MAKAYA MCCRAVEN Deciphering the Message ****
01. A Slice Of The Top (Hank Mobley), 02. Sunset (Kenny Dorham), 03. When Your Lover Has Gone (Einar Aaron Swan), 04. Ecaroh (Horace Silver), 05. Tranquillity (Bobby Hutcherson), 06. Wail Bait (Quincy Jones), 07. Coppin’ The Haven (Kenny Drew), 08. Frank’s Tune (Frank R. Strozier), 09. Autumn In New York (Vernon Duke), 10. Monaco (Kenny Dorham), 11. Mr. Jin (Wayne Shorter), 12. C.F.D. (Jack Wilson Jr.), 13. Black Rhythm Happening (Eddie Gale Stevens)
Makaya McCraven - b, dr, perc, synth, keyb, guitar (12), kalimba (12), Joel Ross - vib (2, 3, 4, 6, 9), Marquis Hill - tp (5, 9, 10), Greg Ward - as (5, 6, 12), De’Sean Jones - ts (5, 9, 10, 13), fl (6, 8, 9, 13), Matt Gold - g (3, 5, 7, 12), Jeff Parker - g (2), (8), (10), Junius Paul - perc (2) & b (3, 6, 10, 11, 12)
Includes original contributions by:
Hank Mobley - ts (1, 2), Lee Morgan - tp (1, 3), McCoy Tyner - p (1), Kenny Dorham - tp (2, 10), Philly Joe Jones - dr (2, 6), Art Blakey - dr (3, 4, 9, 11), Wayne Shorter - ts (3, 11), Horace Silver - p (4), Freddie Hubbard - tp (5), Herbie Hancock - p (5), Clifford Brown - tp (6), Heath – b (6), Dexter Gordon - ts (7), Donald Byrd - tp (7), Lee Morgan - tp (8, 11), Kenny Burrell - g (9, 10), Roy Ayers - vib (12), Elvin Jones - dr (13)
rec. 2021 (?)
Blue Note 06024 3814472 3
Die gängige Methode im Jazz, Bruchstücken aus der Vergangenheit des Genres einen „absolut zeitgenössischen Anstrich“ zu geben, ist, diese mit eigenen Mitteln neu zu interpretieren.
Diese Praxis nennt man Standards Spielen.
Sie kennt ein immenses Spektrum von Dem-Geist-des-Originals-Gerechtwerden bis zu jenem „Gegen-den-Strich-Bürsten“, das Django Bates mit „arranging the hell out of something“ so wunderbar auf den Begriff gebracht hat.
Unausgesprochene, weil selbstverständliche Grundvoraussetzung all diesere Varianten: an muss schon selbst Hand anlegen, die Vorgaben bleiben Modelle, sie bleiben Fiktionen (in den Köpfen aller Beteiligten, der Musiker wie der Zuhörer).
Auch wenn man anderen huldigt, gilt nämlich der ästhetische Imperativ des Jazz „Play yourself, Man!“ (wie er nicht ganz zufällig zum Titel eines Buches wurde).
Und man kann nun wirklich nicht behaupten, dieses schöne Prinzip sei erschöpft, seinen Anwendern fiele nichts mehr Neues ein.
Im Gegenteil, Standardsspielen ist nicht nur die lingua franca des Jazz (Musiker, die sich nie begegnet sind, können mit diesem Vokabular sofort sich verständigen), es liefert zugleich eine Art perpetuum mobile.
Die Ideen anderer zu feiern, sich daran zu reiben, sie vielleicht auch ironisch zu brechen, sprudelt unerschöpflich wie eine Quelle.
Vor diesem Hintergrund erscheint Makaya McCraven zunächst wie ein Faulpelz.
Der selbsternannte „Beat-Wissenschaftler“ aus Chicago legt zwar auch selbst Hand an, aber er hat sich zuvor bei seinem neuen Label Blue Note die Legitimation gesichert, im historischen Fundus des Labels sich gütlich tun zu dürfen.
Nun tritt er wieder ans Tageslicht, man erkennt ihn noch, aber er schmückt sich wortwörtlich mit fremden Federn.
Der Schlauberger spielt nämlich alongside mal mehr, mal weniger mit den diskografischen Originalen.
Insofern hören wir ihn und seine Band zum Beispiel wirklich mit dem Thema sowie einem Teil der Soli von Lee Morgan und Hank Mobley aus dessen Titelstück des Albums „A Slice of the Top“.
Das ist amtlicher Hardbop von 1966, im Groove von McCraven sehr verwandt gepumpt auf HipHop-Format. Das Original wechselt aber zwischen binär und ternär (=swingend), diesen Aspekt lässt McCraven weg. Obendrein schmuggelt er eine Ansage aus einem Art Blakey-Konzert in seine Bearbeitung, die das Original gar nicht kennt.
Kann man machen, darf man machen. Aber das Entschlüsseln der Botschaft („Deciphering the Message“) erscheint hier zunächst in Form einer Pose.
Fraglich zudem zweierlei:
ob der bestimmte Artikel „the“ klug gewählt ist: „die“ Botschaft der Vorlagen steht keineswegs fest, im Prinzip existieren so viele Entschlüsselungen wie es Hörer gibt.
Der unbestimmte Artikel „a“ wäre also angemessener, denn es handelt sich um die Entschlüsselung des Herrn McCraven und seiner Freunde.
Ob diese den Vorlagen obendrein einen „absolut zeitgenössischen Anstrich“ geben, wie das Label behauptet, ist ziemlich großspurig. McCraven bugsiert vieles zwischen die Leitplanken eines HipHop Jazz. Das groovt, ja, und es ist mindestens auch unterhaltsam. Aber dieselben Mittel hätte er auch schon vor 10 oder 20 Jahren verwenden können.
Das bedeutet nicht, dass er einfallslos vorginge. So wie in „A Slice of the Top“ bleibt er auch in Quincy Jones´ „Wail Bait“ (1956 für Clifford Brown) nahe am Original, „Tranquility“ von Bobby Hutcherson hingegen verleiht er einen gegenläufigen Dreh, er macht es mit Techniken aus drum´n´bass viel schneller.
Wie gesagt, jazz-ästhetisch fragwürdig, andererseits unterhaltsam und nicht schlecht gemacht - aber keineswegs Anlass für die Begeisterung, die das Album nun auslöst.
erstellt: 15.12.21
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