FABIAN ARENDS/DAVID HELM Fosterchild ********

01. Spiral Anomaly (Arends), 02. Not yet (Helm), 03. Sakura (Arends),  04. Trees I (Helm), 05. Force Majeure (Arends), 06. Waiting for the Sun (Helm), 07. Litoral (Arends), 08. Trees II (Helm), 09. The Owl of Cranston (Motian)



Fabian Arends - dr, David Helm - b, Sebastian Gille - ts, Kasper Tranberg - tp, Philip Zoubek - p, prep p, synth, electronics, Simon Nabatov - p, synth, electronics (1,3,4,5,8,9)
Elisabeth Coudoux - vc (3,9), Stefan Schönegg - b (3,9), Christoph Möckel - ss, ts  (3,9), Bastian Stein - tp (3,9), Theresia Philipp - as  (3,9), Leonhard Huhn - as, electronics, voc  (3,9)

rec. 07.-10.06.18
Tangible Music TM004


Rhythmusgruppen sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren…
Diese hier, Fabian Arends - dr und David Helm - b, die sich im Raume Köln einen guten Ruf erspielt hat (und auf ihren jeweiligen Webseiten die Namen ihrer renommierten Ausbilder nicht der Rede wert findet: Dieter Manderscheid und Jonas Burgwinkel von der Musikhochschule Köln), nutzt nicht die Gunst der Stunde/pardon: eines eigenen Albums, um sich mit ein paar Kabinettstückchen aus langer Zusammenarbeit vom hinteren Bühnenrand nach vorn zu positionieren.
Nein, Arends & Helm starten ihr Unternehmen mit einer … langen Pause.
cover arends helm 1Sie lassen ihren beiden Pianisten Philip Zoubek und Simon Nabatov den Vortritt. Sie geben damit „Fosterchild“ einen ganz eigenen Ton und sich selbst eine attraktive Rolle, weniger als Rhythmusgeber, sondern als Konzeptionalisten.
„Spiral Anomaly“ startet also in der aparten Kombination zweier Post FreeJazz-Pianisten, Philip Zoubek und Simon Nabatov (die sich wenig später auch als Elektro-Akustiker entpuppen).
Nach gut drei Minuten erst tritt David Helm hinzu, lediglich um eine Minute lang ein anmutiges Bläserthema zu grundieren.
Denn dann legen Zoubek & Nabatov erst richtig los, in einem dramatischen Gleitflug, der Felder aus american new music und FreeJazz streift.
Erst nach sechseinhalb Minuten tritt Fabian Arends, der Komponist, hinzu, wiederum nur zu einer kurzen Injektion mit Helm, denn ab Minute 7 gehört das Solisten-Mikrofon dem Trompeter Kasper Tranberg aus Dänemark (den wir demnächst in einem aufregenden Quartett mit dem Schlagzeuger Peter Bruun erleben werden). Der Rest bis 10:06 ist Post FreeJazz.
„Spiral Anomaly“ ist ein genialer Auftakt für dieses bemerkenswerte Album, eine kluge Regie reiht in diesem Stück die beiden Grundmodi dieses Albums hintereinander: einen frei-metrischen und einen, der zwischen rubato und broken swing changiert.
Das folgende „Not yet“ basiert auf einem broken swing reinsten Wassers und ist unfassbar gut gespielt. Das Thema von Trompete und Tenorsaxophon könnte (in Ermangelung einer besseren Beschreibung) dem amerikanischen Postbop entlehnt sein; kaum zu glauben, dass ein 29jähriger Deutscher aus dem Landkreis Limburg das geschrieben hat (David Helm).
Noch länger gezogen erscheinen seine Linien in „Trees I“ und „Trees II“, den beiden elektro-akustischen Stücken dieses Albums; man kann sie hören als Hommage den Patrick Gleeson, den frühen Jazz-Elektroniker im Herbie Hancock Sextet Anfang der 70er Jahre.
Bruchlos wird die einzige Fremdkomposition eingefügt: „The Owl of Cranston“ von Paul Motian (1931-2011), jüngst auch von Larry Grenadier für sein Album „Gleaners“ aufgegriffen.
Hier wie auch in „Sakura“ wächst das Stamm-Sextett auf doppelte Größe an. Wobei auch „Sakura“ wieder durch kompositorisches Geschick auffällt: in einem großen Bogen bündeln sich Einzelstimmen zu einer Kollektiv-Improvisation, das schließlich in ein Thema a la Sun Ra mündet.
Was für ein Debüt einer Rhythmusgruppe!
Die Zeit der Rhythmusknechte ist vorbei.

erstellt: 19.04.19
©Michael Rüsenberg, 2019. Alle Rechte vorbehalten