VARIOUS Hommage á Eberhard Weber ******
01. Resume Variations (Eberhard Weber, Garbarek), 02. Hommage (Metheny), 03. Touch (Weber, arr Ralf Schmid), 04. Maurizius (Weber, arr Gibbs), 05. Tübingen (Weber, art Tempel), 06. Notes after an Evening (Weber, arr Sima)
Pat Metheny - g, Jan Garbarek - ss, Gary Burton - vib, Scott Colley - b (2), Danny Gottlieb - dr (2), Paul McCandless - eh, ss, Klaus Graf - as (6), Ernst Hutter - euph (3), SWR Big Band, Michael Gibbs - arr, cond, Helge Sunde - cond
rec. 23. + 24.01.2015
ECM 2463 4732342
Dass und wie das Auge das Musikhören beeinflusst, ist spätesten seit 1840 aktenkundig, die moderne Forschung hat vieles im Detail vertieft. Damals sitzt Robert Schumann in Dresden im Konzertsaal und schreibt hingerissen über einen Auftritt, ach was: eine Performance von Franz Liszt.
Die Abende des 23. und 24. Januar 2015 im Theaterhaus Stuttgart sind damit insoweit vergleichbar, als auch hier eine optische Inszenierung Regie führt, wegen der Kameras des SWR-Fernsehens geht es gar nicht anders.
Inszenierung aber auch vor der Bühne; tout Stuttgart hat sich eingefunden, an die zweitausend derer, die den jazz-affinen Teil der Bürgergesellschaft der Landeshauptstadt repräsentieren, locker-aufgeputzt nehmen sie Platz. Auch den Sektstand in der Pause lassen sie nicht außer acht.
Es gibt etwas zu feiern. Und in die gute Laune mischt sich, anders als vor 10 Jahren, eine große Portion Rührung und Mitleid. 2005 hatten sie am selben Ort den 65. Geburtstag des Künstlers begangen. Jetzt geht es formell um seinen 75., auch um die Verleihung des neuen „Jazz-Sonderpreises des Landes Baden-Württemberg“ an ihn, ja auch um die Stars, die noch prominenteren, die ihn zu ehren gekommen sind.
Aber es geht doch um etwas anderes, alle wollen ihn noch einmal sehen: Eberhard Weber, den großen Sohn der Stadt, der, wie ein leibhaftiger Staatsekretär intoniert, „mit seinem Baß bei Millionen von Menschen Sehnsüchte (weckte) und ihnen Lebensfreude (schenkte)“. Nicht wenige ringen mit den Tränen, als der Jubilar auf der Bühne erscheint, am Stock, bewegt. Spielunfähig nach einem Schlaganfall, wie ein jeder weiß.
Was kann jetzt noch kommen, wenn schon Pat Metheny da ist und ein Halbstundenwerk komponiert hat? Was kann noch kommen, wenn der Künstler selbst schon zwei Alben damit bestritten hat, Soli aus seiner aktiven Zeit mit Akkordflächen und melodischen Arabesken (von Freunden) aufzubrezeln?
Es ist ein Abschied. In einem Interview mit Jazzthing klingt auch Weber so: „Man muss auch mal den Mut haben zu sagen: Das ist der Abschluss.“
Das war im Theaterhaus zu fühlen oder zu ahnen. Und vor lauter Rührung, vor lauter extra-musikalischen Eindrücken mochte man im Theaterhaus den Gedanken am liebsten an die Kette legen, dass der erste Teil doch zu wünschen übrig ließ und der zweite dann umso mehr leuchtete, der von Pat Metheny verantwortete Teil.
Jetzt liegt das akustische Dokument der Abende vor, nicht ganz vollständig und zum Glück nicht in der damaligen Reihenfolge.
Denn - dieser Eindruck lässt sich nur schwer abweisen - wir haben uns den Abend schön-gehört bzw. -gesehen. Schwächen der SWR Big Band, Schwächen der Arrangements können nun nicht mehr mit Blick auf die Bühne, z.B. auf den vor Rührung & Erstaunen bewegten Jubilar, ausgebügelt werden.
Die CD beginnt wie der Abend, mit Jan Garbarek, und dann folgt der Höhepunkt, das Werk von Pat Metheny, im Theaterhaus musste man darauf bis nach der Pause warten.
Diese beiden Stücke, das sind schon mal gut - und gute - 40 Minuten. Sie passen auch produktions-ästhetisch zusammen, sie verwenden das von Weber für seine letzten beiden Alben gewählte Verfahren des Sampling Plus, also eine neue Architektur um isolierte Baß-Soli aufzubauen.
Jan Garbarek, der dabei im Studio auch an „Résumé“ beteiligt war, improvisiert hier auf dem Sopran zu Webers Solo bei „I took up the Runes“, abgefedert mit breiten, dunklen Streicherflächen (aus dem Sampler).
Pat Metheny wählt dasselbe Verfahren, belässt es aber bei Weber-Soli (aus zwei Konzerten) und bildet sie auch optisch ab, ein neues Verfahren. Man sieht Weber überlebensgroß auf der Leinwand, man sieht ihn wiederholt und wiederholt, mit teilweise ruckeligen Bildübergängen - es wird ja nach Musik geschnitten, es wird geloopt.
Alles andere drumherum geschieht live, auch die verknüpften Duo-Bass-parts mit Scott Colley - eine kompositorische wie technologische Meisterleistung!
Pat Metheny kennt und schätzt Eberhard Weber seit den frühen 70ern, seit der gemeinsamen Arbeit an einem eigenen Album wie auch zweien von Gary Burton. Für Eberhard - man glaubt es kaum, aber es steht so in den liner notes - schreibt er diesmal sein erstes Big Band-Arrangement, das erste seit „my early high school years“.
Und Metheny kommt mit Weber bestens zurecht, viel besser als alle anderen Arrangeure dieses Projektes, besser auch als der ausgebuffte Michael Gibbs. Das mag daran liegen, dass beider Harmoniken einander so fern nicht sind, thematisch erscheinen beide auch kantilenen-verwandt, vor allem aber scheut Metheny das Pathos nicht. Die Streicher, die noch vor 10 Jahren an Ort und Stelle waren, die wie eine Jacke die Weber-Ästhetik kleiden, man vermisst sie nicht.
Er switcht mit Leichtigkeit zwischen Weber & Metheny, nimmt klar Bezug zu den Strukturen des Jubilars, landet dann wieder bei den eigenen.
Selbst ein beiden eigentlich fremder Shuffle-Einschub (bei 12:20), der Miles Davis´ „All Blues“ aufscheinen lässt, fremdelt nicht, das Finale, das er bei 24:25 mit langen Bläser-Flächen einleitet, ist ergreifend, von seinem Solo, gekoppelt mit Gitarren-Synthesizer, ganz zu schweigen.
Was dann folgt, die restlichen 30 Minuten, sind biedere Hausmannskost, ja sie klingen nicht mal so transparent wie Methenys „Hommage“ (die er in New York gemischt hat).
Bis auf eine Minimal-Passage im Schluß zu Michael Gibbs´ Arrangement von „Maurizius“ bleibt nichts hängen, das Tempo in „Notes after an Evening“ ist geradezu schmerzhaft langsam, in einem legato, das auseinander fällt.
Schon nachvollziehbar, wenn Weber in dem erwähnten Interview entfährt: „Ich war zum Teil überrascht - manchmal positiv, manchmal negativ...“.
Aber das Zitat läuft noch weiter: „...dass die Arrangeure, die ja auch ihren eigenen Kopf haben, ein ganz anderes Verständnis der Stücke hatten, als ich ihnen zugrunde gelegt hatte. Ich war nur verblüfft, wie jemand das so ganz anders hören konnte als ich selbst.“
Das ist nun wieder typisch Eberhard Weber, 50 Jahre im Jazz unterwegs - und wundert sich noch über dessen Grundlagen.
Merkwürdig auch die Einlassung im Hinblick auf seinen Instrumental-Kollegen Scott Colley: „(Der) macht das sehr gut, er hat ja auch eine gute Technik. Was ihm fehlt, ist dieser Weber-Klang. Ich spiele Weber, und er spielt Bass.“
Tolles bonmot, aber was soll das? Wenn Weber „auf der Leinwand“ spielt, soll dann auch noch Colley auf der Bühne den Weber geben?
Es reicht doch, dass sich der SWR-BB-Bassist in „Tübingen“ darum bemüht, erfolglos.
erstellt: 11.09.15
©Michael Rüsenberg, 2015. Alle Rechte vorbehalten