ANTON EGER Æ *********
01. HERb+++gA (Eger, Eldh), 02. Oxford Supernova+++jC,
03. IOEDWLTO+++hP, 04. datn+++oS (Eger), 05. Sugaruzd+++pT (Eger, Eldh, Calvert), 06. Monolith+++tR (Eger), 07. Severn B+++fP (Eger, Eldh, Calvert, Nicholls, Mullarkey), 08. ?girl MIP+++hH (Eger, Eldh), 09. Never Not +++kMp (Eger), 10. Sufflör+++sB (Eger, Eldh, Marland)
Anton Eger - dr, keyb, Petter Eldh - b, bg, keyb, Matt Calvert - g, Dan Nicholls - keyb, Robin Mullarkey - bg, Niels Broos - synth (2,9), Ivo Neame - synth (1), mellotron (4), Christian Lillinger - dr (3), Otis Sandsjö - ts (3), Mathias Heise - harm (5,8), Juliette Marland - voc (10)
rec. 29.-31.05.2018
Edition Records EDN1122
Der zweite große Aufschlag für das jazzdiscografische Jahr 2019!
Das Debutalbum des Schlagzeugers norwegisch-schwedischer Herkunft, den wir als einen agilen, hoch-interaktiven aus den Bands von Marius Neset kennen sowie aus dem Trio Phronesis.
Und, bestimmt nicht last not least, aus StoRMChaser, der Studentenband von Django Bates aus seiner Zeit als Dozent am Rhytmisk Musik Conservatorium in Kopenhagen, 2008 (darin Marius Neset, Daniel Herskedal, Josefine Lindstrand, Petter Eldh u.a.).
„Æ“, benannt nach seinen Initialen, ist kein drummer-Album, ja es enthält nicht mal ein Schlagzeugsolo.
Klanglich ist „Æ“ retro, wir hören en masse Synthies aus den Asservatenkammern langlebiger Studios: Juno 6, Juno 60, Polysix, Minimoog, Korg Trident, ja sogar das - elektro-mechanische - Mellotron. („Nights in White Satin“, The Moody Blues, remember?) Und, na klar, das Wurlitzer Electric Piano.
Fehlt nur der Korg M5; aber der eignete sich nicht so sehr für die cheesy sounds, die dieses Album dominieren, samt der vertrauten filter sweeps und pitch bendings (Tonbeugungen).
Denn: „Æ“ ist Pop. Pop, wie ihn Jazzmusiker spielen.
Die Erklärung, Anton Eger greife hiermit seine Pop-Vergangenheit auf, überzeugt nicht recht, sie erfasst bestenfalls die Remix-Techniken und Club-Ästhetik vieler tracks.
(Die seltsamen Kürzel am Ende eines jeden tracks führen jeweils das Bearbeiterteam auf, manchmal genau so viele Musiker wie die „ursprünglichen“ Instrumentalisten.)
Denn Eger greift andererseits zurück auf die Canterbury-Szene („Sugaruzd+++pT“) und auf die Bond-Filmmusiken eines John Barry („Monolith+++tR“), die bei seinem Lebensalter von 38 Jahren unmöglich zu seinem Life-Soundtrack gehört haben können.
„Æ“ mag also klanglich retro sein, strukturell ist die Musik absolute Gegenwart.
Unter der stets leicht zugänglichen Oberfläche tun sich Falltüren auf, es herrscht beat displacement bis zum Abwinken.
Der wohl poppigste Titel, das schon erwähnte („Monolith+++tR“), ist z.B. von Akzentverschiebungen geradezu ver-rückt. Und als es gar zu schön wird, kippt das Ganze in eine dreckige TripHop-Coda.
Oder „Oxford Supernova+++jC“, das Stück kam auf unserem CD-Player tagelang nicht aus dem Wiederholungsmodus heraus. Ein unspektakulärer langsamer Shuffle, wie es zunächst scheint.
Er schiebt sich behäbig voran, mit altbekannten Filter-Effekten der keyboards - bis Dan Nicholls das Stück plötzlich mit ein paar Akkorden auf dem Wurlitzer erdet und gleich drei Baßgitarren (zwei von Petter Eldh und eine von Robin Mullarkey) einen Groove pumpen, der dem aus den Balladen eines Robert Glasper in nichts nachsteht.
Im zweiten Solo zuckt aus dem mit cheesy keyboards geführten Thema ein Minimoog-Solo empor, wie man es in Jahrzehnten nicht mehr gehört hat. Es hat nichts, aber auch gar nichts von den Helden der Zunft, von all den Chick Coreas und Jan Hammers.
Der da an Tasten & Modulationsrad mit einem nahezu unfassbaren timing agiert, ist Niels Broos aus Utrecht/NL.
Petter Eldh nennt ihn „ein Monster“.
Überhaupt Petter Eldh. Der in Berlin lebende Schwede spielt seit Jahren obenan in der ersten Liga der europäische Jazzbassisten, seit der Produktion des dritten Albums von Troyka entwickelt er sich parallel auch zu einem studio wizzard.
Das Produzieren/Bearbeiten/Remixen gestaltet sich bei ihm allerdings zu einer eminent musikalischen Tätigkeit, die sich nicht mit dem Austausch von Beats begnügt und mal hier einen Hall, dort ein Echo setzt.
Einen nicht geringen Anteil daran hat die Personalwahl. Es gibt im Rheinland einen nicht ganz unbedeutenden Kurator, dem ein Blick in Eldh´s Adressbuch gestattet war („…der weiß die guten von den sehr guten zu unterscheiden…“)
„Æ“ ist in dieser Hinsicht Eldh´s größter Wurf.
Schon im Eröffnungstrack erkennt man seine Handschrift, hier in Form einer Art Jahrmarktsmelodie, die in unterschiedlichen Tempi und rhythmischen Aufteilungen durch einen Sturm von Klangpartikeln geführt wird.
Die Arbeit am Klang, an stilistischen Assoziationen ist enorm. Man könnte Stunden verbringen, die Bezüge offenzulegen. Django Bates ist darunter („IOEDWLTO+++hP“, „?girl MIP+++hH“), viel Pop, z.B. TripHop oder Beatles oder XTC („Never Not +++kMp“), und wer will, kann in dem frankophilen „Sufflör+++sB“ Verwandtschaften zu Alfred Harth („Sweet Paris“, 1995) ausmachen.
Obacht!, das sind Hörer-Assoziationen, sie müssen nicht mit den Intentionen der Künstler übereinstimmen.
Einmal aber in diesem an Brüchen und Wechseln reichen Album verlassen sie den Bereich der akustischen Duftmarken und zitieren, nein: stehlen direkt - in „?girl MIP+++hH“ das riff aus „ostinato“ (1970) von Herbie Hancock.
Schön, wenn man in dieser akustischen Wundertüte eine Zutat auch mal wirklich benennen kann.
erstellt: 15.01.19
©Michael Rüsenberg, 2019. Alle Rechte vorbehalten