap
Lionel Loueke - g, voc
rec. 13.02.-15.02.2019
Edition Records EDN1161
Wer die setlist liest und mit dem Titel des Projektes kurzschließt, wird unschwer erahnen, dass es sich um eine Hommage handelt, eine Verbeugung vor Herbie Hancock, dem Mentor & Freund von Lionel Loueke.
Er spielt auf drei Alben von HH, „Possibilities“ (2006), „The Joni Letters“ (2007) und „The Imagine Project“ (2010) und verfügt auch ansonsten über einen ansehnlichen trackrecord, von Terence Blanchard über Charlie Haden bis Chick Corea & Steve Gadd.
Lionel Loueke stammt aus dem westafrikanischen Benin, gitarristisch ist er ein Stilist; bei ihm verbinden sich afrikanische Patterns mit digitalen Transformationen, und zwar in einem Ausmaß, bei dem das Ursprungsinstrument mitunter kaum noch erkennbar ist.
Die ersten Momente dieses Albums - er macht damit das Dutzend in eigener Regie voll - suggerieren den Eindruck, hier handele es sich um eine radikale Abkehr von bisherigen Praktiken, sozusagen full stop:
keine Afro-patterns, keine Digitaltechnik, Loueke bedient ausschließlich eine akustische Gitarre, wie überwiegend auf diesem Album.
„Hang up your Hang Ups“ erscheint für einen solchen Zugriff gut geeignet. Wer das Original noch im Kopf hat: es stammt aus der Phase, als Wah Wah Watson bei Hancock den entscheidenden Gitarren-Posten übernahm, und zwar mit sehr, sehr reduk-
tionistischen Funk-Patterns.
Wenn man funky spielen will, dann ist dieses Stück Erste Wahl (aus dem mittelmäßigen Album „Manchild“ von 1975). „Hang up your Hang Ups“ lässt sich auf ein 2-Ton-Muster reduzieren, wobei der erste Ton mit einem kurzen glissando angespielt wird.
Für einen Rhythmiker wie Lionel Loueke ist das schon fast zu simpel.
Deshalb baut er sozusagen als Fallstellen Flageolets ein - und entkommt nicht dem Höreindruck des gelegentlichen Strauchelns.
„Driftin“ (aus Hancock´s Debütalbum „Takin off“, 1962) geht er gleichfalls sehr funky an, obgleich das Original im Shuffle-Rhythmus steht und bestensfalls das Funk-feeling des damaligen Hardbop hat.
Bei „Driftin“ tritt der Mehrspur-Charaker der Produktion deutlicher hervor. Loueke bleibt bei der akustischen Gitarre, er singt dazu scat, und dies über einer perkussiven Spur aus vokalen Klicklauten.
„Tell me a Bedtime Story“ (aus „Fat Albert Rotunda“, 1969) dürfte eine der bewegendsten Balladen von Herbie Hancock sein. Loueke kommt damit bestens zurecht (ebenso übrigens wie später mit „Butterfly“), vielleicht auch deshalb weil er seine Interpretationen nicht auf ein Gitter aus rhythmischen Kleinzellen aufsetzt.
„Butterfly“ hat einen lockeren Beat, aber „Bedtime Story“ geht er legato an. Beide Stücke atmen, Loueke stellt in beiden Fällen die süffigen Themen in den Vordergrund; er singt, vermutlich einen je spontan entstandenen Fantasietext.
„Bedtime Story“ signalisiert zudem die Abkehr von der bis dato klang-puristischen Haltung: ab der Hälfte wölbt sich ein kurzes Echo sowie sowie ein glissando über das Stück, die nur von einer elektrischen Gitarre erzeugt werden können.
Ab hier nimmt der Anteil der Multitrack-Einspielungen zu: das zeigt sich in Loueke´s Fassung von „Watermelon Man“, mit einer perkussiven Spur aus Schnalzlauten und einer Art Reggae-Feel, vor allem in „Come running back to me“ (aus „Sunlight“, 1977/78). Die Gitarre(n) sind mit einem Effekt gekoppelt, der eher an eine Orgel denken lässt.
„Sunlight“ war eines der schwächeren Hancock-Alben, die Auswahl gerade daraus leuchtet wenig ein. Dafür umso mehr „Actual Proof“, einer der akzentuiertesten Funk-Vamps von Hancock überhaupt.
Lionel Loueke nimmt die Herausforderung gar nicht an, er verheddert sich in einer Kora-ähnlichen zweiten Gitarren-Stimme.
Man erwartet an dieser Stelle wenig für das erst noch folgende „Rockit“ - und doch gelingt die Adaption. Sie ist zum Schluß hin zwar wiederum mit Effekten überladen, aber eigentümerlichweise bringt er das Ding tatsächlich ins Swingen!
„Voyage Maiden“ sowie „Homage to HH“ sind genau das, was das letztere auch im Titel trägt. Aber es wird nicht deutlich, worauf LL dabei abzielt.
Bei der gesamten Produktion, insbesondere aber bei „Homage to HH“ wurde ich von einer Assoziation begleitet. Das von Loueke praktizierte Format - Gitarre, Stimme, Song-Strukturen - ist selten im Jazz, es hat nur wenige Vorläufer.
Und einer davon ging mir partout nicht aus dem Kopf: „“The Way we used to do“ von Michael Gregory (Jackson), produziert 1982, ursprünglich veröffentlicht unter dem Titel des Auftaktsongs „Cowboys, Cartoons and Assorted Candy“.
Jackson reicht handwerklich bei weitem nicht an Loueke heran, bei ihm finden sich kaum Referenzen zu Hancock, eher zu Stevie Wonder, John Lennon, Jimi Hendrix und David Bowie.
Aber, wow, der Mann hat Soul - um mal einen schönen alten Begriff wiederzubeleben.
erstellt: 16.09.20
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