MARIUS NESET Pinball *********
01. World Song Part 1 (Neset), 02. World Song Part 2, 03. Pinball, 04. Odes of You (Neset, Eger), 05. Police (Neset), 06. Music for Cello and Saxophone (Neset, Eger), 07. Theatre of Magic, 08. Aberhonddu, 09. Jaguar, 10. Music for Drums and Saxophone, 11. Summer Dance (Neset), 12. Hymn for the World
Marius Neset - ss, ts, Ivo Neame - p, ep, org, Jim Hart - vib, mar, dr (4), Petter Eldh - b, Anton Eger - dr, perc
Andreas Brantelid - vc (1,2,6,7), Rune Tonsgaar Sørensen - v, (1,11), Ingrid Neset - fl (1,5,11), August Wanngren - perc (3)
rec. 30.06. - 02.07. 2014
ACT 9031-2,LC 07644
Das Cover zeigt Marius Neset in einer Pose, die er live, auf der Bühne, dankenswerterweise nicht einnimmt - die Rolle des Überfliegers.
Es zeigt ihn stiernackig, nordisch entschlossen, sein Instrument im Anschlag, bekleidet mit einer Jacke, als sei er beim ice bucket contest irrtümlich mit einem Eimer Deckweiss überschüttet worden, in gewisser Hinsicht das Equivalent zu Matthias Schriefl´s Kuhhauthose.
Mit dem entscheidenden Unterschied freilich, dass Prätention bei Neset nicht Fassade bleibt, der Überflieger gibt nicht nur den Überflieger, er geht vollständig in der Rolle auf.
Kaum je zuvor hat ein Europäer dermaßen im Sturm eine Bühne genommen, wie man erst wieder Anfang des Monats beim 25. Münster Jazzfestival erleben konnte.
Der Abstand zu Altvorderen ist schlagend; während z.B. Jasper van`t Hoff & Co. lange brauchen, um auf Betriebstemperatur zu gelangen, ist die Truppe des Norwegers sofort da, mit einer Entschlossenheit und Dringlichkeit sondergleichen.
Obwohl Mannschaft & Programm sich nur partiell gleichen, lässt sich vieles davon hier nachvollziehen, denn vor allem sind nun die drei Buddies aus der Django Bates-Klasse am Rythmisk Musik Konservatorium in Kopenhagen hier beisammen:
Marius Neset, Petter Eldh und Anton Eger.
Der Eröffnungstrack enthalt alles, was die Neset-Welt ausmacht und auszeichnet: den Michael Brecker-Einfluss auf dem Tenorsaxophon, ein im weitesten Sinne „Folk“-Thema aus geschichteten, verschobenen ostinati, eingebettet in eine suite-hafte, komplexe Komposition, vorgetragen in einem Affenzahn. Man fühlt sich erinnert an die Höhenflüge von Steps Ahead.
(Wozu freilich die spanischen handclaps nicht so recht passen.)
Wer es gerne referenz-freier hat, dem sei die Strecke ab track 7 empfohlen: „Theatre of Magic“ trägt seinen Namen zu recht, es ist nichts weniger als ein poly-rhythmisches Vamp City!
Wer immer noch behauptet, der Jazzrock sei tot, der wird mit zehnmaligen Hören dieser sechseinhalb Minuten nebst Analyse dessen, was er gehört hat, bestraft. Die ryhtmisch-motivische Komplexität ist sagenhaft, groove switching bis zum Abwinken, fast möchte man von cut up-Techniken sprechen. Und alles auf einem nervösen drum´n´bass-pattern.
Mit „Jaguar“ legt das Team Neset/Eger einen uptempo swing vor - vom Thema, vom Tempo her, bloß - die rhythmische Begleitung ist eher binär als swing. Neset spielt wieder das kraftvollste Sopran seit den Tagen von John Surman (auf diesem Sektor kann nur noch Emile Parisien mithalten).
Auch „Music for Drums and Saxophone“ widerspricht Erwartungen; saxophonseitig erklingen ausschließlich polyrhythmisch geschichtete Klappengeräusche und eine Spur mit Zischlauten, Anton Eger setzt lediglich bassdrum und Triangel ein, zum Schluß ein Schlag saxophone multiphonics und ein Beckenlaut.
„Summer Dance“ beginnt mit einer Variante seiner seit „Xplosion“ immer wieder vorgeführten „Zweistimmigkeit“ auf dem Tenor, diesmal in höherem Tempo, später wird es in einen folkloristischen Ensembleklang aufgefächert.
Das Niveau der Begleiter ist superb; diese norwegisch-schwedisch-britische Versammlung zeigt, dass man sich um den output der europäischen Jazzerziehung keine Sorgen machen muss.
erstellt: 28.01.15
©Michael Rüsenberg, 2015. Alle Rechte vorbehalten