FABIAN ARENDS Fractures ********
01. Sonett in Ochre (Arends), 02. Forest Ground, 03. Fracture II, 04. Figurations, 05. Animated Surface, 06. Warp, 07. LGT, 08. Fracture I, 09. Silhouette, 10. Fracture IV - Mobile
Fabian Arends - dr, Philip Zoubek - p, prepared piano, David Helm - b, Shannon Barnett - tb, Radek Stawarz - va
rec. 09./10.06.2021
Klaeng Records 067
Man erwischt sich beim - gebannten - Hören dieser Produktion, den Bandleader ganz gelegentlich doch mit seinem Instrument in Verbindung zu bringen.
Für Außenstehende mag das eine Nullinformation sein. Im Jazz aber handelt es sich um eine vergleichsweise junge Errungenschaft, einen Schlagzeuger in einem eigenen Projekt nicht unter ostentativer Zurschaustellung seiner handwerklichen Fähigkeiten zu erleben.
Fabian Arends, 32, ist hinter seinem Lehrer (Jonas Burgwinkel) der wohl meistbeschäftigte Schlagzeuger in Köln, um Köln und um Köln herum. An der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart unterrichtet er Schlagzeug und Improvisation.
Auf „Fractures“ aber nimmt er sich in dieser Rolle zurück (in „LGT“ beschränkt sich seine Mitwirkung sogar auf ein paar tom-Tupfer und cymbal-Schwingungen) - er tritt auf diesen Album in erster Linie als Komponist hervor.
Auch diese Rolle ist für ihn nicht brandneu, erinnert sei an das mit seinem Bassisten-Partner David Helm geleitete Projekt Fosterchild 2019.
„Fractures“ enthält keine liner notes. Auf der Webseite des Labels aber gruppiert Arends die Bemühungen seiner kompositorischen Arbeit - grob, aber zutreffend - in drei Felder:
„subtile und luftige Kammermusik-Qualitäten“ (tracks „Silhoutte“, „Figurations“ und „Fracture IV“), „kräftige Ensemble-Interaktion“ (tracks „Animated Surface“ und „Warp“) sowie „dunkle Mischungen von Strukturen von Posaune und Bratsche“ (tracks „Forest Ground“ und „LGT“).
Mit dieser seltenen Instrumenten-Kombination ist ein Attraktionsmoment benannt, das auch von der Besetzung her einiges hat. Shannon Barnett hat die WDR Big Band verlassen und unterrichtet als Professorin für Jazz-Posaune an der Musikhochschule Köln.
Radek Stawarz, geboren 1973 in Krakau, ist vieles, u.a. Bühnenmusiker am Schauspiel Köln und Düsseldorf, aber auch am Berliner Ensemble - freitags sieht man ihn im ZDF bei Jan Böhmermann im Rundfunktanzorchester Ehrenfeld.
Wer zudem in Kölner Studios Philip Zoubek bucht, hat meist schon die halbe Miete. Das ist das andere, noch größere Attraktionsmoment dieses Albums. Dieser Pianist hat Kraft, ein bemerkenswertes timing, und er glänzt mit Präparationstechniken wie kein zweiter hierzulande. Die perkussiven Fähigkeiten, die er dabei entwickelt („Forest Ground“), stehen denen eines Benoit Delbecq kaum nach.
Es fällt schwer, die disparaten Momente dieses Albums stilistisch auf einen Nenner zu bringen. Manches spräche für Post FreeJazz (z.B. „Animated Surface“), aber dafür ergötzt es sich viel zu sehr an Melodie und Wohlklang, gelegentlich durchaus ECM-like („Silhouette“).
Die vielen „schönen“ Momente entzücken freilich mit einer gewissen Kantigkeit. Arends Mittel der Wahl dafür sind ostinato-Formen, allerdings fast nie so, dass man von riffs oder vamps sprechen könnte. Dafür sind sie zu sehr der Neuen Musik verwandt.
Typisch für diese, quasi die Weitläufigkeit der Wiederholungs-
formeln das Auftaktstück „Sonett in Ochre“: die fünf Stimmen bewegen sich eine ganze Zeit lang rubato, durchaus thematisch, aber mit offenem Ziel.
Zoubeks Piano gibt später dem Geflecht mit einer 10/4-Figur einen Rahmen, sie mündet schließlich in eine anmutige Melodie, die im 5/4-Takt auf zwei Stufen wiederholt wird.
Wer „Sonett in Ochre“ als Blaupause hört, kann darin gleichsam die Saat der oben beschriebenen drei Ausdrucksmodalitäten entdecken.
Das, was die Unterschiede im Kern beisammen hält: „Fractures“ ist ein ostinato-Fest!
Trotz der Nähe zur Neuen Musik, es ist und bleibt ein Jazz-Album; Kammermusiker würden das nie und nimmer so spielen. Und an den ersten zwei Dritteln von „Animated Surface“ würden sie vollends scheitern: ein obergeiler broken swing der Rhythmusgruppe plus Piano.
Letzteres schält dann das heraus, worauf sich alle fünf einstimmen. Ja, was wohl? Ein langes ostinato-Thema!
Nach drei Minuten ist Schluss.
Viel zu früh - man muss das Motiv selbst fortführen.
erstellt: 01.04.22
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