COLONEL PETROV´S GOOD JUDGEMENT Moral Machine ******

01. Everybody´s gut one (Sebastian Müller), 02. Dark Star, 03. Moral Machine, 04. Sappattack, 05. Hole of Love, 06. Launch on Warning, 07. Dick Laurant is dead, 08. Next time we might not be as lucky

Sebastian Müller - g, Rafael Calman - dr, Nils Tegen - dr, Reza Azkari - bg, Leonhard Huhn - as, electronics, voc

rec. 02/2015

Moral Machine Records MM001

Diese Produktion ist nicht für einen jeden, wie Josef Zawinul das ausgedrückt hätte.
Sie ist nix für schwache Nerven.
Hier wird ein Pfad beschritten, ach was: gestürmt, dessen Portal viele am liebsten zunageln würden. Es ist der Weg heraus aus dem Jazz in die dröhnenden Höhlen diverser Metal-Spielarten.
Der ist nicht neu, den hatten wir schon mal, 2006 beim Moers Festival, als Axel Knappmeyer im Cologne Contemporary Orchestra die Texturen von Slayer in Bläserblech wandelte.
Ja, Panzerballett aus München dürfen einem auch einfallen, die freilich akustisch weniger martialisch anmuten denn verbal.
Viel mehr darf man eine inner-Kölner Referenz heranziehen für die Art, wie hier ein so subtiler Neo-Cool-Spieler wie Leonhard Huhn seinem Altsaxophon alles Jazz-Saxophonistische austreibt. Diese hat einen Vorläufer in Wollie Kaiser, der 1999 auf eindrückliche Weise die Small Faces ummodelte („New Traces for Old Aces - re-cover-ing small faces“) und dabei auch den Gitarren-Part in seinen verzerrten Saxophonen verschwinden ließ.
cover colonel petrov
Der Gitarrenpart hier ist übermächtig, er überschlägt sich, und nach gut zwei Minuten Inferno im Eröffnungstrack drängt mit Übermacht hervor, was für dieses Album so einnimmt:
ein vamp-Hammer!
Es ist eine suggestive Folge von 10 Tönen, die Sebstian Müller zunächst in der Folge 2 x 5 spielt und sie dann als 6 plus 4 in den Baß gleiten lässt.
Das ist nicht mehr der „resulte Jazzrock“, den er vor 3 Jahren mit Teilen des Pablo Held Trios vorgestellt hat („Peel“, 2014).
Hier schwingen weniger Bill Connors, Allan Holdsworth oder Scott Henderson mit, sondern der frühe, „amerikanische“ John McLaughlin (ca. „Devotion“, 1970).
Das gilt auch für „Dark Star“, wo Huhn auf dem Altsax eine Art King Crimson-Thema erkennen lässt und
das Stück, sehr jetztzeitig, in einem mächtigen drone ausdampft.
Man hätte danach ein wenig mehr Erholung verdient, als die einander sehr ähnlichen tracks 3 und 4 anbieten. Der Titel „Moral Machine“, erschließt sich, zumal keine Lyrics vorgetragen werden, zudem nicht.
Auch das Motto für die gesamte Produktion, Coltrane vs Cobaine, bleibt dem Ohr weitgehend verbogen; mag sein, dass hierin Grunge-Partikel verschmolzen sind, aber ältere Semester hören doch viel mehr frühen McLaughlin, Jimmy Page und - in „Launch on Warning“ - eine Rhythmusfigur a la Hendrix Band of Gypsys.
„Launch on Warning“ sowie „Dick Laurant is dead“ werden wieder von mächtigen vamps dominiert, ebenso der Schlusstrack, wo der Herr Müller sich doch sehr dem Pathos hingibt.
Ja, man muss es aushalten, man muss es mögen, und man kann es begrüßen, dass mal einer aus dem deutschen Jazzlager (und von dort kommen alle hier Versammelten) der kammermusikalischen Leisetreterei hierzulande einen vor´n Latz ballert.
PS: Wo kommt der Name her? Colonel Petrov (Wikipedia schreibt ihn mit „w“) soll 1983 einen „Dritten Weltkrieg“ verhindert haben, indem er einen „vom System gemeldeten Angriff der USA mit Interkontinentalraketen…“ als das erkannt habe, was es war - ein Fehlalarm.
Wenn das kein Grund zum Lärmen ist…

erstellt: 01.10.16
©Michael Rüsenberg, 2016. Alle Rechte vorbehalten