KENNY GARRETT Do your Dance! ******
01. Philly (Garrett), 02. Backyard Groove, 03. Weatgrass Shot, 04. Bossa, 05. Do your Dance!, 06. Calypso Chant, 07. Waltz (3 Sisters), 08. Persian Steps, 09. Chasing the wind
Kenny Garrett - perc, voc (6), ss (7), p, fl, shruti box (8), as, Vernell Brown jr - p, Corcoran Holt - b, Ronald Bruner jr - dr (1,2,8,9), Rudy Bird - perc (3,4,5,6), McClenty Hunter - dr (3,4,5,6,7), Donald "Mista Enz" Brown jr - rap (3,5)
rec. 2015 (?)
Mack Avenue MAC1098
Wer den Titel des Albums für bare Münze nimmt (wogegen alle Jazz-Erfahrung spricht), der muss auf dem dance floor erst einmal acht Minuten Enthaltung üben.
Solange dauert „Philly“. Und man möchte denjenigen/diejenige sehen, die bei diesem Affentempo noch zu halbwegs koordinierten Tanzbewegungen fähig ist.
Kenny Garrett jagt in einem uptempo swing davon. Ein Blick auf die Besetzung zeigt, dass er für solche Raserei wieder einmal den richtigen Drummer an Bord hat. Ganz früher war das z.B. Jeff „Tain“ Watts, ab 1999 auch Chris Dave, jetzt ist mit Ronald Bruner jr ein weiterer Repräsentant des New Gospel Drumming gesetzt.
Und man würde allzu gerne hören, wie der neue Großwesir des Jazz, Kamasi Washington (der ebenfalls Bruner jr beschäftigt) auf einer solchen Piste sich hält.
Bruner ist der interaktivsten einer, er explodiert geradezu mit irrwitzigen fills, auch in dem suggestiven, ternären HipHop Beat von „Backyard Groove“. Hier mögen die Tanzkäfer endlich zu ihrem Recht kommen, auch im binären Pendant dazu, dem upright funk des Titelstückes.
Erst in der Coda, wenn man ihn schon gar nicht mehr erwartet, tritt dort der Rapper Donald „Mista Enz“ Brown ans Mikrofon (das Schlagzeug wird hier, auch nicht schlecht, bedient von McClenty Hunter); eine ähnliche personelle Konstellation finden wir zuvor in „Wheatgrass Shot“, nur dass der Rap hier frühzeitig einsetzt.
Im Grunde spielt McClenty Hunter über die breite Mittelachse des Albums, er bestreitet die „konventionelleren“ Teile. Nicht dass davor oder danach die Revolution ausbräche, nein Kenny Garrett verlässt niemals die Form, erweitert seinen Ruf als hot alto player gewiss nicht um den eines einfallsreichen Komponisten.
Zwischen tracks 3 und 7 (wo er Sopran spielt) verweisen die Titel geradezu bürokratisch korrekt auf die Form: „Bossa“ ist … ein Bossa Nova, „Calypso Chant“ steht im entsprechenden Rhythmus, und der „Walzer für die drei Schwestern“ im 3/4 Takt.
Über diese breite Mittelachse ergeht sich das Album in gediegener Konvention, und man mag dem Bandleader bestensfalls als Plus anrechnen, dass er auf dem Sopran genauso den shouter gibt wie auf dem Alt - eine selten gehörte Qualität.
„Persian Steps“ schlägt - endlich! - einen anderen Weg ein: Garrett intoniert das Thema parallel zur Flöte auf dem Piano, Vernell Brown jr, der hauptamtliche Pianist der Produktion, begnügt sich mit einem background chant. „Persian Steps“ kehrt auf ganz andere Weise den Unterton hervor, ohne den keine Produktion von Kenny Garrett auskommt: den Einfluss John Coltranes. Hier, indem der Bandleader mit mächtigen Blockakkorden sich in die Tradition von dessen Pianist stellt, in die von McCoy Tyner.
Er bewegt sich in einem modalen Schaukel-Vamp, der von Bruner´s mächtiger Cymbal-Arbeit vorangetrieben wird.
Und dann gibt´s - nomen est omen - kein Halten mehr: „Chasing the Wind“, der Wind wird gejagt, indem das Quartett das schnellste Tempo des gesamten Albums anschlägt. Absolute delikat die irrwitzigen Figuren von Ronald Bruner jr. auf den ride cymbals und auf der snare, der Mann fliegt davon, der Bandleader hält mit.
Diese Art „right in your face“ swing hat man schon tausend Male gehört; egal, er reisst einen jedes Mal mit. Man kann gar nicht anders.
Und vom Tanzen … bleibt bestenfalls ein Fußschnippen.
erstellt: 20.07.16
©Michael Rüsenberg, 2016. Alle Rechte vorbehalten