FABIAN DUDEK Isolated Flowers ********
01. Pretty Ugly (Dudek), 02. Down after up/up after down, 03. Isloated Flowers, 04. Where we go, 05. Reality, the Hypocrite, 06. I can´ t, 07. Sick Days
Fabian Dudek - as, Felix Hauptmann - p, synth, David Helm - b, Fabian Arends - dr
rec. 21.-22.01.2021
Traumton Records 4701
Zwei unterschiedliche Live-Eindrücke der jüngsten Vergangenheit:
im Oktober 2021 eine Direktübertragung vom Deutschen Jazzfestival in Frankfurt. Man weiß nicht, wer spielt, es gibt keine Ansagen, und wenn dann nur knappe Hinweise auf den nächsten Titel.
Man hört vier Musiker, die offenkundig was drauf haben, aber wenig fokussiert durchs Gelände zu mäandern scheinen.
Vor wenigen Wochen - die Band ist inzwischen identifiziert - im Loft Köln, wo dieses Album entstanden ist: Abschlußkonzert des Masterstudiums an der Musikhochschule Köln für Fabian Dudek, Jahrgang 1995.
Im Publikum drei Abgesandte der Hochschule für Musik und Tanz Köln, die sich ihren Status als Prüfer in nichts anmerken lassen: Frank Gratkowski, Niels Klein, Dieter Manderscheid.
Obwohl reine Formsache (von den Ausbildungszielen her kann hier nichts mehr scheitern), scheint der Prüfling doch nicht ganz frei von einer gewissen Befangenheit. Oder liegt es daran, dass das Quartett an diesem Abend zur Hälfte neue Stücke spielt? Stücke, die nicht auf diesem Album enthalten sind.
Jedenfalls reichen beide Live-Eindrücke nicht oder nicht ganz an dieses Studio-Album heran - eine nicht gar so seltene Umkehrung der alten Jazz-Gewissheit, wonach die Bühne das Studio immer aussticht.
Hier also nicht. „Isolated Flowers“ lebt von der Konzentration, auch von einer gewissen Ökonomie: manchmal, wenn´s gut & gern weitergehen könnte, machen die Musiker einfach Schluß.
Und wer demnächst noch mal zur törichten Rede von den Nachteilen der Akademisierung des Jazz anhebt, der muss zur Strafe zwanzig Mal dieses Album hören.
Es zeigt nämlich ein Spitzenensemble des deutschen akademischen Jazznachwuchses, namentlich der Musikhochschule Köln.
Die Rhythmusgruppe ist in dieser Hinsicht hinlänglich ausgewiesen: David Helm und Fabian Arends sind nach Landfermann/Burgwinkel das Rhythmusteam Nr. 2 aus der Domstadt.
Beim Bandleader Dudek kann man Partikel von Ornette Coleman hören („Pretty Ugly“), vom vibrato eines Arthur Blythe („Where we go“), sicher auch von seinem Lehrer Gratkowski, aber wie gesagt, das sind Partikel.
Damit ist der Personalstil von Fabian Dudek nicht vollständig erfasst.
Er ist zudem ein Shouter, anders als die anderen deutschen Saxophon-Shouter Ignaz Dinné und Wanja Slavin.
Er kann, er muss nicht stets Druck aus dem Kessel lassen, er kann in ruhigem Ton eine beinahe hymnische Ballade spielen („I can´t“). Aber wenn er ins Überblasen steigt, in die multiphonics, dann reißt er alles mit („Pretty Ugly“, „Reality, the Hypocrite“) oder im Schlußtrack „Sick Days“. Hammer!
Das passte partiell gut in allerlei Formen des FreeJazz, ist hier aber kompositorisch ganz anders eingebunden zu einem sicher Post FreeJazz zu nennenden Format.
Ein Kunstgriff darin sind immer wieder ostinato-Formen. Und das bedeutet auch Abkehr von durchgängig frei-metrischen Strecken.
Der andere - man sollte bei einer Person nicht von einem Kunstgriff sprechen - der andere Pluspunkt ist der Pianist Felix Hauptmann. Es ist nicht übertrieben zu sagen: eine Riesenbegabung, der nächst große Name aus Köln nach Philip Zoubek.
Hauptmann wird auf dem cover mit „piano/synth“ notiert, das ist präziser als „piano/keyboards“. Er ist kaum je ein Klangmaler, er geht sparsam mit elektronisch erzeugten Sounds um, einmal mit einem kaum merklichen Wimmer-Vibrato („Where we go“).
In der Hauptsache aber ist Hauptmann Pianist, und was für einer! Er hat eine unglaubliche Phrasierung und ein großartiges timing. Unser Freund Heini W. aus D., der die jungen Pianisten auf Verdacht nach Keith Jarrett-Einflüssen absucht, findet hier - nichts.
Ganz entfernt, allenfalls, ein wenig Paul Bley.
Ein Quartett mit überdurchschnittlicher Rhythmusgruppe, dazu zwei Solisten, die wirklich ein Momentum erzeugen, die Glut entfachen können - was will man mehr?
erstellt: 13.04.22
©Michael Rüsenberg, 2022. Alle Rechte vorbehalten