JOHN SCOFIELD Country for Old Men ********

01. Mr Fool (Darrel Edwards, George Jones, Herbie Greece), 02. I´m so lonesome I could cry (Hank Williams), 03. Bartender´s Blues (James Taylor), 04. Wildwood Flower (Joseph Philbrick Webster), 05. Wayfaring Stranger (trad), 06. Mama tried (Merle Haggard), 07. Jolene (Dolly Parton), 08. Faded Love (Wills), 09. Just a Girl I used to know (Jack Clement), 10. Red River Valley (trad), 11. You´re still the One (Shiana Twain, John Robert Lange), 12. I´m an old Cowhand (Johnny Mercer)


John Scofield - g, ukulele (12), Larry Goldings - p (1,5,6), org (2-4, 7-11), Steve Swallow - bg, Bill Stewart - dr


rec. 03.+04.04.2016
Universal/Impulse 0602557088106

Man konnte „vorgewarnt“ sein: Country & Western-Einflüsse ziehen sich seit langem durch das Werk von John Scofield. Nicht so prägend wie bei Bill Frisell, aber schon seit 1984, seit dem Album „Electric Outlet“, findet man einen Country-Sound hier, einen Country-Song von Buck Owens oder Charlie Rich dort.
Also, „John Scofield hat seit langen mit den Klängen der Countrymusic geflirtet“, beginnt Phil Madeira die liner notes zu diesem Album, das dessen „Liebe aus der Ferne“ ins abendfüllende Format weitet.
Madeira arbeit als Komponist, Musiker und Produzent in Nashville, dem Country-Zentrum schlechthin. Und auf seine gut geschriebenen, sehr kundigen liner notes beschänkt sich denn auch der Rückgriff dieses Projektes auf das von vielen vielleicht erwartete & befürchtete „Authentische“.
„Statt nach Nashville zu gehen und mit ‚echten‘ Country-Musikern in einem Country-Stil zu spielen, habe ich ich mit meinen Jazzkumpanen verbündet, um diese Lieder jazzig anzugehen. Wir improvisieren, bewahren aber die Integrität, den Charakter und Twang dieser wundervollen amerikanischen Musik“.
Die Projektbeschreibung von John Scofield ist treffend, und er benennt auch ein Rollenmodell für sein Tun, nämlich Bob Wills (1905-1975), den Begründer des Western Swing.
„Ich wollte diese Musik so swingen lassen wie Bob Wills, aber in einem modernen Jazzstil. Man kann alles ins Swingen bringen, solange es simpel ist.“
cover scofield countryDas Album beginnt mit George Jones´ „Mr Fool“ - so gemächlich, dass man sogleich weiterskippen möchte. Ja, genau so wird sich gar mancher die Einlösung des Titels vorgestellt haben: „Country for Old Men“.
Der Bandleader wird Silvester immerhin 65.
Dass Country eine Sache für alte Männer sei - das ist bestenfalls ein Rezeptionsklischee der Europäer, aus unserer Sicht käme demzufolge der Titel einer Tautologie gleich, es wäre ein „weißer Schimmel“, denn Country halten wir halt für eine Vorliebe alter Männer, alter weißer Männer.
Das tritt in den USA ganz und gar nicht zu. John Scofield weiß das, insofern klingt im CD-Titel auch ein ironischer Unterton an - mit dem er beim Konzert in der Philharmonie Köln heftig kokettiert. Nach dem Motto „Selber schuld, wenn Ihr nicht wisst, welche Perlen im Country  & Western versteckt sind“.
„Country for Old Men“ ist unbedingt eine Hommage, auch wenn Scofield sagt, „wir wollen auch Leuten vor den Kopf stoßen“. Es mag sein, wie Phil Madeira insinuiert, dass Hank Williams (1923-1953) im Grab rotierte, könnte er John Scofields Fassung von „I´m so lonesome I could cry“ (1949) hören. Er behandelt die historische Vorlage aber keineswegs mit „disrespect“, mit Missachtung.
Im Gegenteil, hier kommt das Projekt zu sich selbst, hier entfaltet Scofield erstmals seine und die Kunst seiner Kollegen, um in einem anderen Stil eine amerikanische Musik-Ikone zum Glänzen zu bringen.
„I´m so lonesome I could cry“ läuft über einem betörenden fast swing, wie ihn nur das Rhythmusteam Steve Swallow und Bill Stewart zu Wege bringt. Und aus dem Spiel des Bandleaders spricht eine Erkenntnis um, die er in den liner notes so beschreibt:
„Es hilft mir, den Song zu spielen, dass ich den Text kenne, sonst würde ich nur einen lick spielen.“
Eben. Scofield nimmt das „cry“ im Songtext ernst, er artikuliert ein ganzes Arsenal an Blues-Schreien, gewonnen seit den frühen Tagen bei Jay McShann.
„Wildwood Flower“, folgt einem ähnlichen Muster, zunächst wird brav das Thema intoniert, dann schnurt wieder ein delikater fast swing der Extraklasse los. Das Stück stammt von 1860, popularisiert (und verändert) wurde es in den 1920ern durch A.P. Carter.
Mit einem Traditional aus dem frühen 19. Jahrhundert, „Wayfaring Stranger“, nimmt Scofield das Tempo vollkommen raus und „schreit“ einen - erweiterten - Blues, über New Orleans backbeat.
Ähnlich ergreifend (man glaubt es kaum, und Scofield kostet es vor Publikum aus, das Klischee in sein Gegenteil zu kehren) ähnlich ergreifend seine Interpretation von „Jolene“, von … Dolly Parton.
Seine Auswahl lässt das Herz eines jeden Musikethnologen höher schlagen, klingt aber auch ein wenig überschlau. Er hört in diesem Song aus Ost-Tennessee die Appalachian Connection zu Schottland:
„ich höre darin die Dudelsäcke im Moor, ungefährt im Jahr 1150. Das Stück lässt gut in modalen Jazz transformieren, mit Anklängen an John Coltrane.“
Yes, folks, so klingt es! Diese Fassung von „Jolene“ steht in 6/8 und Larry Goldings führt seinen Solopart im klassischen Stil von McCoy Tyner aus. „Jolene“ ist 1973 entstanden, sechs Jahre nach Coltranes Tod - man hätte es nur zu gerne auch von ihm gehört.
„Red River Valley“ stellt dem älteren Herrn John Scofield den Teenager voran: das Thema, ´rausgehauen im Garagenband-Stil und mit cheesy organ ausgemalt, ist, wie Scofield einräumt, von Johnny and the Hurricanes´ „Red River Rock“ geklaut. Der viel längere Improv-Teil swingt über den changes des Songs - die die gleichen sind wie von „When the Saints go marching in“, ein wunderbares Doppelspiel. S&S, Swallow & Stewart, schnurren ein lupenreines tradin´ fours mit dem Bandleader, Goldings orgelt fett - und darf zum Schluss noch einmal im cheesy-Register auf die Kacke hauen.
„You´re still the one“, eine schöne Abkühlung im Bossa-Feeling, der Song stammt von Shania Twain aus den späten 1990ern; ja, siehe auch „Bartender´s Blues“ von James Taylor und „Jolene“, die Vorlagen entbehren nicht einer gewissen Zeitgenossenschaft und damit auch Langlebigkeit dieser ur-amerikanischen Musikform(en).
Johnny Mercer´s „I´m an old cowhand“, dargeboten auf der Ukulele und nur 31 Sekunden lang, ist ein Schluss-Gag, ein Wink, dass John Scofield auf diesem Feld, abgeerntet von zahlreichen Kollegen, nicht antritt - aber vielleicht später (?)

 

erstellt: 17.10.16
©Michael Rüsenberg, 2016. Alle Rechte vorbehalten