ZACH BROCK Serendipity *******
01. City of Spring (Seifert), 02. Serendipity (Brock), 03. Swansea (Newsome), 04. Sunday Walk (Humair), 05. Some other time
(Bernstein), 06. Segment (Charlie Parker), 07. Sally´s Song (Elfman), 08. Summer Dance (Brock)
Zach Brock - v, Aaron Goldberg - p, Matt Penman - b, Obed Calvaire - dr
rec. 05.11.2014
Criss Cross 1380
ADAM BALDYCH & HELGE LIEN TRIO Bridges *****
01. Bridges (Baldych, Lien), 02. Poiesie (Baldych), 03. Mosaid, 04. Riese, 05. Dreamer, 06. Requiem, 07. Karina, 08. Missing you, 09. up, 10. Lovers, 11. Teardrop (Massive Attack)
Adam Baldych - v, Helge Lien - p, Frode Berg - b, Per Oddvar Johansen - dr
prod. 13. - 15.03.2015
ACT 9592
Neulich liefen wir auf der Hauptstrasse eines Kölner Vorortes einem veritablen Jazzprofessor in die Arme; nein, keiner von der MHS Köln, dann wär´s ja keine Überraschung gewesen. Sondern einer, nicht un-prominent, der im nördlichen Teil des Landes unterrichtet.
Wir sprachen über dies & das, u.a. über die Konsequenzen des Streaming...
und damit auch über die Frage, wie denn unter diesem Vorzeichen in naher Zukunft die Kosten für recorded music noch aufzubringen seien.
Der Jazzprofessor malte das Schreckensbild aus, Jazzproduktionen müssten demnächst an einem Tag fertig sein.
Darüber kann Gerry Teekens nur lachen. Der Produzent aus Enschede/NL macht seit langem nichts anderes, über 30 Jahre sind solcherart an die 400 Tonträger entstanden.
Teekens nimmt an einem Tag in New York auf, meist in den Systems Two Recording Studios in Brooklyn, die CDs seines Criss Cross Labels sind extrem schmucklos: keine Digipacks, immer nur Jewelcases, die booklets grundsätzlich 8seitig schwarz/weiss, Farbe nur für die Seite 1, meist ein konventionelles Bandleader-Porträt.
Ein Label, das noch weniger hip daherkommt als Criss Cross Jazz, ist kaum denkbar.
Aber, bei einer Wahl der informativsten booklets nähme das Label einen der vorderen Plätze ein: auf sechs bis sieben Seiten findet man keine Behauptungs-Prosa, legt kein Lehrer ein übertrieben gutes Wort für seine Schüler ein, die Texte, meist geschrieben von Ted Panken, sind Beschreibungen der Musik, Stück für Stück, unaufgeregt, meist mit Musiker-Zitaten, auf die Jazzhistorie bezogen - echte Hörhilfen.
Criss Cross Jazz hat kein landmark recording gelandet, (vielleicht ist das der Preis der low budget Politik), seine Klientel ist die zweite Reihe des amerikanischen Jazz, Sideman, die hier in eigener Regie ihr fast immer beachtliches Talent ausstellen; wer auf der Webseite den Künstlerindex aufruft, wird verblüfft, wer alles schon für das Label tätig war, von Pepper Adams über John Patitucci bis Miguel Zenon.
Auch stilistisch scheint Criss Cross festgelegt, und zwar auf Mainstream. Wer das für eine Fessel hält, hat keine Ahnung oder Criss Cross noch nicht gehört. Der Modern Mainstream hat hier in großer Breite ein Zuhause, es dürften zudem nur wenige Label mit einer so hohen Durchschnittsqualität ihrer Produkte aufwarten, dass man Criss Cross geradezu „taub“ kaufen kann, ohne auf die Nase zu fallen.
Dieses Album aber ist mehr, es ist - nomen est omen - eine „Entdeckung“ („Serendipity“), schon das dritte Album von Zach Brock für das Label; er stammt aus Kentucky, dort geboren 1974, er ist an der Northwestern University in Evanston (nördlich von Chicago) ausgebildet, er hat in der Stanley Clarke Band gespielt und an drei Alben von Snarky Puppy mitgewirkt.
Zach fällt mit der Tür ins Haus, mit einem Stück des modernen Übervaters seiner Disziplin, von Zbigniew Seifert (1946-1979) für dessen Album „Man of the Light“ (1976).
Wer in den liner notes jetzt - dankenswerterweise - die Besetzung von damals liest (Joachim Kühn, Cecil McBee, Billy Hart) und noch dazu Brocks Anmerkung, sie nähmen das Stück in einem „etwas langsameren Tempo“, der ahnt, woher der Wind weht.
Herrschaften, geht das ab!
Das Thema klingt, als sei es für McCoy Tyner entworfen, insbesondere im Schlussteil fetzt Zach Brock alle Bedenken hinweg, die auch heute noch, bis in höchste Kreise, über sein Instrument verbreitet sind. Brock schreit geradezu, wie man es ansonsten bestenfalls von der Gitarre kennt.
Und dann Aaron Goldberg! Hier erleben wir wieder die Grosse Klasse der Zweiten Reihe des amerikanischen Jazz: bevor er mit der großen Pranke die stilistisch unvermeidlichen Quartakkorde greift, stellt Goldberg erst mal ein 2-Takte-ostinato vor und verändert seine Bestandteile permanent.
Am Schlagzeug sitzt einer, der interaktiv mit großer Aufmerksamkeit folgt: Obed Calvaire, geb. 1982 in Miami, mit familiären Wurzeln in Haiti, den man bis dato auf einer Breite von Wynton Marsalis bis David Binney hat hören können.
Eben deshalb sprachen wir ja von Modern Mainstream: einige Stücke hier sind funky, z.B. der Blues von Daniel Humair für Jean-Luc Ponty („Sunday Walk“) oder Brocks eigener „Summer Dance“, mit einem drum solo gegen riff.
Nimmt man noch das wunderschöne „Swansea“ von Joanna Newsom aus dem Neo Folk hinzu, summiert sich hier ein beachtliches Spektrum, das mit dem alten, Standard-verliebten, dsching-dischingeding Mainstream kaum noch etwas verbindet.
Was Zach Brock kann, kann Adam Baldych, 29, auch, vielleicht sogar noch mehr, denn laut FAZ soll er sein der „zweifellos größte lebende Geigentechniker des Jazz. Von ihm kann man alles erwarten“.
Als Ulrich Olshausen das schrieb, kannte er Brock vermutlich nicht, überdies bezieht er sich auf das Konzert von Baldych beim Jazzfest Berlin 2011:
ja, großes Nicken, bloss - ein solches Maß an Expressivität, Dynamik & Präsenz hat er seitdem nicht mehr gezeigt, zumindest nicht auf den Tonträgern, die im Westen Europas von ihm kursieren.
Da neigt er - mit „Bridges“ erneut - dem neo-romantischen Teil unserer kleinen Welt zu, von manchen gelegentlich auch als „Jazz für Leute, die Jazz nicht mögen“ apostrophiert.
Dass der junge polnisch Meister nun mit dem norwegischen Helge Lien Trio erscheint, hat sogar - einer Anekdote von Wolfram Knauer (Jazzinstitut Darmstadt) zufolge - eine gewisse Logik, denn beide Nationen sind gewissermaßen „fratres in melancholia“.
Demnach war, laut Knauer, der Leiter des Polen Institutes in Darmstadt nur schwer von einem alten Glaubenssatz abzubringen: „Ich dachte immer, Jan Garbarek muss ein Pole sein“.
Was Adam Baldych in puncto Jazz wirklich kann, dass muss man bei „Bridges“ also gewissermaßen immer mitdenken. Obwohl er mit instrumentaler Meisterschaft nicht geizt: er phrasiert toll, macht Doppelgriffe, piccicati, zum Auftakt streicht er subtile Flageoletts.
Aber nichts scheint davon geeignet, dem Zusatznamen von Adam Baldych (laut Wikipedia „evil“) klanglich Ausdruck zu geben, hier zeigt er sich in erster Linie herzliebst.
Mit track 4 wird ein binärer Groove zaghaft fordernder, track 7, einer Art Semi-Gospel im 3/4 Takt wird ein leichtes crescendo gegönnt, und mit track 9, endlich!, ist ein Rockgroove erreicht.
Baldych anno 2011 hätte ihn im Quasimodo zur Begrüssung gereicht.
erstellt: 17.08.15
©Michael Rüsenberg, 2015. Alle Rechte vorbehalten