SCHMID´S HUHN Layers (live) ********
01. Layers (Stefan Karl Schmid), 02. Reihe 1, 03. Interlude, 04. Imagine being free, 05. Modus VI, 06. Her skin is an Ocean (Leonhard Huhn), 07. Hold your Breath (Stefan Karl Schmid), 08. Somebody steals my political opinion (Leonhard Huhn), 09. Fall down seven Meters and become a Machine, 10. Layers reprise (Stefan Karl Schmid)
Stefan Karl Schmid - ts, cl, fx, Leonhard Huhn - as, cl, Stefan Schönegg - b, Fabian Arends - dr
rec. 19./20.09.2020
Shoebill Music SB 21018
(erscheint am 22.4.)
Unter uns: auch beim dritten Male kommt man nur schwer über den Bandnamen hinweg.
Und erinnert sich gern an das vierte Mal - nämlich die erste Manifestation dieses bemerkenswerten Neo Cool Jazz aus Köln,
mit anderer Rhythmusgruppe, aber mit denselben beiden frontmen wie heute.
Als Stefan Karl Schmid und Leonhard Huhn 2010 unter dem Namen des fiktiven Bandleaders Olaf Lind erstmalig ihre filigranen Holzbläser-Dialoge führen: Olaf Lind Quartet (oder auch wie zuvor 2009, Richard 4), alles gut. Zumindest besser als der heutige Name, der seit „Schmid´s Huhn“ (2014) und „Golden Spheres“ (2015) so tut, als werde unter diesem Signum das Federvieh von irgend jemand namens Schmid aktiv.
Natürlich, in Köln ist das anders, insbesondere im Arreal westlich der Ringe, zwischen Stadtgarten und Loft, kommt keiner auf so krumme Gedanken. Da sind Schmid und Huhn bestens eingeführte Marken.
Da weiß man obendrein auch zielsicher zu unterscheiden zwischen Leonhard Huhn, dem Altsaxophon-Haucher und Praktiker erweiterter Instrumentaltechniken, und Leonhard Huhn, dem Elektro-Akustiker - wie bei Die Fichten -, wo dessen Instrument zwar deutlich sichtbar ist, aber klanglich hinter den Effektgeräten verschwindet, die vor ihm einen ganzen Tisch bedecken.
Bei „Layers“, wie man auch in Traunstein oder Düsseldorf mit Blick auf die Besetzung erahnen kann, entfaltet sich der Klangästhet Huhn an Altsaxophon und Klarinette. Und trägt überdies mit drei Kompositionen zu dem Eindruck bei, der „Layers“ als den größten Wurf des Quartetts mit dem unmöglichen Namen ausweist.
Die Bedingungen waren auch nahezu ideal; eingeschränkt nur davon, dass pandemisch bedingt im Subway, dem Traditions-Untergeschoß der Kölner Jazzwelt, lediglich 20 Zuhörer zugelassen waren, konnten die Musiker fünf Tage en suite spielen, an zweien nahmen sie auf. Es fühlte sich an wie eine „residency“ (Huhn).
Dabei nehmen die beiden Holzbläser derart für sich ein, dass man ein Harmonieinstrument keine Sekunde vermisst. Die „Transparenz“ (aller vier Stimmen) ist enorm, und die beiden zelebrieren sie geradezu, als sie im Auftaktstück erst einander umspielen und dann im hymnischen Thema die beiden Linien nicht exakt unisono ausführen.
Vielleicht sind damit die „layers“, die Schichten des Vortrages gemeint.
Die Rhythmusgruppe gibt hier schon einen ersten Eindruck von ihrer Klasse.
„Reihe 1“ und „Interlude“ wirken wie das, was dem letzteren den Namen gibt: kurze, ruhige Zwischenspiele vor dem nächsten Aufstieg „Imagine being free“.
Stefan Schönegg gibt einen stampfenden Beat vor, der nach einem langen Tenorsolo von Stefan Karl Schmid zerbröselt und unter zwei Klarinetten zur Ruhe kommt.
Und sie geben sogleich eins drauf!
„Modus VI“ ist der Höhepunkt.
Das Thema wird verteilt auf je einen Latin- und einen swing-Groove. Der Wechsel zwischen beiden gibt die Blaupause für das anschließende Tenorsolo, und was die Rhythmusgruppe dabei treibt, ist hinreißend.
Man merkt, wie sie den Solisten Schmid inspiriert, er bringt multiphonics ein („während der vorangegangenen Monate war viel Zeit, um die Flageolett-Lage zu üben“).
Leonhard Huhn folgt mit dem ersten seiner Stücke, „Her skin is an ocean“, eine Art „italienischer Trauermarsch“ - die Platzierung ist optimal.
Das Thema bleibt wie ein Nach-Echo in „Hold your breath“ kurz erhalten, Schmid übernimmt mit der Klarinette, was man erst recht als „layers“, als Schichtungen, verstehen kann: mit Hilfe digitaler devices verdoppelt und transponiert er seine Stimme, das anmutige Thema kommt von Huhn. Dramatik kommt auf, das Stück strebt in Richtung FreeJazz.
Der Diebstahl der politischen Meinung („Somebody steals my political opinion“) geschieht im Gewande des Post Bop, den tiefen (Titel)Fall von track 9 muss man sich in Zeitlupe vorstellen. Erst nach fünf von knapp neuen Minuten sammeln sich die Saxophone wieder zu einem thematischen Statement.
Auftakt und Mittelachse des Albums (tracks 4 bis 7) sind derart geschickt gebaut, dass das Finale weniger ins Gewicht fällt.
Man gönnt dem Quartett gerne eine Verzehnfachung des Publikums. Jeden Abend.
erstellt: 25.03.22
©Michael Rüsenberg, 2022. Alle Rechte vorbehalten